Westafrika: Demokratie im Abwärtstrend

Westafrika: Demokratie im Abwärtstrend

Ouagadougou ‐ Nach zwei Tagen, die in Burkina Faso von Spekulationen und Unsicherheit geprägt waren, bringt eine Fernsehansprache am Montagabend erstmals Klarheit: Eine Gruppe von Soldaten, die sich „Patriotische Bewegung für Schutz und Wiederherstellung“ (MPSR) nennt, hat die Macht übernommen und den in der Kritik stehenden Präsidenten Marc Roch Christian Kabore abgesetzt. Die Verfassung ist ausgesetzt, Regierung und Nationalversammlung sind aufgelöst. Die Grenzen sind dicht, und nachts gilt Ausgangssperre. Unterzeichnet ist das Kommunique von Oberst Paul Henri Damiba, der schon zuvor als Kopf des Putsches gehandelt wurde.

Erstellt: 27.01.2022
Aktualisiert: 19.03.2024
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In Westafrika ist es bereits der vierte Staatsstreich in weniger als eineinhalb Jahren. Den Anfang machte am 18. August 2020 der Coup in Mali gegen den Mitte Januar verstorbenen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita. Indirekt vorbereitet hatte diesen der einflussreichste Imam des Landes, Mahmoud Dicko. Monatelang riefen er sowie Teile der politischen Opposition und Zivilgesellschaft zu Protesten auf. Die Erleichterung über das Ende des Keita-Regimes war zunächst groß, was sich jedoch bald änderte.

In einem „Putsch im Putsch“ setzte General Assimi Goita im Mai 2021 den zivilen Präsidenten der Übergangsregierung ab und ernannte sich selbst dazu. International in der Kritik steht Goita aktuell, weil er die für Ende Februar geplanten Wahlen nicht durchführen lässt, sondern eine Übergangsphase von bis zu fünf Jahren angekündigt hat. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas quittierte das umgehend mit scharfen Sanktionen, für die sie in Mali viel Kritik einstecken musste.

Beide Staatsstreiche – der in Mali und der in Burkina Faso – haben nach Einschätzung von Jesper Bjarnesen, Senior Researcher am Nordischen Afrikainstitut im schwedischen Uppsala, teilweise ähnliche Ursachen. „Die wachsende Bedrohung durch dschihadistische Gewalt untergräbt allmählich den Staat und setzt die Streitkräfte auch sehr gefährlichen Bedingungen aus, oft ohne angemessene Ausrüstung und Führung“, sagt er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Regionaler Dschihadismus ist zu einem überwältigenden Problem in der Sahelzone geworden.“

In Burkina Faso sind deshalb mehr als 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht, knapp 2.700 Schulen bleiben geschlossen. Dschihadisten haben in den vergangenen sechs Jahren mehr als 2.000 Menschen ermordet. „Unser Alltag ist sehr schwer“, beschreibt Serge Bayala. Der Aktivist und Lehrer, der sich für bessere Zukunftschancen junger Menschen einsetzt, rechnet mit einer weiteren Zuspitzung der Situation. „Wir wissen nicht, welchen Plan das Militär verfolgt.“

Ecowas übt scharfe Kritik

Bayala befürchtet, dass möglicherweise Unterstützer des 2014 zum Rücktritt gezwungenen Präsidenten Blaise Compaore wieder an Einfluss gewinnen. In den vergangenen Tagen wurde darüber spekuliert, ob der zu 20 Jahren Haft verurteilte General Gilbert Diendere möglicherweise befreit wird. Er ist einer der Vertrauten Compaores.

Zugleich wird viel Hoffnung geäußert, dass der aktuelle Coup ein Ausweg aus der Krise sein könnte. Der 2015 gewählte Kabore ist besonders für seine Weigerung, mit Terrorgruppen in Verhandlung zu treten, kritisiert worden. Dabei war lange klar, dass eine militärische Lösung nicht zum Erfolg führt. Auch zahlreiche Vertreter der katholischen Kirche unterstützten die Idee des Dialogs. „Militärputsche führen selten zu langfristigen Verbesserungen“, sagt allerdings Bjarnesen. „Sie sollten als ein weiteres Problem betrachtet werden, mit denen die Region konfrontiert ist, und nicht als Teil der Lösung“.

Besonders alarmiert zeigt sich die Ecowas. Seit Sonntag, als in mehreren Kasernen erste Schüsse fielen, die als Vorboten eines Putsches galten, kritisierte sie die Entwicklung mehrfach scharf.

Mit Burkina Faso steht schließlich der dritte von 15 Mitgliedsstaaten ohne gewählte Regierung da. In Guinea wurde Anfang September Alpha Conde abgesetzt. Dort war die Entwicklung allerdings eine andere: Entgegen zahlreicher Proteste der Zivilgesellschaft mit Dutzenden Toten setzte er eine Verfassungsänderung durch und stellte sich selbst 2020 zum dritten Mal bei der Präsidentenwahl auf.

Es sei zwar wichtig, keine weiteren Umstürze von Zivilregierungen in der Region zu fördern, sagt Andrew Lebovich, Gastwissenschaftler beim Europäischen Rat für Auslandsbeziehungen (ECFR) mit Sitz in Berlin. „Ebenso wichtig ist es zu verstehen, warum diese Staatsstreiche häufiger vorkommen und wie groß die Frustration der regionalen Bevölkerung über Zivilregierungen ist.“ Zudem seien die Putsche ein Warnschuss für Nachbarländer, die ähnliche Probleme haben.

Von Katrin Gänsler (KNA)

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