„Wir können keine Sklaven bleiben“
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„Wir können keine Sklaven bleiben“

Hongkongs emeritierter Kardinal Joseph Zen Ze-kiun (83) hat die Chinesen zu einer Wiedergewinnung ihrer Authentizität aufgefordert. „Das China von heute ist eine Kultur der Lüge. Alles ist Fake: die Ernährung, die Medizin, alles“, sagte Zen am Donnerstag in Sankt Augustin bei Bonn.

Erstellt: 17.04.2015
Aktualisiert: 19.03.2024
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Hongkongs emeritierter Kardinal Joseph Zen Ze-kiun (83) hat die Chinesen zu einer Wiedergewinnung ihrer Authentizität aufgefordert. „Das China von heute ist eine Kultur der Lüge. Alles ist Fake: die Ernährung, die Medizin, alles“, sagte Zen am Donnerstag in Sankt Augustin bei Bonn.

Zwar könne es keine Lösung für die gesellschaftlichen Probleme geben, „solange die Kommunistische Partei regiert“, so der Kardinal. Doch der Kampf um Demokratie und Menschenrechte sei „eine Frage unserer Würde“. Zen wörtlich: „Wir können keine Sklaven bleiben.“

Zur Auseinandersetzung um die Wahlen in Hongkong 2017 sagte der Kardinal, es werde „ein langer Krieg“. Die Kirche müsse die Menschen immer wieder darin erinnern, dass das Ziel dieses Kampfes die menschlichen Werte und die Menschenwürde seien. Um erfolgreich zu sein, müssten die Studenten ihre Einigkeit zurückgewinnen. Alle Bürgerrechtler müssten Besonnenheit bewahren und Hartnäckigkeit zeigen.

Kardinal mahnt zur Einheit aller demokratischen Kräfte

Über die Proteste in Hongkong im September 2014 sagte Zen, sie seien entstanden aus der falschen Reaktion der Führung in Peking, die „berechtigten Forderungen“ der Bürger in den Wind zu schlagen und alle Brücken des Dialogs abzubrechen. Auch im Fortgang der Demonstrationen habe die Regierung Recht und Justiz gebeugt, um die Besetzer auseinanderzutreiben.

Er selbst habe die Protestierer in der dramatischen Nacht Ende September aufgefordert, nach Hause zu gehen: „Wir haben gewonnen. Die Regierung hat ihre Argumente verloren.“ Der Kardinal beschrieb die damalige Situation als sehr gefährlich: „Niemand konnte die Lage kontrollieren; es war ein Fehler der Studenten, die Führerschaft zu übernehmen und das Wohl der Menschen zu gefährden.“ Manche hätten damals eine Eskalation riskiert.

Als eine mittelfristige Folge der Beinahe-Eskalation nannte Zen eine Spaltung der öffentlichen Meinung über die Vorgänge und über das weitere Vorgehen. „Alle demokratischen Kräfte müssen nun vereinigt werden“, so der Kardinal. Es brauche eine Strategie, ohne leichtfertige Ultimaten und Drohungen.

Hintergrund der Auseinandersetzung war die Ankündigung der politischen Führung, die Kandidaten für die Wahl in Hongkong vorzusortieren. Freie Wahlen im Jahr 2017 gehörten zu den Zusagen, die Peking zum Ende des britischen Hongkong-Mandats 1997 machte („Ein Land – zwei Systeme“). Kardinal Zen äußerte sich bei der Jahresakademie des China-Zentrums in Sankt Augustin zum Thema: „Sehnsucht nach Demokratie – Jugend und Kirche in Hongkong nehmen Stellung“.

Zur Person

Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, von 2002 bis 2009 Bischof von Hongkong, zählt zu den kirchenpolitisch prägendsten katholischen Kirchenvertretern Asiens. Über seine Amtszeit hinaus gehört der Ordensmann der Salesianer Don Boscos zu den prominenten Kritikern der chinesischen Regierung und ihrer Religionspolitik. Zen stammt aus der Diözese Shanghai, wo er am 13. Januar 1932 als Sohn eines christlichen Teehändlers geboren wurde. Er wuchs in sehr armen Verhältnissen auf und trat als junger Mann dem Salesianerorden bei. Unter anderem studierte er an den Ordenshochschulen in Turin und Rom. In Italien erlebte Zen auch die für ihn prägende Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965). Von 1989 bis 1996 lehrte er Philosophie und Sakramententheologie an verschiedenen chinesischen Seminaren, unter anderem in Shanghai. Dann ernannte Papst Johannes Paul II. (1978–2005) den Theologen zum Koadjutor in Hongkong, um den dortigen Bischof zu unterstützen. 2002 rückte Zen auf den Bischofssitz der Sieben-Millionen-Metropole mit ihren rund 350.000 Katholiken. Im Februar 2006 ernannte ihn Benedikt XVI. zum Mitglied des Kardinalskollegiums. 2008 verfasste Zen im Auftrag des Papstes die Meditationen für den Karfreitags-Kreuzweg am Kolosseum. Darin ging er auch auf die Unterdrückung der Christen in China ein. Zens Maxime für sein soziales Engagement lautet: „Beten ist nicht alles im Katholizismus – wir müssen zeigen, dass wir uns kümmern.“ Im April 2009 gab er die Leitung des Bistums Hongkong ab. Er hatte mehrfach betont, er wolle von den Leitungsaufgaben seiner Diözese befreit werden, um sich stärker dem schwierigen Dialog zwischen dem Vatikan und der chinesischen Führung in Peking widmen zu können. (KNA)

Katholische Kirche in China

Geschätzte rund 13 Millionen von etwa 1,3 Milliarden Einwohnern der Volksrepublik China sind Katholiken; die Behörden verzeichnen jedoch lediglich 6 Millionen. Als kleine Minderheit haben die Katholiken mit rund 100 Diözesen dennoch landesweit funktionierende Kirchenstrukturen. Eine große Besonderheit des chinesischen Katholizismus ist die Teilung in zwei Gruppierungen: Neben einer regimenahen und staatlich zugelassenen „Patriotischen Vereinigung“ gibt es die sogenannte Untergrundkirche in Gemeinschaft mit dem Papst. Die „patriotischen Christen“ können seit 1957 beziehungsweise wieder seit Ende der chinesischen „Kulturrevolution“ (1966–1976) mit staatlicher Erlaubnis aktiv sein. Gegen die Mitglieder der „Untergrundkirche“ kommt es dagegen regelmäßig zu staatlichen Sanktionen. Immer wieder werden Priester und Bischöfe verhaftet oder verhört. Die „Untergrund-Katholiken“ erhalten keine Erlaubnis zum Bau von Kirchen. In der Praxis ist die scharfe Grenzziehung zwischen den beiden Gruppierungen in den vergangenen Jahren allmählich verschwommen. Bis auf wenige Ausnahmen waren bis zu einer unerlaubten Bischofsweihe im November 2010 auch die meisten patriotischen Bischöfe vom Vatikan anerkannt. Allerdings setzte Pekings zuletzt wieder Bischofsweihen ohne Zustimmung des Vatikans an, was Beobachter als ernsthafte Gefährdung des Erreichten werten. Seit der kommunistischen Machtübernahme in Peking 1949 gibt es keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl. Eine Kernfrage ist die chinesische Forderung, Rom müsse zuerst seine Kontakte zu Taiwan abbrechen. Der Vatikan hat verschiedentlich Angebote formuliert, um die Beziehungen zu verbessern. Papst Benedikt XVI. (2005–2013) wandte sich 2007 mit einem Brief an die chinesischen Katholiken, in dem er aber auch auf die Regierung zuging. (KNA)