Wegen globaler Ungleichheit: Wirtschaftsexperten schlagen Alarm
Ruf nach weltweitem Kurswechsel vor dem G20-Gipfel in Südafrika

Wegen globaler Ungleichheit: Wirtschaftsexperten schlagen Alarm

Johannesburg  ‐ Weltweit wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Die Ungleichheit bedrohe Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie, warnt eine Expertengruppe vor dem G20-Gipfel in Südafrika.

Erstellt: 04.11.2025
Aktualisiert: 04.11.2025
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Von Andreas Landwehr (KNA)

Ein Bericht für den Gipfel der großen Industrie- und Schwellenländer (G20) in Südafrika schlägt Alarm wegen eines wachsenden „Ungleichheitsnotstands“ in der Welt. Darin warnen unabhängige Experten vor einem Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie einer Aushöhlung der Demokratie und des wirtschaftlichen Fortschritts. Sie schlugen am Dienstag die Schaffung einer internationalen Kommission zur Ungleichheit (IPI) vor. Sie soll nach dem Vorbild des zwischenstaatlichen Gremiums der Vereinten Nationen zum Klimaschutz (IPCC) technische Expertise im Kampf gegen Ungleichheit zusammentragen.

Zwischen 2000 und 2024 hätten das reichste ein Prozent der Weltbevölkerung 41 Prozent des gesamten neu geschaffenen Vermögens auf sich vereint, während lediglich ein Prozent an die ärmere Hälfte gegangen sei, heißt es in der Analyse der Expertengruppe unter Führung von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Das Gremium war von Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa für die gegenwärtige G20-Präsidentschaft seines Landes eingesetzt worden. Der Gipfel der G20-Gruppe findet am 22. und 23. November in Johannesburg statt.

Das auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs zu gründende Komitee soll Trends verfolgen und deren Ursachen und Folgen analysieren sowie nach politischen Alternativen suchen. „Die Welt versteht, dass wir einen Klimanotstand haben; es ist an der Zeit, dass wir anerkennen, dass wir auch einem Ungleichheitsnotstand gegenüberstehen“, sagte Nobelpreisträger Stiglitz. „Ungleichheit ist nicht nur ungerecht und untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt – sie ist auch ein Problem für unsere Wirtschaft und Politik.“

83 Prozent aller Länder erfüllten die Definition der Weltbank für hohe Ungleichheit, heißt es in dem Bericht. Dort lebten 90 Prozent der Weltbevölkerung. Solche Länder hätten eine siebenmal höhere Wahrscheinlichkeit, demokratische Rückschläge zu erleben. Jede Person im reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung habe seit 2000 im Durchschnitt 1,3 Millionen US-Dollar an Vermögenszuwachs verzeichnet. Hingegen habe jede Person in der ärmeren Hälfte nur 585 US-Dollar mehr – in konstanten Dollarwerten von 2024.

Experten fordern G20 zum Handeln auf

Die Ereignisse seit 2020, darunter die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg sowie neue Zölle und Handelsstreitigkeiten schafften eine katastrophale Kombination von Faktoren, die Armut und Ungleichheit weiter verstärkten, so Stiglitz und seine Mitstreiter. „Weltweit muss inzwischen jede vierte Person regelmäßig Mahlzeiten auslassen, während das Vermögen von Milliardären ein historisches Rekordniveau erreicht hat.“

Die Gruppe der führenden 20 Wirtschaftsnationen könne helfen, internationale Wirtschaftsregeln zu reformieren, eine faire Besteuerung zu erreichen und neue Modelle für die Kooperation auch bei Handel und grüner Transformation zu entwickeln, schlugen die Experten vor. Die einzelnen Staaten könnten zudem mehr für Arbeitnehmer tun, die Konzentration großer Unternehmen verringern, hohe Kapitalgewinne besser besteuern, in öffentliche Dienstleistungen investieren sowie eine progressivere Steuer- und Ausgabenpolitik verfolgen.

Eine wachsende Ungleichheit mache Menschen verletzlicher und schüre Frust und Verbitterung – mit Folgen für Zusammenhalt und Vertrauen in Staat und Institutionen, warnten die Experten. Fehlende Bildung, Gesundheit und Ernährung bremsten die Produktivität und schwächten die Wirtschaft. Ungleichheit treibe Schulden hoch und gefährde die Stabilität.

„Dieser historische Bericht könnte zu keinem passenderen Zeitpunkt erscheinen“, kommentierte der Exekutivdirektor der Entwicklungsorganisation Oxfam, Amitabh Behar, die Einlassungen der Experten. Südafrika habe großen Mut gezeigt, indem es den Kampf für eine gerechtere Welt ins Zentrum seiner G20-Agenda gestellt habe. „Es zeigt, dass eine andere Welt möglich ist: nicht von und für Milliardäre regiert, sondern von und für uns alle anderen.“

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