Kirche zwischen den Fronten im Bürgerkrieg von Kamerun

Kirche zwischen den Fronten im Bürgerkrieg von Kamerun

Kamerun ‐ Die Kämpfe in Kamerun nehmen kein Ende. Die Kirche versucht zu vermitteln, gerät aber selbst zunehmend in den Strudel der Gewalt zwischen Rebellen und Militär. Am Samstag brach eine Delegation des deutschen Bundestages nach Kamerun auf, um sich zu informieren.

Erstellt: 05.12.2018
Aktualisiert: 17.01.2019
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Die Kämpfe in Kamerun nehmen kein Ende. Die Kirche versucht zu vermitteln, gerät aber selbst zunehmend in den Strudel der Gewalt zwischen Rebellen und Militär. Am Samstag brach eine Delegation des deutschen Bundestages nach Kamerun auf, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Die Delegation des Unterausschusses Zivile Krisenprävention des Deutschen Bundestages will herausfinden, wie ein Friedensprozess im Land von internationaler Seite unterstützt werden kann. Dafür trifft sie Regierungsvertreter und Parlamentarier sowie kirchliche Würdenträger. Denn unbeachtet von der Weltöffentlichkeit braut sich in Kamerun ein Bürgerkrieg zusammen. Beinahe täglich gibt es Tote und Entführungen. Weite Teile Westkameruns sind außer Kontrolle, Schulen sind geschlossen, die humanitäre Lage spitzt sich zu.

Der Konflikt dreht sich um die beiden englischsprachigen Regionen Nordwest und Südwest, in denen eine Vielzahl an Milizen für eine Abspaltung vom mehrheitlich französischsprachigen Kamerun kämpft. Sie wollen die unabhängige Republik ‚Ambazonien‘ gründen. Schon lange fühlt sich die englischsprachige Bevölkerung von der französischsprachigen Regierung unterdrückt, fürchtet um den Erhalt der eigenen Sprache und Kultur. Anfangs, im November 2016, waren die Proteste noch friedlich, doch die gewaltsame Niederschlagung durch die Armee rief wiederum die Separatisten auf den Plan. Bislang kamen rund 400 Menschen bei den Kämpfen ums Leben. Allein 30.000 flohen nach Nigeria, innerhalb Kameruns sind laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen 230.000 Menschen auf der Flucht.

Kinder haben Angst, zur Schule zu gehen

Weil die Rebellen einen zunehmenden Einfluss der Regierung auf ihre Kinder verhindern wollen, sind in weiten Teilen Westkameruns die Schulen seit fast drei Jahren geschlossen. Erst einmal raus aus dem Bildungssystem laufen die Kinder jedoch Gefahr, früh von Rebellen rekrutiert zu werden. Auch Kinderschwangerschaften werden zunehmend zum Problem. In der Hauptstadt von Nordwest, Bamenda, gehen die Kinder in ziviler Kleidung in die noch funktionierenden Schulen, um nicht aufzufallen. Die Schuluniformen werden erst im Schulgebäude angezogen.

Die Kirche steht hier sprichwörtlich zwischen den Fronten. Die Vermittlung zwischen Militär und Rebellen gestaltet sich als äußerst heikel, denn auf beiden Seiten ist das Misstrauen groß. Die Rebellen wollen sich von der Kirche nicht ausbremsen lassen bei ihrem Ziel, zügig die Unabhängigkeit zu erlangen. Die Regierung wiederum sieht die Kirche ebenfalls als Bedrohung – spätestens seit dem Memorandum der anglophonen Bischöfe an Staatspräsident Paul Biya im Dezember 2016. Darin analysierten sie die Ursachen des lange schwelenden Konflikts und versuchten, Lösungen aufzuzeigen. Zu den genannten Punkten gehören der Abzug der Regierungstruppen aus den englischsprachigen Regionen und Städten, das Unterlassen von willkürlicher Gewalt und Inhaftierungen sowie die Bereitschaft aller Seiten zu einem konstruktiven Dialog.

Bild: © KNA

Kirche als eine der wenigen möglichen Vermittlerinnen

Die Abgeordneten des Unterausschusses Zivile Krisenprävention des Deutschen Bundestages plädieren darauf, Personen aus Politik, Kirche oder Zivilgesellschaft zu finden, die für die Vermittlung und die Begleitung eines Friedensprozesses geeignet sein könnten. Bei ihrem Kamerunbesuch sprachen sie auch mit dem emeritierten Erzbischof von Douala, Kardinal Christian Tumi. Der 88-Jährige stammt aus dem englischsprachigen Nordwesten, leitete mit Douala aber ein französischsprachiges Erzbistum. Er gilt als guter Kenner des Konflikts. Eine von ihm berufene „Anglophone Generalkonferenz“, die im November stattfinden und bei der auch zivilgesellschaftliche Akteure zu Wort kommen sollten, wurde von der Regierung jedoch vorerst untersagt.

Tumis Nachfolger, der französischsprachige Kardinal Samuel Kleda, verfolgt eine ähnliche Linie. Gemeinsam mit Vertretern der evangelischen Kirchen und den Muslimen des Landes rief er im August zu Besonnenheit und einem Ende der Gewalt auf. Doch als Vorsitzender der Nationalen Bischofskonferenz Kameruns (NECC) konnte Kleda die fünf Erzbischöfe mit den zu ihnen gehörenden Bistümern – vier davon französisch-, eines englischsprachig – noch nicht zu einer geschlossenen Erklärung bewegen. Nach Einschätzung der International Crisis Group in Brüssel ist die katholische Kirche eine der wenigen Institutionen in Kamerun, die in dem Konflikt zu Frieden und Versöhnung beitragen kann. Für eine Vermittlung sei es aber entscheidend, dass die Bischöfe geschlossen aufträten.

Der Präsident ist nicht zu Verhandlungen bereit

Präsident Paul Biya, der im Oktober im Alter von 85 Jahren zu einer weiteren Amtszeit von sieben Jahren gewählt wurde, lehnte bislang Verhandlungen mit den Separatisten ab. Für ihn sind die Rebellen Terroristen, die er mit harter Hand militärisch bekämpfen lässt. Seit nunmehr 36 Jahren ist der Präsident an der Macht, doch die Unzufriedenheit im Land wächst. Über die Hälfte der Kameruner ist unter 20 Jahre alt, ein Viertel der insgesamt rund 25 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Biya hingegen reist im Jahr mehrere Monate ins Ausland, nach Genf oder zu medizinischen Behandlungen nach Baden-Baden.

Unterdessen eskalieren die Kämpfe in seinem Land – und immer wieder sind auch Geistliche unter den Opfern. Ende November etwa schossen Soldaten in der Diözese Memfe im Südwesten willkürlich aus einem fahrenden Auto, wodurch ein aus Kenia stammender Missionar vor seiner Kirche starb. Der Bischof der Diözese reagierte bestürzt: „Wir bitten flehentlich um ein Ende der Morde in unserer Diözese und den anglophonen Regionen Kameruns. Menschliches Leben ist immer weniger wert und wird leichtfertig weggeworfen – daraus wird ein regelrechter Sport.“

Die Bevölkerung fürchtet das Militär

Das Militär hat bei den englischsprachigen Kamerunern sein Vertrauen verspielt. Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, Dörfer werden niedergebrannt und geplündert. Gleichzeitig entführen die Rebellen immer wieder Zivilisten: Im Nordwesten waren es Anfang November rund 80 Schüler, im Südwesten drei katholische Claretiner-Patres, die Nahrungsmittel in die Krisenregion bringen wollten. Beide Gruppen sind inzwischen wieder frei. Der Fahrer der Geistlichen befindet sich allerdings noch in der Gewalt der Entführer.

Im Bistum Kumbo im Nordwesten haben die Rebellen Straßensperren errichtet. Wer dort vorbei will, muss bezahlen und seinen Pass vorzeigen – das Wappen von Kamerun wird dann herausgeschnitten. „Die Regierung hat diese Region nicht mehr unter Kontrolle“, so die Einschätzung des Entwicklungspolitischen Beauftragten von Misereor in Berlin, Volker Riehl, der Ende November von einer Kamerunreise zurückkehrte. Während die Hauptstadt von Nordwest, Bamenda, vom Militär schwer bewacht werde, sei es wenige Kilometer außerhalb der Stadt nicht mehr sicher. Jeden Morgen höre man Schüsse von Maschinengewehren.

Bild: © Bistum Limburg

Hilfsorganisationen kommen schwer in Konfliktgebiete

Wegen der Kämpfe und der Straßensperren kommen die Menschen nun nicht mehr auf ihre Felder, Märkte stehen still, die Versorgung wird knapp. Es gibt Befürchtungen, dass es bald auch erste Hungertote geben könnte. Die Menschen sind weitestgehend auf sich gestellt. Viele Entwicklungshelfer wurden aus Sicherheitsgründen abgezogen, internationale Hilfsorganisationen haben es zum Teil schwer, in die betroffenen Gebiete vorzudringen.

Das UN-Nothilfewerk OCHA will seine Hilfen von Südwesten nun auch auf den Nordwesten ausweiten. Misereor unterstützt in den anglophonen Distrikten sieben Projekte in den Diözesen Bamenda, Buea und Kumbo in Höhe von 1,6 Millionen Euro. Die Hilfen gelten auch den von der aktuellen Krise betroffenen Menschen. Das Bistum Limburg unterhält zudem seit mehr als 30 Jahren eine Partnerschaft mit dem Bistum Kumbo. Mithilfe von Caritas international unterstützt es Flüchtlinge in der Region. Das Hilfswerk wird bald weitere Nothilfen für zwei anglophone Diözesen bereitstellen.

Die Kirche Kameruns rief unterdessen Ende November eine neue Caritas-Stiftung ins Leben. „Wir erleben in diesem Jahr eine schwere humanitäre Krise“, sagte der Erzbischof der Hauptstadt Yaoundé, Jean Mbarga, bei der Eröffnungsfeier der Stiftung. 58 Schulen seien zerstört worden und rund 3,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. „Wie können wir uns als Christen an der Wiederaufbauarbeit beteiligen, den betroffenen Familien helfen, die ihre Lieben verloren haben? Wie können wir helfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufzubauen, die verbrannt wurden?“, fragt der Erzbischof. All das erfordere „unsere großzügige Hilfe“.

„Eher wird Bayern unabhängig als Ambazonien.“

—  Zitat: Volker Riehl, Entwicklungspolitischer Beauftragter von Misereor in Berlin

Ehemalige Kolonialmächte in der Verantwortung

International findet der Konflikt bisher nur wenig Beachtung. Den ehemaligen Kolonialmächten Deutschland, Frankreich und England werfen Menschenrechtler vor, sie würden tatenlos dabei zuschauen, wie Kamerun in Chaos und Gewalt versinke. Alle drei Staaten besäßen immer noch großen Einfluss in dem afrikanischen Land, betont die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

Dabei ist schnelles Handeln für eine Rückkehr zum Frieden in Kamerun wesentlich, meint Misereor-Referent Volker Riehl. Der Konflikt sei noch relativ „jung“ und eine weitere Eskalation könnte abgewendet werden. Noch würde nach seiner Einschätzung eine Abstimmung in den englischsprachigen Gebieten auch zu keiner Sezession führen. „Eher wird Bayern unabhängig, als Ambazonien“, so Riehl. Das könnte sich allerdings ändern, wenn der Konflikt weitere fünf Jahre schwele. „Dann wäre wohl die Mehrheit der englischsprachigen Kameruner für eine Abspaltung.“ Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die zurzeit in Kamerun sind, seien jedenfalls sehr motiviert, sich auch auf EU-Ebene für eine Friedenslösung einzusetzen.

Anders sieht es in Frankreich aus: Die ehemalige Kolonialmacht will ihren Einfluss in der Region nicht verlieren, weiß der Misereor-Länderreferent für Kamerun, Frank Wiegandt. „Biya ist einer der letzten Patrone der Verbindung zwischen Frankreich und Afrika. Früher waren es auch der Präsident von Gabon, Omar Bongo, oder Félix Houphouët-Boigny von der Elfenbeinküste. Der übriggebliebene ‚Dinosaurier‘ aus diesem Zeitalter ist eben Biya“, erklärt Wiegandt. Eine Unterstützung Biyas bleibe aber nicht folgenlos. Besonders junge Menschen verlassen das Land – nicht nur in die Nachbarländer, sondern auch nach Europa. Vorausgesetzt, sie schaffen es angesichts der Kämpfe zwischen Rebellen und Militär noch aus ihrem Haus.

Von Claudia Zeisel

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