Misereor: Keine Hilfsprojekte in Afghanistan ohne Frauen
Bundesregierung soll Handlungsspielräume nutzen

Misereor: Keine Hilfsprojekte in Afghanistan ohne Frauen

Aachen ‐ Versteckt, verdrängt, misshandelt – Frauen werden nach Angaben von Misereor in Afghanistan immer weiter unterdrückt und ihrer Rechte beraubt. Das soll nun auch Auswirkungen auf die Förderprojekte des Hilfswerks haben.

Erstellt: 25.11.2024
Aktualisiert: 22.11.2024
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Das katholische Hilfswerk Misereor hat angekündigt, in Afghanistan künftig nur noch Projekte zu fördern, von denen auch Frauen im Land profitieren. „Wenn die Hilfe afghanische Frauen nicht mehr erreichen kann, ist für Misereor eine rote Linie erreicht“, erklärte die Entwicklungsorganisation am Freitag in Aachen. Die Grundbedürfnisse von Frauen und Mädchen, Gesundheitsversorgung und Bildungschancen müssten klare Ziele der Entwicklungszusammenarbeit sein. Auch die Bundesregierung müsse ihren Handlungsspielraum vollständig ausnutzen, um Frauen zu erreichen, forderte Misereor. „Egal wie klein die Spielräume sind: jede Chance, die Frauen im Land zu erreichen, sollte genutzt werden“, erklärt Anna Dirksmeier, Misereor-Expertin für Afghanistan.

Das Hilfswerk äußerte sich anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am Montag (25. November). Laut Misereor hat sich seit der erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Sie würden aus dem öffentlichen Raum verdrängt, es gälten Rede- und Bildungsverbote. Zudem seien Frauen teilweise schutzlos Gewalt und Misshandlung durch sogenannte Tugendwächter ausgesetzt, die die Einhaltung der strengen Sittengesetze überwachten. Alleine im Oktober habe das Taliban-Regime rund 100 frauenfeindliche Dekrete als Tugendgesetz verabschiedet.

Humanitäre Lage „desaströs“,

„Frauenstimmen sollen nicht gehört werden, nicht in der Öffentlichkeit, nicht in den Gemeinden, nicht in den Gebeten“, sagt Amira Shirin*, eine Misereor-Projektpartnerin aus Afghanistan, die sich aktuell in Deutschland aufhält. Dass Frauen nicht mehr in der Öffentlichkeit sprechen dürfen, ist Folge des eingeführten Tugendgesetzes, das die Frauen in allen Lebensbereichen einschränkt. „Die repressiven Regeln haben unser Leben immer stärker im Griff. Frauen, die sich einst frei bewegen konnten, sind nun in die Dunkelheit gedrängt und hinter Schleiern verborgen. Die Angst vor Entführung, Gewalt und sogar Mord ist ein ständiger Begleiter für afghanische Frauen“, so Shirin. Frauen werden von der Taliban als „Verführerinnen“ von Männern sexualisiert. Die Gesetzesvollstrecker, sogenannte Tugendwächter, dürfen bei Nichtbeachtung der Vorschriften nach eigenem Ermessen strafen – ihre Gewalt richtet sich oftmals gezielt gegen Frauen.

Ähnlich äußert sich sich auch Afghanistan-Expertin Dirksmeier. „Die Situation im Land ist desaströs“, betont sie. Die neuen Gesetze des Terror-Regimes trieben viele Frauen und ihre Kinder in den Hunger. Besonders hart treffe es Witwen und Alleinerziehende. Laut der Vereinten Nationen lebt 97 Prozent der Bevölkerung in Armut. Über die Hälfte der 42 Millionen Einwohner*innen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. Der Europäische Gerichtshof hat im Oktober zugesichert, dass allen afghanischen Frauen in der EU ein Recht auf Asyl zusteht. „Das ist ein einmaliges und klares Zeichen dafür, wie dramatisch die Lage für Frauen ist. Doch eine Flucht ist so gut wie unmöglich. Ihre Grundrechte werden mit Füßen getreten“, so Dirksmeier.

weltkirche.de/KNA/Misereor

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