Ukraine ebnet Weg für Verbot pro-russischer Kirchengemeinden
Kiew/Bonn ‐ Die Regierung in Kiew beschuldigt die Ukrainische Orthodoxe Kirche der Kollaboration mit Russland. Nun stimmte das ukrainische Parlament für ein Verbot von Kirchengemeinden, die Moskau unterstehen.
Aktualisiert: 19.10.2023
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Die Ukraine will pro-russische Kirchengemeinden verbieten. Das Parlament in Kiew nahm am Donnerstag in erster Lesung einen entsprechenden Gesetzentwurf der Regierung an. Er untersagt die Tätigkeit von religiösen Organisationen in der Ukraine, die aus einem Land geleitet werden, das die Ukraine militärisch angreift.
Die Gesetzesvorlage richtet sich gegen die als pro-russisch kritisierte Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK). 267 Abgeordnete stimmten mit Ja, 15 mit Nein. Die UOK unterstand lange dem Moskauer Patriarchen Kyrill I., der Russlands Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Erst im Mai 2022 sagte sie sich von ihm los und erklärte sich für unabhängig. Dieser Schritt wird aber von der ukrainischen Regierung angezweifelt. Damit das Gesetz in Kraft tritt, muss es in einer weiteren Lesung verabschiedet und von Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnet werden.
UOK sieht Verstoß gegen Menschenrechtskonvention
Die Ukrainisch Orthodoxe Kirche sieht durch das geplante Gesetz das Recht ihrer Mitglieder verletzt, ihre Religion frei auszuüben. Der Gesetzentwurf verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die ukrainische Verfassung, erklärte sie nach dem Parlamentsvotum. Die UOK sei eigenständig und keineswegs mit Moskau verbunden.
Die UOK streitet mit der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) um die religiöse Vorherrschaft im Land. Die Regierung in Kiew unterstützt die OKU, die 2018 mit Hilfe des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Patriarch Bartholomaios I., gegründet wurde.
Laut dem Gesetzentwurf bräuchte es für jede der mehr als 10.000 Kirchengemeinden der UOK ein eigenes Gerichtsverfahren für ein jeweiliges Verbot. Die Behörden müssten religiöse Organisationen, die einem religiösen Verwaltungszentrum in Russland unterstehen, davor auffordern, sich innerhalb eines Monats von diesem zu trennen. Werde diese Anweisung missachtet, könnte der Staatsdienst für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit das Verbot bei Gericht beantragen.
Ostkirchen-Expertin: Problematisches Fahrwasser
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte im Frühjahr zwei andere ukrainische Gesetzentwürfe kritisiert, die ein automatisches Verbot vorsahen. „Nach den internationalen Menschenrechtsnormen muss jede Einschränkung des Rechts, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, gesetzlich vorgeschrieben, notwendig und verhältnismäßig sein“, sagte die stellvertretende UN-Generalsekretärin für Menschenrechte, Ilze Brands Kehris, im Januar im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Auch die Ostkirchen-Expertin Regina Elsner kritisierte die Entscheidung der ukrainischen Parlamentarier scharf. „Unabhängig davon, wer in dieser Kirche welche Verbindungen zu Moskau hatte oder hat und dafür im Vernichtungskrieg Moskaus die Verantwortung übernehmen muss, gibt dieses Gesetz das Startsignal für eine neue, offene gesellschaftliche Stigmatisierung von Gläubigen dieser Kirche. Die saubere Trennung zwischen institutioneller Verbindungen (also Kollaboration, Spionage, Propaganda etc.) und Ideologie ist kaum noch zu wahren, so dass aus legitimer Strafverfolgung sehr schnell eine Einschränkung der Gedanken- und Gewissensfreiheit wird“, schrieb Elsner auf dem Kurznachrichtendienst X. Man könne nicht Menschen dafür die Religionsgemeinschaft nehmen, dass sie sich aus welchen Gründen auch immer in religiöser Gemeinschaft mit einer anderen Kirche sähen.
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Elsner, die seit April 2023 die Professur für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Universität Münster vertritt und erst kürzlich einen Bericht zur Religionsfreiheit in der Ukraine mit verfasst hat, sieht darin eine große Gefahr. „Wenn es, wie eine Abgeordnete sagt, lediglich darum geht, ‚die Moskauer Popen von der ukrainischen Erde zu verjagen‘, ist das ein sehr problematisches Fahrwasser.“ Es müsse andere Wege geben, um ideologisierte Denktraditionen zu bekämpfen, als mediale und politische Hetze, sonst spiele man nur der russischen Propaganda in die Hände und verliere das Vertrauen der Bevölkerung, die gleichzeitig gegen den Angreifer kämpfe.
Ukrainische Gerichte haben seit Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 etwa 20 orthodoxe Geistliche der UOK verurteilt – meist wurde ihnen Zusammenarbeit mit dem Kriegsgegner Russland oder Anstiftung zu religiösem Hass vorgeworfen. Ein Priester aus der Region Luhansk im Nordosten des Landes soll etwa den russischen Besatzern ukrainische Widerstandskämpfer gemeldet haben. Ein ukrainisches Gericht schickte ihn im Dezember für zwölf Jahre ins Gefängnis. Im Zuge eines Gefangenaustausches mit Moskau kam er später frei und ging nach Russland.
KNA
19.10.2023 16:51: Aussagen Dr. Elsner hinzugefügt