Vatikan stellt ersten Missbrauchsbericht vor
Vatikanstadt ‐ Seit Jahren kämpft die Kirche gegen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche. Die vom Papst gegründete Kinderschutzkommission legte nun einen Bericht vor. Dabei äußerten sich Betroffene, Geistliche und eine UN-Expertin.
Aktualisiert: 08.11.2024
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Die Päpstliche Kinderschutzkommission hat ihren ersten Anti-Missbrauchsbericht vorgelegt. Bei der Präsentation am Dienstag vor Journalisten im Vatikan wandte sich der Kommissionsvorsitzende Kardinal Sean Patrick O'Malley direkt an Betroffene: „Ihr Leid und Ihre Verletzungen haben unsere Augen geöffnet für die Tatsache, dass wir als Kirche versagt haben, uns um die Opfer zu kümmern, und dass wir Sie nicht verteidigt haben und uns geweigert haben, Sie zu verstehen, als Sie uns am meisten gebraucht hätten“, so der langjährige Bostoner Erzbischof.
„Nichts was wir tun, wird je genug sein, um vollständig zu heilen, was geschehen ist.“ Der Bericht solle die Zusage unterstreichen, „dass solche Ereignisse nie mehr wieder in der Kirche geschehen werden“.
Auf Nachfrage eines deutschen Journalisten sagte O'Malley, er kenne keine seriöse wissenschaftliche Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Ehelosigkeit von Priestern und sexualisierter Gewalt an Kindern belege. In Deutschland schlage eine derartige Debatte hohe Wellen, doch wisse man in anderen Ländern, dass der Zölibat keine Ursache von Pädophilie sei, fügte er hinzu. Das ändere nichts daran, dass der Skandal die Glaubwürdigkeit der Kirche schwer beschädigt habe und sich diese reformieren müsse, um ihren Auftrag weiter erfüllen zu können, so der Kardinal, der das Erzbistum Boston 2003 mitten in der Missbrauchskrise übernahm und teils radikale Maßnahmen zu Prävention, Aufklärung und Entschädigung traf.
Die niederländische Juristin Maud de Boer-Buquicchio betonte, mit dem von Franziskus veränderten Kirchenrecht könne die Kirche besser gegen die „Plage“ des sexuellen Missbrauchs vorgehen. Inzwischen gilt sexualisierte Gewalt an Minderjährigen im Kirchenrecht nicht mehr als Verstoß gegen die Sexualmoral sondern als Verletzung der Menschenwürde. Die Kinderschutzkommission, der sie selbst angehört, handle inzwischen in einem begrifflichen Rahmen, der sowohl mit gängigen Menschrechtsideen im internationalen Recht als auch mit der kirchlichen Lehre gut zusammenpasse, so die Menschenrechtsanwältin.
Für die Kirche bedeute dies: Nach einer Epoche, in der es immer wieder Fälle von Missbrauch gab und diese falsch behandelt und vertuscht wurden, sei nun eine neue Phase angebrochen, sagte die langjährige UN-Berichterstatterin zum Thema sexuelle Ausbeutung von Kindern. Jetzt sorgten Schutzmaßnahmen, Berichte über Verstöße, Untersuchungen und das Zugehen auf die Opfer dafür, dass es nur noch sehr wenige Missbrauchsfälle gebe, auf die man dann angemessen reagiere. Dies sei wie ein Übergang von der Finsternis ins Licht.
Der aus Chile stammende Sprecher von Missbrauchsbetroffenen, Juan Carlos Cruz, dankte Papst Franziskus für dessen „Kampf gegen diese Pest“. Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung seien in der Kirche lange tabu gewesen, das habe sich endlich geändert, sagte Cruz, der als Opfer des chilenischen Priesters und Missbrauchstäters Fernando Karadima (1930-2021) bekannt ist. Den Kommissionsbericht würdigte er als wichtige Etappe.
Den 50-seitigen Bericht der 2014 gegründeten Kommission, der vor allem über kirchliche Schutzvorkehrungen und Verfahren in zahlreichen Ländern informiert, hatte Papst Franziskus 2022 angefordert. Einen umfassenden Überblick zur Zahl von Missbrauchsfällen oder zum Stand kirchenrechtlicher Verfahren weltweit konnte die Kommission nach eigenen Angaben nicht vorlegen. Dazu fehle aus vielen Ländern noch zuverlässiges Datenmaterial. Stattdessen enthält der Bericht Vorschläge für Verbesserungen in den Vatikanbehörden, die mit Missbrauchsfällen befasst sind, sowie in den einzelnen Regionen der weltweiten Kirche.