„Die Menschen lassen sich nicht unterkriegen“
Bonn/Abuja ‐ Reich an Spiritualität, reich an jungen Menschen: Weltkirche-Bischof Dr. Bertram Meier ist zu einem Solidaritätsbesuch nach Nigeria gereist. Im weltkirche.de-Interview berichtet er von seinen Eindrücken – und einer ganz und gar unerwarteten Einladung.
Aktualisiert: 17.01.2025
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Nigeria ist mit rund 220 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Seit einigen Jahren kommt es immer wieder in die Schlagzeilen, weil Konflikte zwischen Viehhirten und Bauern in Gewalt ausbrechen oder Terrorgruppen wie Boko Haram Gräueltaten verüben – oft auch gegen Christen. Mit einer kleinen Delegation hat Weltkirche-Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg) nun das Land besucht, das 2025 im Mittelpunkt der Initiative Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit steht. Neben der Hauptstadt Abuja stand dabei auch das Erzbistum Jos im Zentrum des Landes auf dem Reiseprogramm, wo die Bevölkerung besonders unter den gewaltsamen Konflikten leidet. Kurz vor dem Rückflug hat sich Bischof Meier einen Moment Zeit genommen, um für weltkirche.de von seinen Eindrücken zu berichten.
Frage: Herr Bischof Meier, mit welchen Gefühlen haben Sie sich auf den Weg gemacht – und mit welchen Eindrücken kehren Sie nun zurück?
Bischof Dr. Bertram Meier: Vor allem war ich sehr neugierig, weil der Nigeria Besuch für mich eine Premiere ist. Einige andere afrikanische Länder habe ich schon persönlich kennengelernt, aber Nigeria bislang nicht.
Jetzt nehme ich einen ganz großen, bunten Blumenstrauß von Eindrücken mit mir mit. Die Gesellschaft befindet sich durchaus in einer krisenhaften Situation. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 17,9 Jahren, Tendenz sinkend. Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent.
Viele Kinder, man spricht von 20 Millionen, können nicht die Schule besuchen. Die Inflation steigt und steigt, Armut ist weit verbreitet. Eltern fragen sich: „Wie kann ich meine Familie ernähren?“ Diese instabile gesellschaftliche Situation mit ökonomischen und finanziellen Gründen wirkt sich natürlich auch auf das Ganze Land aus.
Frage: Wie haben Sie die Menschen und das kirchliche Leben in Nigeria erlebt?
Meier: Das kirchliche Leben habe ich erlebt als sehr, sehr positiv. Sehr facettenreich. Die Menschen lassen sich nicht unterkriegen. Auch nicht durch Boko Haram, durch andere extreme Gruppen, nicht durch Entführungen.
Viele trauern oft auch. Das habe ich selbst erlebt. Ich habe einige Gedenkstätten besuchen dürfen, Orte, an denen solche Dinge, auch Attentate, stattgefunden haben. Aber ich habe auch erlebt, dass die Menschen Freude am Glauben haben und dass sie vor allem sehr mutig sind.
Ein Schlüsselerlebnis der Reise war für mich auch der Besuch in Jos. An einem Abend hat mich Matthew Man-Oso Ndagoso, der Erzbischof von Jos, in sein regionales Seminar geführt. Ich sollte dort eine kleine Konferenz zum interreligiösen Dialog geben, und es waren dort über 300 Seminaristen in der Kirche versammelt. Da bleibt einem der Mund offen als deutscher Bischof: So viele Priesteramtskandidaten. Sie saßen dort in weißen Talaren, und ich war tief bewegt. Davon können wir hier in Deutschland nur träumen.
Mit anderen Worten: Natürlich ist auch kirchlich natürlich nicht alles Gold, was glänzt, aber es ist ein großer Bekennermut da. Es ist auch Mut da, sich auf das Abenteuer des Glaubens einzulassen oder gar als Priester sich zu überlegen, diesen Weg einzuschlagen oder nach der eigenen Berufung nachzuspüren. Und das sind für mich sehr schöne Eindrücke.
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Frage: Sie haben das Erzbistum Jos besucht. Dort kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen muslimischen Viehhirten und christlichen Bauern. Wie haben Sie das erlebt?
Meier: Also erst mal, glaube ich, müssen wir von der Idee loskommen, dass es bei den Spannungen zwischen Bauern und Hirten um einen religiös motivierten Konflikt geht. Religion kann mal auch eine Rolle spielen. Aber letztendlich geht es um andere Themen, das habe ich dort erfahren. Nicht alles, was es hier an Gewalt gibt, ist religiös motiviert.
Ich vergleiche das gerne mit unserer Geschichte in Deutschland, Stichwort 30-jähriger Krieg. Das hat angefangen mit Streit unter den Reformatoren und der katholischen Kirche. Es waren religiöse Auseinandersetzungen, aber es haben sich immer mehr andere Dinge in diesen Stoff der Konfliktivität hinein verwoben. Und so ähnlich sehe ich das auch hier.
Es ist sehr einfach, alles auf einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen zuzuspitzen, was es aber nicht ist. Es gibt ökonomische Gründe. Es gibt Konflikte zwischen Volksstämmen und damit auch unterschiedlichen Kulturen. Ich warne ein bisschen vor holzschnittartigen Lösungen.
Frage: Terrorgruppen wie Boko Haram treiben ihr Unwesen und berufen sich bei ihren Taten auf die Religion
Meier: Boko Haram ist ganz klar eine radikalisierte Gruppe. Sie wollen einen islamischen Staat. Es gibt auch andere sehr, sehr extreme Gruppierungen. Aber es gibt mindestens so viele Graswurzel-Initiativen, die den interreligiösen Dialog suchen, die nicht voneinander lassen, die auch in ihren kleinen Bereichen, in ihren Dörfern und Städten das Miteinander suchen. Ich war selbst in einigen Gruppen dort eingeladen, konnte mich davon überzeugen und war sehr, sehr positiv überrascht.
Frage: Jetzt war ihr Besuch ja ein Solidaritätsbesuch. Warum war dieses Zeichen für die Christen in Nigeria wichtig?
Meier: Ich habe gespürt, dass ich bei meinen Gesprächspartnern mit ganz offenen Armen und noch offeneren Herzen empfangen worden bin. Die Gastfreundschaft war riesengroß und sehr, sehr viele Gesprächspartner, nicht nur Bischöfe, haben sich herzlich bedankt, dass wir hier mit der kleinen Delegation in dieses Land gereist sind. Denn Nigeria liegt im Windschatten; nicht nur kirchlich, auch politisch.
Ich hatte den Eindruck, es war für die Menschen hier sehr, sehr wichtig zu sehen: Ein deutscher Bischof, zumal als Vorsitzender der Kommission Weltkirche, schaut sich hier mal um, kommt auch uns zu. Es ging nicht darum, in Nigeria Reformvorhaben auf den Weg zu bringen, sondern mit unserem Besuch ein Zeichen der Ermutigung zu setzen. Und ich denke, es sich gelohnt, dass wir diese Solidarität mit bedrängten Schwestern und Brüdern gezeigt haben.
„Die Menschen lassen sich nicht unterkriegen. Auch nicht durch Boko Haram, durch andere extreme Gruppen, nicht durch Entführungen.“
Frage: Was bringen Sie mit nach Deutschland?
Meier: Wir leben ja in einer auch materiell sehr reichen Kirche. Wir können es uns leisten, uns immer wieder auch in Debatten zu verketten und manchmal zu versteifen. Und hier komme ich aus diesem Land wieder zurück, und kann sagen: Leute, verkopft euch nicht so, seid mit dem Herzen Christen, müht euch um den Dialog des Lebens. Müht euch darum, in euren Bereichen auch im kleinen Bereich für Geschwisterlichkeit einzusetzen.
Ein Beispiel: Ich war in Nigeria auch bei einigen Gruppengesprächen dabei. Es sind vor allem auch Frauen, die sehr aktiv dort sind, die nicht nur schüchtern und schweigsam im Hintergrund bleiben, sondern selbst das Wort ergreifen. Und jede Versammlung beginnt und schließt mit einem Gebet.
Frage: In Nigeria gibt es auch eine lange Tradition des interreligiösen Dialogs
Meier: Ich kann mich noch erinnern, in einer der großen Moscheen in Jos war ich eingeladen – und der Imam hat mich gebeten, das Opening Prayer, also das Eröffnungsgebet, zu sprechen. Das habe ich auch sehr, sehr gerne getan. Der Dialog wird hier immer eingebettet in einen geistlichen Rahmen. Spirituelle Ökumene und ökumenischer, spiritueller, interreligiöser Dialog. Und spirituell in dem Sinne auch, dass es zu einem Dialog der Tat, zu einem Dialog des Lebens mitten im Alltag wird. Und da wird hier sehr, sehr viel getan.