Bedrohtes Paradies
Madang/München ‐ Viele Nöte der Bewohner Papua-Neuguineas haben mit Folgen einer zerstörten Umwelt zu tun. Eine Bestandsaufnahme mit der Umwelt-Aktivistin Rosa Koian an den Küsten des Bismarck-Archipels, wo Fischer nicht mehr fischen – und eine Insel im Ozean versinkt.
Aktualisiert: 25.09.2024
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Wenn Thomas Lalos jeden Morgen von seiner Hütte aus auf die gegenüberliegende Seite der Sek-Bucht schaut, sieht er was übrig geblieben ist vom einst dicht bewaldeten Land seiner Vorfahren. Ein paar Bäume, die Beton trotzen. „A better life ahead“, lautet der Werbeslogan der größten Industriezone Papua-Neuguineas. Ein besseres Leben in Aussicht. Auch Thomas Lalos glaubte daran. Dann protestierte er gegen das gigantische Bauvorhaben – um am Ende wieder zu hoffen. Er träumte von guten Jobs für die Menschen in seinem Dorf, das nun einmal angrenzt. Er träumte von Chancen und einem guten Auskommen. Heute lebt er in einem Alptraum.
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Die Idee einer Pacific Maritime Industrial Zone (PMIZ) nördlich der Stadt Madang an der Küste der Bismarck-See, wurde vor 20 Jahren geboren. Hafenanlagen und rund zehn Fabriken auf Hunderten Hektar Land sollten aus einem der reichsten Thunfischvorkommen der Welt Unmengen an Geld ziehen – besonders für die größten Investoren China und das philippinische Unternehmen RD Tuna Canners. Und für den Staat Papua-Neuguinea, der gerne mit Land handelt, das nicht ihm, sondern Ethnien oder Clans gehört. Vor knapp zehn Jahren liefen dann die ersten Fangflotten aus. Zuletzt musste RD Tuna Schichten streichen, Schiffe blieben im Hafen vor Anker. Die Erträge seien eingebrochen, heißt es. Energiepreise gestiegen, Gebiete überfischt (Anm. d. Autoren: Bis Redaktionsschluss blieb eine mehrfache Bitte um Stellungnahme an RD Tuna unbeantwortet).
Rosa Koian will sich heute selbst ein Bild machen. Nach Wochen in der Hauptstadt Port Moresby ist die Umwelt-Aktivistin wieder in der Gegend. Mit-Aktivist Bonnie manövriert das kleine Boot zwischen den großen Trawlern von RD Tuna durch in Richtung Halbinsel Admosin (Artikelbild oben). Hier leben Angehörige der Ethnie der Sek, wie Thomas Lalos. Als die betroffenen Dorfbewohner damals gegen den Bau der Industriezone Einspruch erhoben, war Rosa Koian mit der lokalen Umwelt-Organisation Bismarck Ramu Group (BRG) an deren Seite.
Fließband statt Fische
Wie auch Camilus Manat, der hier geboren und seit Jahren für die BRG im Einsatz ist. Er ist frustriert: „Tag für Tag müssen wir den Lärm ertragen. Das Wasser in der Bucht ist verschmutzt. Aber es ist das Wasser, das uns täglich Nahrung gibt. Unser Leben hat sich zum Schlechten verändert.“ Gleichzeitig sind viele Dorfbewohner in Abhängigkeit geraten. Wie Thomas' Tochter Cecile. Die 20-Jährige verließ die Schule wegen des Jobangebots. Heute steht sie am Fließband und sortiert den Thunfisch nach Größe und Qualität. Aus den versprochenen 100 Kina die Woche, umgerechnet 25 Euro, wurde Akkordlohn. Teilweise ausbezahlt in Einkaufsschecks für die chinesischen Läden. Einige aus dem Dorf arbeiten seit Jahren in der Fabrik. Andere haben damit aufgehört und versuchen, wieder zu fischen. Wieder andere bieten als schwimmende Händler für die Seeleute Obst und Kokosnüsse an – gegen Geld oder immer öfter gegen Fisch. Rosa Koian sagt: „Ein gutes Beispiel dafür, wie Geld in die Armut drängt.“
Die 58 Jahre alte Aktivistin ist selbst an der Küste geboren. Für sie ist die Lage der Bewohner von Admosin nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, wie die Niugini täglich mit dem Druck einer energiehungrigen Welt umgehen müssen. Zuerst traf es den Regenwald, der einst der drittgrößte der Erde war und mehr als 80 Prozent der Oberfläche des Inselstaats einnahm. Weite Teile wurden innerhalb weniger Jahrzehnte gerodet, um Tropenholz zu gewinnen und Platz für Plantagen zu schaffen. Schließlich gruben sich Minen in Berge, um Nickel, Kobalt oder Gold zu gewinnen.
In ihrem Umfeld verwandelten sich Flüsse in verseuchte Abwässer und biodiverse Wälder in verödete Landstriche. Ganze Dörfer haben ihren Lebensraum verloren. Und neue, umstrittene Großprojekte kündigen sich an: Im Tiefseebergbau sollen Manganknollen für die globale Energiewende abgeschürft werden. Das Land und seine Natur – für die Niugini ein spiritueller Ort – gleicht einem Patienten.
„Wir haben eine 50.000-jährige Geschichte hinter uns“, sagt Rosa Koian. „Es kann nicht sein, dass innerhalb kürzester Zeit alles zerstört wird.“ Für sie ist klar, dass das Tempo der sogenannten Entwicklung weite Teile der melanesischen Gesellschaft ins Abseits gedrängt hat. „Wir müssen jetzt unsere Rolle finden. Dazu müssen wir uns wieder darauf besinnen, wo wir eigentlich herkommen: Wer gibt uns Nahrung? Wo finden wir Medizin? Nach welchem Rhythmus leben wir? Antworten finden wir in Land, Wald und Ozean. Wir müssen verstehen, dass viele unserer Probleme mit den Folgen einer zerstörten Umwelt zu tun haben.“ Dieses Verständnis musste Rosa Koian erst einmal selbst entwickeln. Bewusst ging die Umwelt-Aktivistin einen Schritt zurück, zu den Wurzeln der Graswurzel-Bewegung. Nun reden alle über ein neues und starkes Selbstbewusstsein. Über die „Melanesian Identity“, das melanesische Selbst.
Daran arbeitet die Bismarck Ramu Group. John Chitoa, der die Gruppe seit ihrer Entstehung vor bald 30 Jahren koordiniert, lädt zum Meeting in die Mangroven bei dem Dorf Riwo. Ganz bewusst hat sich das Netzwerk hier seine Zentrale geschaffen. Die kleine Versammlungshalle ist aus natürlichen Materialien gebaut und steht auf Stelzen im flachen Meer. Von hier aus behält das Team, das mehrere Ethnien und verschiedenste soziale Milieus vereint, die Natur im Blick – und die To-dos. Längst wurde das Einsatzgebiet über den Ramu-Fluss und die Bismarck-See hinaus erweitert: „Unser Highlight für dieses Jahr ist der Austausch mit Gruppen in Palau und Fidschi“, erzählt John Chitoa. „Wir erarbeiten ein Konzept, wie die melanesische Stimme in der gesamten Region gestärkt werden kann.“
Praktisch setzt dieses Vorhaben zum Beispiel Aileen Baretta um. Die Tochter eines Clanchefs hat ihre ganze Kindheit auf einer Insel verbracht. Jetzt bringt sie ein Lernprojekt voran. „Niugini lebten traditionell von Tag zu Tag. Das geht nicht mehr. Wir müssen lernen, die Zukunft im Blick zu haben und Initiativen zu starten, bei denen jeder mitmachen und etwas bewirken kann“, erklärt Baretta. „Umweltschutz und Klimawandel spielen an den Schulen noch keine Rolle. Also fangen wir damit an.“ So schult die BRG nun an der größten Ausbildungsstätte für angehende Lehrer im Land zu diesen Themen. Auch in die Dörfer werden Programme getragen, wie die Renaturierung von Korallen. John Chitoa sagt: „Die Menschen müssen gut informiert sein, damit sie die Kontrolle haben und Entscheidungen treffen können. Dann tragen wir das Echo der melanesischen Stimme weiter.“
Der Strand verschwindet
Doch noch klingt die melanesische Stimme mancherorts eher wie ein Hilferuf. Zum Beispiel von der Insel Mazaz, eine von rund 200 Inseln, die im Bismarck-Archipel liegen. Bei Sonnenaufgang startet das kleine Boot der Bismarck Ramu Group doch noch raus auf den Pazifik. Benzin musste aufgetrieben werden. Auch für die gut organisierten Aktivisten ein teures und manchmal seltenes Gut. Nach gut einer halben Stunde Fahrt auf glatter See scheinen am Horizont Palmen aus dem Ozean zu wachsen. Mazaz, wenig größer als ein halbes Fußballfeld, hebt sich kaum einen Meter vom Meeresspiegel ab. Umgestürzte Bäume ragen ins Meer. Rosa Koian zieht deutlich hörbar die Luft ein: „Ich war lange nicht mehr hier“, sagt sie. „Der Unterschied ist erschreckend. Wo ist der Strand geblieben?“
Auf der Insel Mazaz leben dauerhaft gut 40 Menschen. Manche von ihnen seit mehreren Generationen. Eine Handvoll selbstgebaute Hütten, Hühner laufen umher. Regenwasser fangen die Inselbewohner als Trinkwasser auf. Solarpaneele sorgen für Licht und die Möglichkeit, Fische zu kühlen und die Handys zu laden. Am kleinen Strand liegen selbstgebaute Ausleger-Kanus und ein Außenborder. Mit diesem macht sich jeden Morgen einer aus der Insel-Gemeinschaft auf nach Madang, im Gepäck die Kühlbox mit Fisch und Oktopus sowie alle Schulkinder. Während diese Unterricht haben, wird Fisch auf dem Markt verkauft und Obst, Gemüse und Getreide gekauft.
Noch vor wenigen Jahren war die Insel deutlich größer, berichten die Bewohner. Der steigende Meeresspiegel und stärkere Wellen nehmen sich den Strand, Zentimeter für Zentimeter. Nachdem die Insel mehrfach überspült worden war, fiel auch der einzige Mangobaum dem Salzwasser zum Opfer. Zuletzt war es zum Jahresende wieder soweit gewesen, während der sogenannten „king tide“, einer im jährlichen Rhythmus wiederkehrenden Flut. Die Melanesier kennen sie. Noch nie jedoch hatten die Wellen die Insel ganz überrollt. Simon Jaking, der Älteste der Gemeinschaft, erinnert sich: „Die Hütten und Geräte waren im Wasser. Mein Bett, das immer draußen unter einem Dach im Sand steht, stand im Meer. Das war früher nicht so.“ Der 68-Jährige, der seit einem Sturz nicht mehr gut zu Fuß ist, macht sich Sorgen: „Ich frage mich, wo und wie meine Enkelkinder leben werden. Wir leben vom Meer. Und es gibt nicht genug freies Land, um woanders einen Platz zu finden.“
Drei Tage später ist Rosa Koian zurück in Port Moresby. Eben saß sie noch im Tagungsraum der Katholischen Bischofskonferenz. Man kennt sich und ist gut vernetzt – wie auch mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Jetzt fährt sie nach Norden raus, an den Stadtrand. Dort hat sie Jugendliche zu einem Workshop geladen.
Junge Generation will neu denken
„Wenn die Menschen in Europa denken, dass Umsiedelung die Lösung ist, haben sie nicht verstanden“, sagt Rosa Koian mit Blick auf die Sorgen auf Mazaz. „Jeder Quadratmeter ist angestammtes Land, das seit Generationen besiedelt ist.” Auch das, das sich die Regierung oder die Kirchen einmal angeeignet haben. Sie findet: „Auch die Kirchen müssen zuhören. Es ist ihre Verantwortung, an der Seite der Menschen zu sein.“
Ankunft in Badihagwa. Rosa Koian hat gute Kontakte und jemanden gefunden, der sein Haus zur Verfügung stellt. „Keine einfache Gegend“, sagt sie – und ist froh, dass der Kurs überhaupt stattfindet. Erst vergangene Woche gab es wieder Unruhen im Viertel. Männer konsumieren selbst angesetzten Alkohol, die meisten Kinder und Jugendlichen verlassen früh die Schule, wenn sie überhaupt eine besuchen. Für ihre Workshops wählt die Umwelt-Aktivistin, die Kommunikation studiert hat, bewusst solche Orte und bewusst junge Frauen und Männer aus. Neue Medien sind der Schlüssel für sie. Sie sollen dabei helfen, das Interesse einer jungen Generation dafür zu wecken, gut informiert zu sein und an einer guten Zukunft für ihr Land mitzuwirken. Rosa Koian sagt: „Nur mit einer starken Stimme werden die Anliegen der Menschen in Ozeanien gehört“ – in der Sek-Bucht und weltweit.
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