
Afghanistans Frauen – Leben im Schatten der Taliban
Bonn/Kabul ‐ Trotz massiver Einschränkungen durch die Taliban versuchen Afghaninnen, sich ihren Platz in der Gesellschaft zu bewahren – oft heimlich und mit großem Risiko.
Aktualisiert: 11.03.2025
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Seit die Taliban im August 2021 in Afghanistan die Macht an sich gerissen haben, werden die Rechte der Frauen mit immer schärferen Gesetzen mehr und mehr beschnitten. Die Vereinten Nationen sprechen von einer Gender-Apartheid – Mädchen und Frauen würden in Afghanistan systemisch und allumfassend unterdrückt. Parvina Tadjibaeva leitet seit dem Spätsommer 2024 das Büro von Caritas international in Kabul. „Die Lage der Frauen am Hindukusch ist besorgniserregend“, sagt sie. Das öffentliche Leben habe sich radikal verändert. Frauen könnten, wenn überhaupt, nur unter großen persönlichen Risiken an einem gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Auf den Straßen, in Geschäften und Restaurants der Hauptstadt sehe sie zwar weiterhin Frauen, berichtet die Büroleiterin – „sie sind gut gekleidet, geschminkt und haben ihre Fingernägel gemacht“. Frauen arbeiteten zudem weiterhin bei der Bank des Flughafens und liefen auch ohne männliche Begleitung – anders als von den Taliban vorgeschrieben – durch die Stadt. Statt Burka trügen viele die Abaya, ein verhüllendes Gewand, sowie ein Kopftuch.
„Es gibt aber natürlich große Unterschiede zwischen Stadt und Land“, betont Tadjibaeva. Und weiter: „Und wenn wir über Gleichberechtigung sprechen, meinen wir ein grundlegendes Recht auf Lernen, auf ein unabhängiges Leben und auf einen persönlichen Freiraum. Problematisch wäre es, wenn ‚gemachte Nägel‘ die Missstände der Frauenrechte bloß überdecken.“
Seit August 2024 gilt in Afghanistan ein sogenanntes Tugendgesetz, dass Frauen unter anderem vorschreibt, ihren Körper und ihr Gesicht zu verdecken, nicht laut in der Öffentlichkeit zu sprechen oder zu singen und das Haus nur mit einem „mahram“ – einem männlichen nahen Verwandten – zu verlassen. Wie aus dem Länderreport des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hervorgeht, gibt es Berichte von Frauen, die von den Taliban verhaftet und gefoltert wurden, wenn sie ohne „mahram“ angetroffen wurden oder die Taliban einen männlichen Begleiter nicht als solchen akzeptierten. Hilfsorganisationen beklagen zudem, dass Frauen etwa bei häuslicher Gewalt jeglicher Zugang zu Unterstützungssystemen verwehrt ist. Die Abhängigkeit von Männern ist demnach total.
Zuletzt bestimmten die Taliban, dass Häuser keine Fenster mehr haben dürfen, durch die in Räume geschaut werden kann, die von Frauen genutzt werden. Schon seit 2022 ist es Afghaninnen verboten, Sporteinrichtungen oder Freizeitparks zu besuchen. Schönheitssalons – Rückzugsort und Einnahmequelle für Frauen – mussten schließen, die Bildung für Mädchen und Frauen wurde auf sechs Schuljahre begrenzt. Auch die Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen, ist durch die Taliban stark eingeschränkt worden. Vor rund zwei Jahren verboten sie Frauen etwa die Arbeit in Nicht-Regierungs-Organisationen – inzwischen dürfen sie dort in medizinischen Projekten wieder tätig sein.
„Es ist auch Stress, sich diese Freiheit immer wieder zu erkämpfen, sich zu rechtfertigen. Das machen nicht alle Frauen lange mit, wenn überhaupt.“
So auch bei Caritas international. Die Hilfsorganisation hat nach dem Erlass des Arbeitsverbot für Frauen nichtmedizinische Projekte pausiert, einige konnten wieder anlaufen und sind nunmehr auch abgeschlossen. Die Hilfen umfassen außer besondere Mutter-Kind-Gesundheitsprojekte auch humanitäre Nothilfe, in allen Maßnahmen sind Frauen beteiligt. Im Kabuler Büro arbeiten neben Tadjibaeva und ihrer Stellvertreterin zwei weitere Frauen – allerdings nur von zu Hause aus. Die Hilfsorganisation, die seit 40 Jahren in Afghanistan tätig ist, hat zwar ein separates Büro eingerichtet, jedoch sei es für die Mitarbeiterinnen durchaus schwierig, dort zu arbeiten, meint Tadjibaeva. „Sie sind unverheiratet und müssten täglich von ihrem Vater oder einem ihrer Brüder zur Arbeit begleitet werden.“
Familien, deren Töchter arbeiteten, stünden zudem grundsätzlich unter gesellschaftlicher Beobachtung, was es für sie schwer mache. Zwar gebe es Mitarbeiterinnen anderer Hilfsorganisationen, die sich aufmachten ins Büro, weiß Tadjibaeva, „aber dafür muss man schon Mut haben und die volle Unterstützung der Familie“, sagt sie. „Es ist auch Stress, sich diese Freiheit immer wieder zu erkämpfen, sich zu rechtfertigen. Das machen nicht alle Frauen lange mit, wenn überhaupt.“
Die 47-Jährige ist Tadschikin, ihr Heimatland grenzt direkt an den Nordosten Afghanistans. „Die Traditionen und die Kultur der beiden Länder sind sich sehr ähnlich“, sagt Tadjibaeva, die in Deutschland studiert und einige Berufsjahre hier verbracht hat. Auch für sie selbst sei keine berufliche Karriere vorgesehen gewesen, sondern Heirat und Familie. Die hat sie zwar auch, aber gleichzeitig hat sich die Caritas-Mitarbeiterin beruflich verwirklicht.
„Ich habe mich dem widersetzt und mich durchgesetzt und mir so ermöglicht, anders zu sein und meine Zukunft zu gestalten“, sagt die 47-Jährige. Diesen Samen will sie nun in die Köpfe ihrer 24 männlichen Kollegen säen. „Ich rede viel und gerne mit ihnen darüber, dass Frauen zwar anders sind als Männer, aber ihnen gleiche Rechte zustehen. Ich versuche, sie aufzuklären, und es gibt wirkliche kleine Aha-Effekte.“
Zwei ihrer Kollegen hätten ihr schon gesagt, dass sie sich wünschten, ihre Töchter würden wie sie werden. „Wenn nur ein Mann das sagt, dann habe ich schon gewonnen“, freut sich die Büroleiterin. Sie ist überzeugt: Ohne die Männer wird sich für die Frauen in Afghanistan nichts zum Positiven verändern. Und auch den Afghaninnen will sie Vorbild sein. „Ich möchte ihnen demonstrieren, was möglich ist: dass eine Frau Führungskraft sein kann, wie das bei vielen afghanischen Organisationen der Fall ist, wo ich starken, mutigen Frauen begegne. Ich bin in einer ähnlichen Kultur aufgewachsen und ich weiß, Afghaninnen können und verdienen es auch“.
Gleichzeitig hört Tadjibaeva auch immer wieder Ernüchterndes: So sind viele Väter von Töchtern besorgt, wie es mit ihren Kindern weitergehen kann. Manche versuchten, ihre Töchter in heimlich stattfindenden Kursen über das sechste Schuljahr hinaus lernen und ausbilden zu lassen. Andere suchten nach einem Weg, die Töchter ausreisen zu lassen, um ihnen einen Zugang zu Bildung und Arbeit zu ermöglichen – und eine bessere Zukunft.
Erst Ende des vergangenen Jahres hat die Caritas in Kabul ein Fest für die Kinder der Mitarbeitenden ausgerichtet. Dabei waren auch junge Frauen, die nach zwei Jahren zum ersten Mal das Haus verlassen haben. „Es war unvorstellbar, wie begeistert sie waren“, erinnert sich Tadjibaeva. Sie erklärt, dass afghanische Familien meist Großfamilien seien; in einem Haushalt lebten gut und gerne 15 bis 20 Menschen zusammen. Es gebe viele Besuche, Feiern von Hochzeiten und anderen Festen. Dennoch sagt die Büro-Chefin: Das Leben im von Armut gezeichneten Afghanistan sei hart, ganz besonders für Frauen.

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