Nahost-Experten kritisieren westliche Syrien-Politik
München ‐ Mehrere Nahost-Experten haben sich dafür ausgesprochen, in der Zusammenarbeit mit Syrien nach Kompromissen zu suchen. Unter der aktuellen Situation leidet vor allem die einfache Bevölkerung.
Aktualisiert: 26.03.2024
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Der Nahost-Experte Dr. Matthias Vogt fordert einen „Politikwechsel“ des Westens gegenüber Syrien. „Die internationalen Sanktionen sollen das Assad-Regime und sein Umfeld treffen. In der Praxis leidet aber vor allem die einfache Bevölkerung“ kritisiert der Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Land dem in München erscheinenden Missio Magazin. Das Assad-Regime sei für schlimme Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, und dies schon lange vor dem Bürgerkrieg, so Vogt. Damals hätten Deutschland und andere europäische Länder in unterschiedlicher Weise mit der Regierung in Damaskus zusammengearbeitet und damit auch einen gewissen Einfluss gehabt. „Der Sturz des Assad-Regimes ist nicht erfolgt und wird aller Voraussicht nach auch nicht so bald kommen“, betont er. Daher sei jetzt Mut gefragt und die Einsicht zu einem Kompromiss, um zugunsten der Menschen in Syrien wieder Einfluss nehmen zu können.
„Kaum eine Handhabe, sich konstruktiv in die Konfliktlösung einbringen zu können“, bescheinigt auch Nahost-Experte Dr. Otmar Oehring dem Westen. „Das gilt auch für den Konflikt der Türkei mit den Kurden in Nordostsyrien – weiterhin auch Siedlungsgebiet der schwindenden Gruppe der Christen.“ Abgesehen von den USA habe sich der Westen in der Region schon lange nicht mehr engagiert, kritisiert Oehring.
17 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen
Amil Gorgis, Ökumene-Beauftragter der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Berlin, warnt daher auch vor einer weiteren Zunahme radikaler Kräfte. „Zu befürchten ist, dass Syrien für lange Zeit Hort von Gewalt und Autokratie bleiben wird, in dem es besonders für Christen, aber auch für liberale Muslime sehr schwer ist, unbehelligt zu leben.“ Es scheine spät, aber vielleicht nicht zu spät, dem etwas entgegenzusetzen. Bewundernswert sei, „wie die Menschen in den verbliebenen christlichen Gemeinden ein lebendiges Gemeindeleben aufrechterhalten trotz allgegenwärtiger Not.“
Die Bedeutung der katholischen Kirche für eine Zukunft in Syrien betont Missio-Präsident Monsignore Wolfgang Huber: „Die Präsenz katholischer Organisationen ist nach wie vor entscheidend, um die Armut besonders von Kindern und Jugendlichen zu lindern“, sagt Huber. „Eine ganze Generation hat keinen Frieden erlebt. Für viele mittellose Familien ist die Kirche der einzige Anker und Hoffnung.“
Nach Informationen von Missio München sind in Syrien rund 17 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Das Land ist in eine tiefe Armut gestürzt: Durch den Bürgerkrieg, die Pandemie, das verheerende Erdbeben und den wirtschaftlichen Verfall stehen viele Familien vor dem Abgrund. Bis heute sind Schulen und Universitäten zerstört, eine große Zahl von Lehrkräften hat das Land verlassen. Fast zwei Millionen syrische Kinder und Jugendliche erhalten derzeit gar keinen Unterricht, das ist knapp die Hälfte aller Schulpflichtigen.
Missio München/dr