„Sanktionen waren erfolglos“
Aachen ‐ 13 Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs mehren sich in Europa Stimmen, die eine Neuausrichtung der Politik gegenüber Damaskus fordern. Das katholische Hilfswerk Misereor sieht es inzwischen ähnlich.
Aktualisiert: 14.08.2024
Lesedauer:
In der Debatte um eine Kursänderung in der Syrien-Politik fordert nun auch das Bischöfliche Hilfswerk Misereor ein Umdenken. „Die derzeitige, von Sanktionen geprägte Politik der Europäischen Union gegenüber Syrien ist erfolglos geblieben. Es wird in absehbarer Zeit keine Veränderung und keine Entwicklung in Syrien ohne die Regierung von Präsident Baschar al-Assad geben“, sagte Bernd Bornhorst, Geschäftsführer von Misereor und Leiter von dessen Hauptabteilung Internationale Zusammenarbeit, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag.
Der jetzige Zustand in Syrien sei für einen großen Teil der Bevölkerung in humanitärer und wirtschaftlicher Hinsicht katastrophal und könnte zu weiteren Migrationsbewegungen nach Europa führen. „Durch Gespräche und eine diplomatische Annäherung könnte versucht werden, einen politischen Einfluss auf die Regierung in Damaskus geltend zu machen.“ Allerdings seien die Erfolgsaussichten solcher Gespräche vermutlich begrenzt. „Es muss bei einer Annäherung an die syrische Regierung unter Assad vor allem um politische Reformen gehen - für die Bevölkerung im Land, aber auch, um rückkehrenden Geflüchteten Sicherheits- und Schutzgarantien geben zu können“, so Bornhorst.
Die Frage der Abschiebung nach Syrien sieht der Misereor-Geschäftsführer kritisch. Das jüngste Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster, das Syrien als nicht mehr vom Krieg betroffen einstufte, sei keine Grundlage für eine Migrationspolitik, über die geflüchtete Menschen aus Deutschland nach Syrien abgeschoben werden sollen. Zwar urteile das Gericht, dass Zivilpersonen in Syrien keiner ernsthaften Bedrohung ihres Lebens ausgesetzt seien und somit keinen Anspruch auf subsidiären Schutz in Deutschland haben. „Allerdings zeigen Recherchen des 'Mediendienstes Integration', dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits seit 2020 subsidiären Schutz nicht mehr aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage durch den syrischen Bürgerkrieg vergibt.“
Stattdessen sei die Mehrheit der Entscheide mit der ansonsten drohenden „Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“ in Syrien begründet. In seiner Begründung widerspreche das OVG Münster dem Lagebericht des Auswärtigem Amtes, der besagt, dass es in Syrien weiterhin „keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter“ gebe. Die Einschätzung des AA decke sich auch mit den Erfahrungen der Misereor-Partner in der Region. „Demnach finden noch immer schwerste Menschenrechtsverletzungen in Syrien statt.“ Die vom AA abweichende, demnach stabile Sicherheitslage laut OVG Münster basierte auf der Einschätzung des Dänischen Flüchtlingsdienstes DIS.
Syrischer Bischof in Deutschland begrüßt neue Syrien-Politik
Der aus Syrien stammende Antiochenisch-Orthodoxe Bischof Isaak Barakat begrüßt den Vorstoß westlicher Außenminister, sich Syrien diplomatisch anzunähern. „Wir sehen hierin die Chance, durch Dialog und diplomatische Annäherung den leidenden Menschen in Syrien konkret zu helfen“, sagte der Metropolit des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Antiochia für Deutschland und Mitteleuropa am Dienstag gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Barakat nannte ausdrücklich die Wiedereröffnung der italienischen Botschaft in Damaskus und die Forderungen nach einer neuen Syrien-Politik.
Zuletzt hatten acht EU-Länder unter Führung Italiens und Österreichs einen Kurswechsel gegenüber dem Assad-Regime gefordert. In einem Diskussionspapier für das EU-Außenministertreffen in Brüssel argumentierten sie, dass der Bürgerkrieg in weiten Teilen beendet sei, Europa aber aufgrund der Sanktionsfolgen weiterhin unter belastenden Migrationsströmen leide. Sie plädierten für die Ernennung eines Syrien-Beauftragten, um die Beziehungen neu auszuloten. Italien hat bereits angekündigt, die Botschaft in Damaskus wiederzueröffnen.
Barakat betont weiter gegenüber KNA, dass das bisherige Sanktionsregime vor allem die Zivilbevölkerung träfe und Armut verschärfe. Es herrsche Hoffnungslosigkeit. „Ein Ende der Sanktionen könnte vielen Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in ihrer Heimat zurückgeben“, so der Bischof.
Jedoch widerspricht der in Damaskus geborene Metropolit der Einschätzung, dass das Land befriedet sei. Entgegen der Einschätzung des jüngst ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Münster, nachdem Syrern kein „subsidiärer Schutz“ mehr zugestanden werden müsse, sei es „wichtig anzuerkennen, dass die Sicherheit in Syrien noch immer nicht überall gewährleistet“ sei.
Syrien leidet unter dem seit 2011 herrschenden Bürgerkrieg, der weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Jedoch sind weite Teile des Landes zerstört. Ein großer Teil des Landes wird unter anderem nach einer russischen Militärintervention wieder durch das Regime in Damaskus kontrolliert. Das Land ist durch Sanktionen wirtschaftlich weitgehend isoliert.
KNA