Anna Baghdasaryan und ihr Mann Arthur Samsonyan, Inhaber der Frühstückspension "Areni Wine Cellar B&B" am 19. Mai 2024 im Weinkeller Ihres Hauses in Areni (Armenien).
Armeniens schwieriges Verhältnis zum Nachbar Aserbaidschan

„Wir träumen von Frieden“

Areni  ‐ Es geht „nur“ um vier Dörfer und ein kleines Territorium von rund 200 Quadratkilometern. Doch der Konflikt darüber lässt in Armenien viele Menschen in Angst und Unsicherheit leben.

Erstellt: 18.06.2024
Aktualisiert: 14.06.2024
Lesedauer: 
Von Daniel Pelz (KNA)

Im berühmten Weindorf Areni in Armenien haben Anna Baghdasaryan und ihr Mann Arthur Samsonyan (Artikelbild) eine kleine Ruheoase geschaffen. Fünf Zimmer hat ihre Frühstückspension; mit Rosenmustern an den Wänden, einer kleinen Weinstube im Keller und wilden Reben vor dem Haus. „Dahinter ist Aserbaidschan“, sagt Baghdasaryan und zeigt auf die Hügel gegenüber. Bis zur Exklave Nachitschewan sind es nur wenige Kilometer Luftlinie.

In Areni ist es ruhig, doch der schwelende Konflikt mit dem Nachbarland ist immer präsent; etwa durch die vielen Militärlaster auf der Fernstraße. „Wir träumen von Frieden. Wenn es nicht diese Probleme gäbe, würden die Menschen neue Geschäfte gründen oder ihre Geschäfte erweitern. Jetzt haben viele Angst, etwas Neues zu wagen“, sagt Baghdasaryan.

Kaukasus. Georgien, Armenien, Aserbaischan.
Bild: © Peter Hermes Furian/stock.adobe.com

Erste Einigung über Grenzverlauf

Konflikte begleiten die Region seit Jahrzehnten. Der erste Krieg begann nach dem Zerfall der Sowjetunion. Seitdem gab es mehrere militärische Auseinandersetzungen und immer wieder Schüsse an der Grenze. Beide Seiten weisen sich gegenseitig die Schuld zu.

Zuletzt sorgte die aserbaidschanische Offensive in Bergkarabach im September 2023 in Armenien für Panik. Bis dahin wohnten mehrheitlich ethnische Armenier in der Region, die diese für unabhängig erklärt hatten. Nach völkerrechtlichem Verständnis gehört Bergkarabach jedoch zu Aserbaidschan. Mehr als 100.000 Menschen aus Bergkarabach flohen in Todesangst nach Armenien. Während Aserbaidschan den Einsatz als Wiederherstellung seiner territorialen Integrität rechtfertigte, wuchs in Armenien die Angst vor einem Angriff.

Beide Länder verhandeln derzeit über einen Friedensvertrag. Ein wichtiger Schritt dazu schien Anfang April gemacht: Unterhändler einigten sich auf den Grenzverlauf in einem umstrittenen Gebiet in Armeniens Norden. Die Regierung in Jerewan machte dabei ein großes Zugeständnis und gab vier besetzte Dörfer an Aserbaidschan zurück.

Proteste gegen Regierungskurs

Westliche Länder lobten den Kurs von Regierungschef Nikol Paschinjan (49). Auch Aserbaidschan äußerte sich positiv. Doch in Armenien gingen zeitweilig Zehntausende dagegen auf die Straße. Auch Pensionsbetreiberin Anna Baghdasaryan ist skeptisch: „Das wird nicht das Ende sein.“ Sie befürchtet, dass Aserbaidschan weitere Forderungen erhebt.

Ministerpräsident Paschinjan will seinen Friedenskurs fortsetzen und warnt vor militärischen Auseinandersetzungen, falls er scheitert. Auch Erzbischof Abraham Mkrtchyan hofft auf Frieden. Der würdevolle Herr mit dem weißen Bart ist Erzbischof des armenisch-apostolischen Bistums Wajots Dzor, wozu auch das Dorf Areni gehört. „Es gibt eine historische Chance, diesen Konflikt zu beenden, wenn Armenien die Dörfer zurückgibt und Aserbaidschan das Gebiet, das es besetzt. Dann könnte es für eine lange Zeit Frieden in dieser Region geben“, sagt er.

Noch bleibt das aber unsicher: Nach armenischen Angaben besetzt Aserbaidschan rund 200 Quadratkilometer. Eine Zusage, dass die Regierung in Baku dieses besetzte Gebiet räumt, gibt es nicht.

„Unsere Generation hat so viel Krieg, so viel Schmerz gesehen.“

—  Zitat: Nelly Grigoryan

Von Areni führt eine holprige Serpentinenstraße nach Khachik hinauf. Das kleine Dorf liegt zwischen zwei armenischen Militärstellungen an der Grenze zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan. Während der Sowjet-Ära führte diese Straße noch weiter, erinnert sich Nelly Grigoryan. „Meine Eltern waren oft in Nachitschewan zum Einkaufen. Jede Familie hatte Kontakt mit aserbaidschanischen Familien“, sagt die Bewohnerin von Khachik. Dann brachen nach dem Ende der Sowjetunion Kämpfe aus. Nelly Grigoryans Vater wurde angeschossen und schwer verletzt.

Von ihrem Garten blickt sie direkt auf die aserbaidschanischen Militäranlagen. „Das ist ihre schlimmste Stellung“, sagt die 50-Jährige und zeigt auf einige Punkte in den Hügeln gegenüber. Auch sonst ist der Konflikt in Khachik allgegenwärtig. Soldaten in Flecktarn stehen neben der kleinen Kirche und plaudern mit einigen Männern. Armeniens rot-blau-gelbe Flagge flattert im Wind.

Nelly Grigoryan glaubt nicht daran, dass sie eines Tages ins Tal gegenüber fahren wird, so wie es einst ihre Eltern getan haben. „Unsere Generation hat so viel Krieg, so viel Schmerz gesehen.“ Das würde Gespräche mit Aserbaidschanern verhindern. Ganz hat Grigoryan die Hoffnung aber nicht aufgeben: “Wenn in 30 Jahren eine neue Generation kommt, die nicht so viel Schlimmes erlebt hat, kann es vielleicht klappen.“

Mehr zum Thema