Schwester Daisy Anne Lisania leitet die Kommunikationsabteilung der Bischofskonferenz von Papua Neuguinea und den Salomonen.
Wie eine Ordensschwester Kirchenmedien und Bischöfe auf Trab hält

Das Land sind wir

Der Meeresspiegel steigt, Dörfer werden umgesiedelt. Ausländische Firmen überbieten sich im Wettlauf um wertvolle Rohstoffe. Die Bewohner Papua-Neuguineas wollen nicht länger Zuschauer beim Aus­verkauf ihrer Lebensgrundlagen sein. Besuch bei einer „Lady Bishop“, die zeigt, was dafür nötig ist.

Erstellt: 09.09.2024
Aktualisiert: 05.09.2024
Lesedauer: 
Von Kristina Balbach | Fotos: Jörg Böthling

Schwer vorstellbar, dass es etwas gibt, das diese Frau nicht mit Erfolg anpackt. Damit ist Daisy Anne Lisania in Papua-Neuguinea nicht nur Teil einer Minderheit, sondern eine Ausnahme. Eine Frau mit einem Selbstverständnis, aus dem mehr als ein Job wurde.

Frauen gibt es auf dem drittgrößten Inselstaat der Welt mit seinen gut zehn Millionen Bewohnern weniger als Männer. Gleichzeitig haben weniger Frauen als Männer die Chance, Lesen und Schreiben zu lernen. Männer diskriminieren Frauen, in allen Bereichen ihres Alltags. Sie werden geschlagen oder der Hexerei beschuldigt. Das hat mit kulturellen Normen zu tun, aber auch mit großen Spannungen, die der rasende Wandel in der melanesischen Gesellschaft verursacht. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte wurden tief in Traditionen verwurzelte Ethnien in die Moderne katapultiert.

Papua-Neuguinea und die Salomonen-Inseln auf der Weltkarte.
Bild: © Peter Hermes Furian/stock.adobe.com

So hält das Leben in Papua-Neuguinea für die meisten Frauen im Jahr 2024 eine frühe Ehe bereit, viel Gewalterfahrung und ein Leben in Armut. Schwer vorstellbar also, wenn man diese eine Frau in der Hauptstadt Port Moresby trifft und sie bei ihrer Arbeit für die katholische Bischofskonferenz begleitet. Autotür auf, schnell noch was ins Handy getippt. Eine kleine Frau, die Raum einnimmt.

Gerade ist eine Gruppe aus Rom angereist. Eine Handvoll Männer in schwarzen Anzügen und eine Frau. Sie bereiten den Besuch von Papst Franziskus im September vor. Die Stimmung beim vatikanischen Orga-Team ist angespannt, seit durchgesickert ist: Das Oberhaupt der katholischen Kirche will ausgerechnet den Außenposten Vanimo besuchen, weit im Nordosten der Insel. Sr. Daisy Lisania kann ihre Sympathie für diese Idee nicht verhehlen. Fahrer Freddy startet den Motor. „Würdest du mich beim Außenministerium absetzen?“, bittet sie. Wenige Sekunden später klingelt das Handy. „Okay, Planänderung.“ Sie dreht sich zu ihren Besuchern um und sagt immer noch gut gelaunt: „So geht das den ganzen Tag. Welcome to Papua New Guinea! Expect the unexpected!“ – Erwarte das Unerwartete.

Was sie selbst vom Leben erwarten sollte, war für die heute 47-jährige Ordensfrau lange nicht klar. Aufgewachsen in einer der südlichen Provinzen, lebte sie mit der Mutter und den Geschwistern von dem, was Garten und Meer hergaben – wie das auch heute rund Dreiviertel der Bewohner des Landes tun. Der Vater hatte die Familie verlassen. Eine überschaubare Perspektive. Die Kirche hatte da mehr im Angebot. Also entschied sich die gute Schülerin dafür, Ordensfrau zu werden. Eine Chance, das Dorf zu verlassen und etwas bewegen zu können – losgelöst vom allumfassenden „Wantok“-System (von englisch „one talk“ für „eine Sprache“), das jede und jeden Papua aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder einem Clan fest an eine Gemeinschaft bindet, aber gleichzeitig große Abhängigkeiten schafft.

Junge Leute wie entwurzelt

Mit Anfang 40 wollte Sr. Daisy es dann noch einmal wissen: Mit einem Stipendium in der Tasche ging sie für drei Jahre auf die Philippinen, um Journalismus und Theologie zu studieren. Seit zwei Jahren leitet sie die gesamte Kommunikation der katholischen Bischofskonferenz für Papua-Neuguinea und die Salomonen – als erste Frau und Niugini. Für die selbstbewusste Herz-Jesu-Missionarin in diesen Tagen nichts weniger als die Schlüsselstelle: „Die Kirche ist in Papua-Neuguinea präsent, auf allen Kanälen. Das ist umso wichtiger, da es unsere Regierung nicht ist“, sagt sie am Schreibtisch. Vom Büro der Bischofskonferenz sind es nur wenige Autominuten zum Parlament und in die City einer Hauptstadt, die gerade einmal gut 350 000 Einwohner zählt. „Wir sind in den entlegensten Gebieten. Wir machen Bildung möglich, Gesundheitsversorgung, und wir stärken Frauen.“

Allein mit diesen großen Aufgaben – bis zu 40 Prozent der Papua sind Analphabeten – könnte die Kirche im Pazifik ihre To-Do-Liste schon mehr als ausfüllen. Aber die nächsten großen Herausforderungen stehen längst bereit. Und es scheint, als müssten dafür Kräfte weit über die Kirche hinaus zusammengeführt werden. „Die Folgen einer globalisierten Welt haben unser Land ins Wanken gebracht“, erklärt Sr. Daisy. „Wir kämpfen gegen den steigenden Meeresspiegel und gegen die Ausbeutung von Rohstoffen durch ausländische Unternehmen. Gerade die jungen Leute sind wie entwurzelt. Viele von ihnen finden keine Arbeit. Gewalt ist ein großes Problem. Wir müssen den Menschen dabei helfen, mit dem Wandel klarzukommen.“

Sr. Daisy packt ihre Unterlagen in die Tasche. „Meine Vorgänger saßen meistens am Schreibtisch“, sagt sie. „Man muss aber rausgehen!“ Gleich ist Meeting mit dem Team der kircheneigenen Radiostation. „Vielleicht haben nicht alle Internet – aber Radiogeräte findet man überall“, sagt Sr. Daisy nach dem Gespräch mit der Programmkoordinatorin. Es gibt neue Ideen beim Sender. In Zukunft sollen mehr Gäste ins Studio eingeladen werden, um Themen von der Basis ans Mikro zu holen. Anschließend ein Treffen mit der Redaktion der ökumenischen Wochenzeitung „Wantok“, zu deren Austrägerkreis Sr. Daisy einst selbst gehörte. Bis heute informiert das Blatt – das als einziges landesweit in der gemeinsamen Sprache Tok Pisin erscheint – die Menschen noch im entlegensten Dorf. Piloten des christlichen Flugdienstes MAF (Missionary Aviation Fellowship) nehmen die „Wantok“ bei ihren Einsätzen mit. Praktischerweise laufen auf dem Gelände der Bischofskonferenz die Fäden der Medienschaffenden zusammen.

Ein weiteres Medium der Kirche in Papua-Neuguinea ist seit vielen Jahren der Protest an der Seite der Ethnien. Die gemeinsame Sorge um die Umwelt, die in der melanesischen Tradition mehr ist, als bloße Lebensgrundlage. Sie ist Identität. So standen in der Vergangenheit Kirchenvertreter neben Aktivisten bei Demonstrationen gegen den Raubbau in Minen oder den geplanten Tiefseebergbau. Im Pazifik ein Einsatzfeld der Kirche, lange bevor Papst Franziskus 2015 seine Umwelt-Enzyklika veröffentlichte. Gemeinden werden dabei unterstützt, erodierende Küstenstreifen zu befestigen oder Mangroven zu pflanzen.

Über allem steht jedoch derzeit die Bewusstseinsbildung durch Kommunikation. „Um eine Stimme zu haben, müssen alle gut informiert sein“, sagt Sr. Daisy. „Insofern ist Kommunikation für mich Nächstenliebe! Ich hoffe sehr, dass Papua-Neuguinea vorankommt und dass wir erkennen, welche Rolle wir in diesem ganzen Gefüge einnehmen.“ Die Ordensfrau ist von der Idee überzeugt, dass eine starke melanesische Kultur gut daran täte, auf starken Frauen zu gründen. „Ich wünsche mir, dass mehr Frauen Führungsrollen übernehmen. Dass mehr Frauen als nur zwei im Parlament vertreten sind. Dass Männer erkennen, wieviel Frauen bewegen können!“

Einer, der das sehr wohl wahrnimmt, ist der oberste Kirchenmann der Katholiken in Papua-Neuguinea, Kardinal John Ribat. Für ihn ist Sr. Daisy Lisania ein Vorbild: „Jemand wie sie ermutigt die Menschen. Es ist offensichtlich, dass Frauen eine Gemeinschaft voranbringen und Einheit und Frieden schaffen können.“

Sr. Daisys Einsatz hat sich inzwischen bis nach Rom herumgesprochen. Dazu brauchte es nicht einmal die Männer in schwarzen Anzügen. Als zuletzt alle Bischöfe aus Papua-Neuguinea zum Austausch bei Papst Franziskus antraten, nahmen die pazifischen Kirchenoberen kurzerhand ihre erste Sprecherin mit. Ein Novum und ein klares Statement aus Ozeanien an den Rest der Welt. Der Papst sagte, er freue sich, „Lady Bishop“ kennenzulernen.

Land mit Kolonialgeschichte

Bis heute erzählen geographische Namen wie Bismarck-Archipel und Finschhafen von der Zeit Papua-Neuguineas als Kolonie des Deutschen Kaiserreichs. Deutsche und Briten hatten Ende des 19. Jahrhundets den östlichen Teil der Insel unter sich aufgeteilt. So wurde der Norden mit einigen Inseln von 1884 bis zum ersten Weltkrieg 1914 von den deutschen Kolonialisten „Kaiser-Wilhelms-Land“ genannt.

Die Geschichte deutscher Missionarinnen und Missionare in der Region begann bereits früher. 1852 kamen die ersten katholischen Missionare an, vornehmlich Herz-Jesu-Missionare und Steyler. 1886 nahmen dann die protestantischen Neuendettelsauer ihre Mission auf. Nicht nur die Verkehrssprache Tok Pisin zeugt mit deutschsprachigen Elementen davon. Es gibt Schulen und Krankenstationen, Kindergärten oder Frauenhäuser, die bis heute von kirchlichen Trägern geführt werden. Rund 60 Prozent der Papua zählen sich zu den verschiedenen protestantischen Kirchen, 30 Prozent sind katholisch.

Papua-Neuguinea wurde 1975 von Australien unabhängig. Schwierig ist bis heute die Debatte um die Verantwortung für die Folgen des Wandels in der melanesischen Gesellschaft wie auch für die vielen Fälle von Landraub. Nicht nur Kolonialisten, auch die Kirchen nahmen sich zu unrechten Bedingungen Land, das Ethnien gehört. Diskutiert wird auch die Rückgabe von enteigneten oder geraubten Kulturgütern. In ethnologischen Sammlungen in Deutschland finden sich noch immer viele Exponate aus Ozeanien, darunter das Luf-Boot.

Missio München

Mehr zum Thema