Wo der Kampf gegen Armut auf der Stelle tritt

Wo der Kampf gegen Armut auf der Stelle tritt

Nepal ‐ Die Helfer im Himalaya wissen im wahrsten Sinne des Wortes nicht wohin. Nach dem verheerenden Beben in Nepal haben Flugzeuge größte Schwierigkeiten, auf dem kleinen Flughafen der Hauptstadt Kathmandu zu landen. Die wenigen Straßen sind kaum passierbar. Ein Grund, warum Experten schon über Konsequenzen aus der Katastrophe diskutieren, obwohl die Hilfe aus dem Ausland erst jetzt richtig anläuft.

Erstellt: 30.04.2015
Aktualisiert: 19.03.2024
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Beim Wiederaufbau werde es entscheidend sein, sich gegen neue Erdbeben zu wappnen und gleichzeitig an der allgemeinen Infrastruktur des Landes zu arbeiten, sagte der Generalsekretär von Care, Karl-Otto Zentel, am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Dazu gehört eine bessere Bauaufsicht und Stadtplanung angesichts der rasant wachsenden Bevölkerung, der Ausbau des Straßennetzes, Investitionen in Bildung, Gesundheit sowie die Koordinierung der staatlichen Stellen im Katastrophenfall.“

Weltweit 50 fragile Staaten

An vielen dieser Dinge fehlt es in Nepal, weswegen das Land in die Kategorie der fragilen Staaten eingeordnet wird. Inzwischen zählen dazu weltweit 50 Staaten. Ihre Bewohner leiden unter Kriegen, Nahrungsmittelengpässen, Naturkatastrophen und mangelhaft arbeitenden staatlichen Institutionen. Neben den Krisenherden im Nahen Osten und Mittleren Osten wie Syrien, Afghanistan und dem Irak zählen auch kleine Inselstaaten im Pazifik wie Kiribati und die Salomonen dazu.

Nicht wenige dieser Länder drohen beim Kampf gegen die Armut weiter ins Hintertreffen zu geraten, wie ein jetzt in Berlin vorgestellter Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt. Hinter der nüchternen Expertensprache verbergen sich auf den 140 Seiten der Studie mit dem Titel Aspekte der Fragilität 2015 alarmierende Zahlen. Demnach leben aktuell 43 Prozent aller Menschen, die mit umgerechnet weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen müssten, in fragilen Staaten. Bis 2030 könne sich der Anteil auf 62 Prozent erhöhen.

Eine magere Bilanz zieht der OECD-Bericht mit Blick auf die Ende des Jahres auslaufenden UN-Millenniumsziele auch für den Kampf gegen Kindersterblichkeit. Nur jedem fünften Krisenstaat werde es gelingen, die diesbezüglichen Werte zu halbieren, nur jeder vierte werde seinen Bewohnern Zugang zu sauberem Wasser verschaffen können. Die Autoren fordern die internationale Staatengemeinschaft deswegen dazu auf, die Belange dieser Staatengruppe bei der jetzt anstehenden Formulierung der Entwicklungsziele, die die Millenniumsziele ersetzen sollen, stärker zu berücksichtigen.

Bild: © Caritas Australia

Experten für eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik

Zugleich beklagen die OECD-Experten eine unausgewogene Verteilung von Entwicklungshilfe-Geldern. Zwar hätten sich die Leistungen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) für fragile Staaten pro Kopf seit 2000 fast verdoppelt. Aber allein 22 Prozent davon flossen nach Afghanistan und in den Irak. Viele andere fragile Staaten dagegen blieben in diesem Zeitraum weitgehend außerhalb des Radars der ODA-Leistungen, so die Autoren der Studie.

Fachleute wie Michael Bohnet plädieren deswegen für eine grundlegende Neuausrichtung der Entwicklungspolitik. Hier müsse die Weltgemeinschaft „dringend neue Konzepte entwickeln“, sagte Bohnet unlängst in einem KNA-Interview. Er begleitete als Chefunterhändler des Entwicklungsministeriums die meisten großen UN-Konferenzen der 90er-Jahre, darunter auch 1992 den Umweltgipfel im brasilianischen Rio de Janeiro.

Das Spektrum müsse reichen „von klassischer Entwicklungszusammenarbeit über Nahrungsmittelhilfe, den Aufbau von Rechts- und Verwaltungssystemen, der Förderung der Zivilgesellschaft bis hin zur gesellschaftlichen Reintegration von Ex-Kombattanten“, erläuterte Bohnet. Für die OECD gelten die anstehenden Verhandlungen für die nachhaltigen Entwicklungsziele, die Sustainable Development Goals (SDG), als erster Lackmus-Test. „Dieses Jahr könnte zu einem Wendepunkt in der Geschichte der Armutsbekämpfung werden“, heißt es in der Einleitung zu der neuen Studie. Allerdings nur, wenn es gelingt, die fragilen Staaten besser einzubinden.

Von Joachim Heinz (KNA)

Aspekte der Fragilität 2015

Den Fragilitätsbericht können Sie auf der Webseite der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einsehen: