Droht ein Bürgerkrieg in Indien?
Dass Christen auch in Indien in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten sind, berichtete der indische katholische Priester Ajaya Kumar Singh aus dem Bundesstaat Odisha. 2008 kam es dort zu Massenübergriffen auf die christlichen Gemeinden in der Region. Rund 100 Christen wurden ermordet, 300 Kirchen und 6.000 Wohnungen geplündert und 56.000 Familien vertrieben. Erst als der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy beim indischen Außenminister kritische Fragen dazu stellte, griff die indische Regierung ein und der Konflikt beruhigte sich. Das habe gezeigt, dass eine Stimme von außen durchaus hilfreich sei und zur Deeskalation von Gewalt in Indien beitragen könne. Schließlich sieht Singh heute gar die Gefahr eines Bürgerkriegs in Indien, die aus der Bedrängung und Unterdrückung der nicht-hinduistischen Religionsgemeinschaften und auch aus der Gewalt gegen Frauen hervorgehen könne: „Es gibt eine aufgeladene Stimmung.“
Religiöse Gewalt ist schlecht fürs Geschäft
Ein Bürgerkrieg beziehungsweise religiös bedingte Gewalt seien aber auch schlecht für das Geschäft ausländischer Unternehmen und Investoren, betonte der indische Priester. Er zog ein Beispiel aus Bangladesch heran, bei dem Tempelzerstörungen zu einem Rückgang der ausländischen Investitionen geführt hätten. Immerhin sei die Religionsfreiheit auch ein Indikator für Frieden und Sicherheit in einem Land. Wünschenswert sei es allerdings, dass internationaler Handel und die Einhaltung der Menschenrechte nicht gegeneinander ausgespielt würden, so Singh.
Problematisch sei darüber hinaus, dass die Hindu-Nationalisten von Ideologien des Faschismus und Nationalsozialismus inspiriert seien. „Sie sehen die Unberührbaren in Indien als Untermenschen“, erklärte der Priester, der sich in seiner Heimat für die Rechte dieser sogenannten Dalit einsetzt. „Dabei gehören 65 bis 70 Prozent der Christen in Indien den Dalit an. Doch das Kastensystem hat sich auch in der katholischen Kirche Indiens nicht aufgelöst.“ Während Christen höherer Kasten weniger Probleme hätten, seien besonders die Dalit, die Adivasi und auch Frauen Repressalien ausgesetzt. Die Diskriminierung ginge zum einen vom Staat aus, zunehmend aber auch von der Zivilbevölkerung.
Angst vor westlichem Einfluss durch Christen
Während Hindus der unteren Kasten privilegiert würden, und gesonderten Zugang zu Arbeit, Wohnraum und politischer Beteiligung erhielten, blieben diese Dinge den Christen der unteren Kasten verwehrt – weil sie vom Staat dann nicht mehr als Dalits anerkannt würden und ihnen damit die positive und fördernde Diskriminierung verwehrt bleibe. Viele Christen geben deshalb an, Hindus zu sein. „Würde diese Benachteiligung christlicher Dalits aufgehoben, gäbe es in Indien wohl doppelt so viele Christen“, so Singh.
Die negative Haltung der Regierung unter Narendra Modi gegenüber dem Christentum verbinde sich mit Erfahrungen der kolonialen Vergangenheit: „Dahinter steht das Trauma der Unterlegenheit und das Misstrauen nach der englischen und auch portugiesischen Kolonisation“, so der Priester. Das Christentum gilt bis heute als ‚westliche‘ Religion, die etwa unter dem Einfluss des Vatikan steht. Die indische Regierung versuche, ihren Einfluss auf die Kirche auszuweiten und trage somit auch zu deren Spaltung bei. „Es entsteht eine Art Untergrundkirche ähnlich wie in China“, so der indische Priester.
Als ermutigend empfindet Ajaya Singh es, dass die Kirche in Indien nicht stumm bleibt. Die Bischöfe des Landes äußerten sich nach wie vor kritisch zu der Situation der Christen im Land. Auch einige Hindus und säkulare Kräfte stellten sich auf die Seite der christlichen Minderheit. Er empfahl, auch in Deutschland eine zentral organisierte Anlaufstelle nach amerikanischem Vorbild der „U.S. Commission on International Religious Freedom (USCIRF)“ zu schaffen, in der die Christen der Region ihre Interessen und Sorgen vortragen und öffentlich kommunizieren können.
Von Claudia Zeisel
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