Enge Fesseln für Helfer - Oliver Müller zum Wiederaufbau in Nepal

Enge Fesseln für Helfer - Oliver Müller zum Wiederaufbau in Nepal

Nepal ‐ Mehr als 8.700 Tote, zehntausende Verletzte und unzählige Obdachlose hat das verheerende Erdbeben in Nepal vor einem Jahr hinterlassen. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, war unlängst vor Ort. Sein Eindruck: Trotz großer Einsatzbereitschaft der Helfer geht der Wiederaufbau nur schleppend voran.

Erstellt: 27.04.2016
Aktualisiert: 19.03.2024
Lesedauer: 

Mehr als 8.700 Menschen sind in Nepal als Folge der beiden Beben vom 25. April und 13. Mai 2015 ums Leben gekommen. Zehntausende wurden verletzt, zwei Millionen Familien haben ihre Häuser und Wohnungen verloren. Noch Monate nach den Beben waren 2,8 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 864.000 in schwer erreichbaren Bergregionen. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, war unlängst vor Ort.

Frage: Haben alle Erdbebenopfer mittlerweile Hilfe erhalten?

Müller: Ja, die erste Nothilfe nach den Erdbeben hat wohl alle Betroffenen erreicht. Aber nicht alle konnten seitdem kontinuierlich weiter versorgt werden. Die Zahl der Betroffenen ist einfach zu groß.

Frage: Was tut die Caritas?

Müller: In den ersten drei Monaten nach den Beben hat Caritas mehr als 200.000 Menschen mit Zeltplanen, Medikamenten, Lebensmitteln, Wasser und Hygiene-Artikeln versorgen können. Viele waren auch auf psychosoziale Unterstützung angewiesen. Danach sind wir mit den Gemeinden zusammen den Wiederaufbau angegangen.

Frage: Wo läuft es gut, wo hakt es?

Müller: Die vielen freiwilligen und hauptamtlichen Helfer unserer lokalen Partner zeichnen sich durch große Einsatzbereitschaft aus. So war es uns möglich, schnell diejenigen zu erreichen, die der Hilfe am nötigsten bedurften. Die Reparatur von Wasserleitungen und der Bau von Toiletten kommt zum Beispiel schnell und gut voran; auch da, wo wir den Menschen helfen, sich einen neuen Lebenserwerb aufzubauen, machen wir gute Fortschritte. Schwierig war und ist der Bau von Wohnhäusern, weil einerseits aufgrund politischen Streits monatelang die indisch-nepalesische Grenze blockiert war und andererseits die nepalesische Regierung lange gebraucht hat, um die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau zu schaffen. Hoffnung macht uns, dass es nun endlich ein staatliches Konzept für den Wiederaufbau gibt. Besorgniserregend ist allerdings, dass den Hilfsorganisationen dabei enge Fesseln angelegt werden – hier müssen wir noch verhandeln.

Frage: Wenn Sie die Nepal-Hilfe mit anderen Katastrophen-Einsätzen vergleichen – was macht die Arbeit in Nepal besonders?

Müller: Der soziale Kontext in Nepal ist hoch komplex, der Zugang zu den Hilfsbedürftigen aufgrund der Topographie extrem schwierig. Hinzu kommt eine instabile, nur teilweise arbeitsfähige Regierung. Andererseits ist die Bereitschaft zur Selbsthilfe in der nepalesischen Gesellschaft so ausgeprägt, wie ich das selten zuvor irgendwo auf der Welt erlebt habe. Die Menschen sind trotz ihrer Armut extrem resilient und geduldig. Das zu erleben ist beeindruckend.

Frage: Wann wird der Hilfs-Einsatz abgeschlossen sein?

Müller: Es war von Anfang an klar, dass der Einsatz lange dauern wird. Hunderttausende von Häusern zu bauen ist ein riesiges Unterfangen. Wir rechnen mit fünf Jahren.

© Caritas international

„Sie sind verzweifelt“

„Sie sind verzweifelt“

Wenige Tage nach dem Erdbeben in Nepal erreichen die Nothelfer noch nicht alle betroffenen Gebiete. Das berichtet die Hilfsorganisation „Women''s Rehabilitation Centre“ (WOREC), ein Partner des katholischen Hilfswerks Misereor . In der Metropole Kathmandu und der Umgebung zeige sich jedoch, dass die Menschen zusammenhalten und einander helfen, so WOREC-Sprecher Renu Adhikari am Dienstag in Aachen. „Wir gehen davon aus, dass dies auch in den ländlichen Regionen geschieht.“