Papst Leo XIV. unterzeichnet Apostolisches Schreiben Dilexi te
Kapitalismus-Kritik des Vorgängers Franziskus bleibt sichtbar

„Dilexi te“: Papst Leo XIV veröffentlicht erstes Lehrschreiben

Vatikanstadt ‐ Vor fünf Monaten wurde Papst Leo XIV. gewählt. Nun hat er sein erstes offizielles Lehrschreiben veröffentlicht. Thema ist der Einsatz der Kirche für die Armen. Der Text hat es in sich.

Erstellt: 09.10.2025
Aktualisiert: 09.10.2025
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Papst Leo XIV. hält an der Kapitalismuskritik seines Vorgängers Franziskus fest. In seinem am Donnerstag veröffentlichten ersten päpstlichen Lehrschreiben ruft er dazu auf, „Strukturen der Ungerechtigkeit mit der Kraft des Guten zu erkennen und zu zerstören“. Oft frage er sich, warum trotz der Klarheit der Heiligen Schrift in Bezug auf die Armen viele weiterhin glaubten, sie könnten die Armen ausblenden, so Leo XIV.

In dem Schreiben übernimmt der aus den USA stammende Papst ausdrücklich die von der Kirche in Lateinamerika seit langem geforderte „Option für die Armen“. Zugleich verwirft er, ähnlich wie Vorgänger Franziskus, die Idee, eine komplett freie Marktwirtschaft könne die Probleme der Armut und Ungerechtigkeit überwinden.

Das Lehrschreiben trägt den aus einem Bibelzitat abgeleiteten Titel „Dilexi te“ (Ich habe dich geliebt) und wurde vom Papst als „Apostolische Exhortation“ unterzeichnet. Es steht damit vom Grad der Verbindlichkeit eine Stufe unterhalb einer Enzyklika (Rundschreiben), ist aber ebenfalls eine weltweit zu verbreitende Äußerung des kirchlichen Lehramts.

In den Fußspuren von Franziskus

In „Dilexi te“ greift Papst Leo XIV. nach eigener Aussage Vorarbeiten seines Vorgängers Franziskus (2013-2025) auf, der sie zu seinen Lebzeiten nicht mehr abschließen konnte. Ein zentrales Element ist die von den Bischöfen in Lateinamerika seit 1968 entwickelte Forderung, dass die Kirche sich bevorzugt den Armen zuwenden und an der Überwindung sozialer Missstände aktiv mitwirken solle.

Der Papst übernimmt in dem Schreiben auch einen der provokantesten Sätze seines Vorgängers und betont, es sei notwendig, weiterhin die „Diktatur einer Wirtschaft, die tötet“ anzuprangern. Gegen christliche Verklärungen des Kapitalismus argumentiert er: Obwohl es nicht an Theorien fehle, die versuchten, den aktuellen Zustand zu rechtfertigen, oder erklärten, dass die wirtschaftliche Vernunft von uns verlange, darauf zu warten, dass die unsichtbaren Kräfte des Marktes alles lösten, sei die Würde eines jeden Menschen jetzt und nicht erst morgen zu respektieren.

Nächstenliebe Kern der Kirchenlehre

Weiter heißt es in dem Text: „Die Tatsache, dass praktizierte Nächstenliebe verachtet oder lächerlich gemacht wird, als handle es sich um die Fixierung einiger weniger und nicht um den glühenden Kern der kirchlichen Sendung, bringt mich zu der Überzeugung, dass wir das Evangelium immer wieder neu lesen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine weltliche Gesinnung an seine Stelle tritt.“

Lehrschreiben kommt in Deutschlang gut an

In Deutschland kommt das erste offizielle Lehrschreiben von Papst Leo XIV. bei den Katholiken gut an. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, äußerte sich am Donnerstag anerkennend: „Er macht mit diesem Dokument deutlich, dass er den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg der Kirche einer verstärkten Zuwendung hin zu den Armen und Benachteiligten weitergeht.“ Der Limburger Bischof hofft auf eine intensive Rezeption und breite Beachtung inner- und außerhalb der Kirche.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, reagierte ebenfalls angetan. Leo XIV. spreche mit seinem Lehrschreiben ein großes „Ja“ zu einer aktiven Rolle der Kirche in der Welt. Er finde „starke und bewegende Worte, um die schreiende Ungerechtigkeit des herrschenden Wirtschafts- und Sozialsystems anzuklagen“. Die religiösen, politischen und ökologischen Initiativen seines Vorgängers Franziskus seien ihm offenbar sehr wichtig: Wer keine Machtressourcen habe, wer Ungerechtigkeit ausgesetzt sei, gar Willkür und Gewalt, müsse auf die Kirche zählen können.

In ihrer Arbeit bestärkt fühlt sich nicht zuletzt die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa. Indem Leo die Botschaften des Evangeliums mit der Lebenswirklichkeit der Armen in Beziehung setze, ermutige er mit Nachdruck zu einer Haltung der Nächstenliebe, der praktizierten Caritas und Barmherzigkeit, erklärte sie. Dabei werde deutlich, dass sich die Ermutigung nicht auf individuelle Zuwendung zu den Armen beschränke: „Es braucht Strukturen der Armutsbekämpfung, geeignete politische Rahmenbedingungen und institutionelle Antworten, die verhindern, dass Armut sich verfestigt und ausweitet.“

Zentrale Passagen aus dem Lehrschreiben „Dilexi Te“ von Leo XIV.

3. (...) Da ich dieses Projekt gewissermaßen als Erbe [von Papst Franziskus, Anm.] erhalten habe, freue ich mich, es mir - unter Hinzufügung einiger Überlegungen - zu eigen zu machen und es noch in der Anfangsphase meines Pontifikats vorzulegen. Ich teile den Wunsch meines verehrten Vorgängers, dass alle Christen den tiefen Zusammenhang zwischen der Liebe Christi und seinem Ruf, den Armen nahe zu sein, erkennen mögen. (...)

5. Der Kontakt mit denen, die keine Macht und kein Ansehen haben, ist eine grundlegende Form der Begegnung mit dem Herrn der Geschichte. In den Armen hat er uns auch weiterhin noch etwas zu sagen.

7. (...) Ich bin überzeugt, dass die vorrangige Option für die Armen eine außerordentliche Erneuerung sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft bewirkt, wenn wir dazu fähig sind, uns von unserer Selbstbezogenheit zu befreien und auf ihren Schrei zu hören.

8. (...) Wenn wir also den Schrei der Armen hören, sind wir aufgerufen, mit dem Herzen Gottes zu fühlen, der sich um die Nöte seiner Kinder und besonders der Bedürftigsten kümmert. Bleiben wir hingegen diesem Schrei gegenüber gleichgültig, würde der Arme gegen uns zum Herrn schreien, und eine Sünde läge auf uns (...)

11. Mit dem konkreten Engagement für die Armen muss auch ein Mentalitätswandel einhergehen, der sich auf kultureller Ebene bemerkbar macht. Die Illusion, dass ein Leben in Wohlstand glücklich macht, führt viele Menschen nämlich zu einer Lebenseinstellung, die auf Ansammlung von Reichtum und sozialen Erfolg um jeden Preis ausgerichtet ist, auch wenn dies auf Kosten anderer geschieht und man dabei von ungerechten gesellschaftlichen Idealen bzw. politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen profitiert, die die Stärkeren begünstigen. So sehen wir in einer Welt, in der es immer mehr arme Menschen gibt, paradoxerweise auch die Zunahme einiger reicher Eliten, die in einer Blase sehr komfortabler und luxuriöser Bedingungen leben, beinahe in einer anderen Welt im Vergleich zu den einfachen Menschen.

23. (...) Oft frage ich mich, warum trotz solcher Klarheit der Heiligen Schrift in Bezug auf die Armen viele weiterhin glauben, sie könnten die Armen ausblenden. (...)

75. Die Tradition des kirchlichen Engagements für und mit Migranten geht weiter und heute kommt dieser Dienst in Initiativen wie Aufnahmezentren für Flüchtlinge, Missionsstationen an den Grenzen, den Bemühungen der Caritas Internationalis und anderer Institutionen zum Ausdruck. Das heutige Lehramt spricht sich sehr für dieses Engagement aus.

92. Es ist (...) notwendig, weiterhin die »Diktatur einer Wirtschaft, die tötet« anzuprangern und anzuerkennen, dass »während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, […] die der Mehrheit immer weiter entfernt [sind] vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt.« [94] Obwohl es nicht an Theorien fehlt, die versuchen, den aktuellen Zustand zu rechtfertigen, oder erklären, dass die wirtschaftliche Vernunft von uns verlangt, darauf zu warten, dass die unsichtbaren Kräfte des Marktes alles lösen, ist die Würde eines jeden Menschen jetzt und nicht erst morgen zu respektieren. Das Elend so vieler Menschen, deren Würde negiert wird, muss ein ständiger Appell an unser Gewissen sein.

94. Wir müssen uns immer mehr dafür einsetzen, die strukturellen Ursachen der Armut zu beseitigen. Dies ist eine dringende Aufgabe, die »nicht warten [kann], nicht nur wegen eines pragmatischen Erfordernisses, Ergebnisse zu erzielen und die Gesellschaft zu ordnen, sondern um sie von einer Krankheit zu heilen, die sie anfällig und unwürdig werden lässt und sie nur in neue Krisen führen kann. Die Hilfsprojekte, die einigen dringlichen Erfordernissen begegnen, sollten nur als provisorische Maßnahmen angesehen werden.« [97] Mangelnde Gerechtigkeit ist »die Wurzel der sozialen Übel« [98]. Denn »oft stellt man fest, dass tatsächlich die Menschenrechte nicht für alle gleich gelten«. [99]

109. Wenn es richtig ist, dass die Armen von denen unterstützt werden, die über wirtschaftliche Mittel verfügen, dann gilt mit Sicherheit auch das Umgekehrte. Dies ist eine überraschende Erfahrung, die durch die christliche Tradition bezeugt wird und die zu einer echten Wende in unserem persönlichen Leben wird, wenn wir uns bewusstwerden, dass gerade die Armen es sind, die uns das Evangelium lehren.

111. Das Herz der Kirche ist ihrem Wesen gemäß solidarisch mit denen, die arm, ausgegrenzt und an den Rand gedrängt sind, mit denen, die als „Abfall“ der Gesellschaft betrachtet werden. Die Armen gehören zur Mitte der Kirche (...)

120. Die christliche Liebe überwindet alle Schranken, bringt Fernstehende einander nahe, verbindet Fremde, macht Feinde zu Vertrauten, überwindet menschlich unüberwindbare Abgründe und gelangt in die verborgensten Winkel der Gesellschaft. Die christliche Liebe ist ihrem Wesen nach prophetisch, sie vollbringt Wunder, sie kennt keine Grenzen: Sie ist für das Unmögliche da. Die Liebe ist vor allem eine Art Lebenskonzept, eine Lebensweise. Eine Kirche, die der Liebe keine Grenzen setzt, die keine zu bekämpfenden Feinde kennt, sondern nur Männer und Frauen, die es zu lieben gilt, das ist die Kirche, die die Welt heute braucht.

Auswahl: weltkirche.de und KNA

KNA

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