Friedensforscher: Ziviler Widerstand in Ukraine derzeit zwecklos
Osnabrück ‐ In einem offenen Brief haben Pazifistinnen aus Deutschland kürzlich eine Verhandlungslösung für den Ukrainekrieg gefordert. Nach Ansicht des Friedensforschers Heinz-Gerhard Justenhoven müsste aber dafür die russische Regierung bereit sein, ihre Aggressionen zu beenden.
Aktualisiert: 15.02.2023
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Empfehlungen für einen zivilen Widerstand der Ukrainer gegen die russische Invasion sieht der Hamburger Friedensforscher Heinz-Gerhard Justenhoven skeptisch. „Gegen Raketenbeschuss auf zivile Infrastruktur ist ziviler Widerstand macht- und wirkungslos“, sagte er in einem Interview mit der Osnabrücker Bistumszeitung „Kirchenbote“ (Sonntag). Justenhoven ist Direktor des Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg.
Die russische Besatzungsmacht habe in der Ostukraine mit der Entführung der Aktivisten reagiert und auf diese Weise den zivilen Widerstand unterdrückt. Für einen gewaltlosen zivilen Widerstand hatten sich laut Justenhoven zuletzt unter anderem die Berliner Berghof-Foundation sowie Vorstandsmitglieder der katholischen Friedensbewegung Pax Christi ausgesprochen.
Justenhoven: Unterschiedliche Meinungen ertragen
Für einen Waffenstillstand kämen Kiew und der Westen um Gespräche mit Präsident Wladimir Putin nicht herum. „Diplomatie heißt, auch mit denen zu reden, mit denen man eigentlich nicht reden will“, so der Theologe. Allerdings könne es aktuell einen Waffenstillstand nur geben, wenn die russische Regierung bereit sei, ihre Aggression zu beenden. Wer einen Waffenstillstand fordere, müsse dann aber auch akzeptieren, „dass die russische Seite gewaltsam und erfolgreich Gebiete erobert hat“.
Gleichzeitig ermutigte der Experte dazu, unterschiedliche Meinungen im Familien- und Freundeskreis zu diskutieren und zu ertragen: „Auch ich stelle mich kritischen Fragen und habe in den Debatten der vergangenen Monate dazugelernt. Es ist wichtig, Argumente auszutauschen und auszuhalten, ohne polemisch zu werden.“
Kirchengemeinden könnten zudem viel für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten tun. So empfiehlt Justenhoven, junge Geflüchtete aus Russland und der Ukraine zusammenzubringen, „um die Sprachlosigkeit zu überwinden“. Auch Russlanddeutsche und vor allem russische Intellektuelle, die sich gegen den Krieg gestellt haben, sollten dabei sein. „Egal wie schwierig dieser Weg zwischen der ukrainischen und der russischen Zivilgesellschaft werden wird - es gibt keine Alternative dazu. Sonst bricht der Konflikt früher oder später erneut auf.“
Das Institut für Theologie und Frieden in Hamburg ist eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung der katholischen Militärseelsorge. Sie befasst sich mit ethischen Fragen des Friedens und der Friedensgefährdungen.
KNA