Frage: Welche Rolle spielen Partnerschaften, z. B. die weltkirchlichen Partnerschaften vieler deutscher Bistümer, bei der Umsetzung der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele?
Knecht: Weltkirchliche Partnerschaften sind das ideale Vehikel für die Anliegen der Agenda 2030. Die reale Begegnung mit den „Wegwerfmenschen“, wie Papst Franziskus sie nennt, kann zur echten Bekehrungen führen – zumindest zu einer Wahrnehmung der eigenen Verantwortung. Sie sind potentiell für die Kirchengemeinden eine große Chance zu ihrer eigenen Erneuerung und Verlebendigung. Wo auch real das Brot, d. h. all das, was wir zum Leben brauchen, geteilt wird, ereignet sich Kirche. Gelebte Partnerschaften zwischen Arm und Reich sind für mich das Sakrament von Weltkirche, d. h. von katholischer Kirche. Nun, so das Ideal. Die Realität in den Gemeinden sieht jedoch anders aus. Wie kommen wir hier zu einer gelebten Praxis?
Generell vermisse ich, dass die Kirche sich nicht als das präsentiert, was sie ihrer Berufung nach ist: Als Avantgarde für globale Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Wir haben dafür nämlich ein Programm, ein Fundament. In seiner Ansprache beim Treffen der Volksbewegungen 2015 in Bolivien sagte Papst Franziskus: „Dieses System kann man nicht mehr ertragen. Wir müssen es ändern. [….] Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine Gebrauchsanweisung, ein revolutionäres Programm gewissermaßen. Ich rate euch sehr, es zu lesen!“. Dem kann ich mich nur anschließen.
Frage: Das Bundesentwicklungsministerium hat explizit betont: Ohne die Religionen als aktive Partner ist die Umsetzung der Agenda 2030 nicht möglich. Sehen Sie das auch so? Inwiefern kann der Dialog zwischen der Landesregierung Baden-Württembergs und den Kirchen hier ein Vorbild sein?
Knecht: Die Erkenntnis des Bundesentwicklungsministeriums ist sehr zu begrüßen. Dem stimme ich voll zu. Nur: Religion ist nicht gleich Religion. Es gibt zu viele Religionen – auch innerhalb der christlichen Kirchen! – für die die Ziele der Agenda 2030 kein Thema sind. Typische Kennzeichen von Religion sind nach klassischer Deutung u. a.: Viele Gebote, Kult und Opfer darbringen, autoritäre oder gar gottgewollte Strukturen, Unterwerfung etc. Jesus wurde im Namen einer solchen Religion getötet. Sind wir als katholische Kirche nicht eher eine Bewegung, mit Jesus dem Christus auf dem Weg zu einer immer gerechteren Welt und einer geschwisterlichen Menschheit? Trotzdem oder gerade deswegen müssen wir mit allen Religionen den Dialog vertiefen und das Gute in ihnen suchen. Denn in allen Religionen steckt eben auch die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, nach Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Daher müssen wir auch stets mit den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen den Dialog suchen, ob die einem schmecken oder nicht. In der Landesregierung von Baden-Württemberg haben wir gute Gesprächspartner gefunden, manchmal sogar offene Ohren. Wir haben zusammen einiges erreicht. Wir hoffen, dass mit der im Entstehen begriffenen neuen Landesregierung dieser Weg weitergehen kann.
Das Interview führte Lena Kretschmann.
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