Frage: Mit der Zeit hat die Moderne in Papua-Neuguinea Einzug gehalten. Wie hat sich der Alltag für die Bevölkerung verändert?
Jenal: Alles hat sich gewaltig verändert, das Leben, die Umgebung, die Gewohnheiten der Menschen. Auch die Rollen in den Familien haben sich geändert. Früher war der Vater der Brotgewinner, der Führer der Familie. Die Mutter hat vielleicht einen kleinen Garten bewirtschaftet, um die Familie mit Lebensmitteln zu versorgen. Heute spielen die Männer Karten in der Stadt, geben das Geld, was sie haben oft sofort aus. Auch die Frauen gehen eher in die Stadt um Besorgungen zu machen, ein Garten ist vielen zu viel Arbeit. Die Landwirtschaft verschwindet immer mehr.
Außerdem sind viele Familien Patchwork-Familien.
Es gab auch eine Werteverschiebung: viele Bedürfnisse der modernen digitalen Gesellschaft werden von den Menschen in Papua höher angesehen, als manche existentiellen Bedürfnisse. Das sieht man an den Häusern: Wohnhäuser sind nach wie vor meistens aus Buschmaterial, die einzigen Wellblechhäuser sind das Kinohaus, das Krankenhaus und der Supermarkt.
Frage: Wie geht es für Sie weiter? Bleiben Sie in Papua-Neuguinea?
Jenal: Ja, solange es irgendwie geht (lacht). Mir sind die Arbeit und die Menschen dort ans Herz gewachsen, es ist meine Lebensaufgabe geworden, den Menschen dort beizustehen. Ich möchte sichergehen, dass sich auch nach mir genügend Menschen für ein Leben ohne Gewalt einsetzen, dafür brauchen wir noch viele freiwillige Helfer. Mittlerweile haben wir ungefähr 50 freiwillige Mitarbeiter, aber es müssen noch mehr werden. Sonst befürchte ich, dass das Problem mit der Hexenverfolgung nur weiter zunimmt und wirklich eskaliert.
Die Fähigkeit der Menschen, ihre Gemeinschaft zu pflegen, darf nicht verloren gehen. Solange ich das Gefühl habe, die Gemeinschaft braucht mich, möchte ich da sein. Da gibt es einen schönen Ausspruch, den ich noch aus meinem Studium kenne: „Sitze. Höre. Und Bleibe.“ Das ist das allerwichtigste.
Frage: Wie nehmen Sie den Konflikt mit den von Australien internierten Flüchtlingen wahr?
Jenal: Vor vier Jahren war ich mal dort im Lager auf den Manus-Inseln, es war von Anfang an sehr problematisch. Die Menschen dort stammen aus dem Irak, Iran und Afghanistan. Aber die Menschen in Papua sind nicht gefragt worden, ob sie einverstanden sind, dass hier ein Flüchtlingslager aufgemacht wird. Ich höre aus der Bevölkerung, und ich vermute das auch, dass ein Deal der Regierungen dahinter steckt: unsere Regierung nimmt Geld von der australischen Regierung, und nimmt im Gegenzug Flüchtlinge aus Australien auf. Es ist Korruption. Eine unendliche Tragik, denn es gab auch Unruhen und bereits einen Toten.
Frage: Wie bewertet die Bevölkerung von Papua-Neuguinea die Internierung dieser Flüchtlinge?
Jenal: Beide, die Bevölkerung und die Flüchtlinge, haben große Angst. Die Flüchtlinge leben sozusagen in Isolation, es gibt keinerlei Verständigung. Die Probleme der Menschen in Papua sind auch existenziell, deshalb haben die Flüchtlinge hier keinerlei Perspektive auf ein besseres Leben. Das stiftet Unruhe, es gab schon Übergriffe auf Flüchtlinge, und das Lager wurde schon mehrfach überfallen und ausgeraubt. Ein Toter musste beklagt werden.
Das Interview führte Claudia Zeisel
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