Kaukasus. Georgien, Armenien, Aserbaischan.
Bagrat Galstanjan führt Proteste gegen Friedensgeste an

Ein Bischof will Armeniens Regierung stürzen

Jerewan  ‐ Seit Wochen führt Bagrat Galstanjan Massenproteste gegen Armeniens Regierung an. Nun will er selbst Ministerpräsident werden. Auslöser war die Friedenspolitik von Regierungschef Paschinjan; doch es geht längst um mehr.

Erstellt: 02.06.2024
Aktualisiert: 04.06.2024
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Von Daniel Pelz (KNA)

Seit Wochen dominiert ein massiger Mann im schwarzen Priesterkleid Armeniens Medien. Wenn Erzbischof Bagrat Galstanjan mitten im Herzen der Hauptstadt Jerewan gegen die Regierung wettert oder die Hände in Siegerpose in die Luft reckt, gibt es in der Berichterstattung kaum noch ein anderes Thema. Schließlich will der streitbare Geistliche längst nicht mehr nur Regierungschef Nikol Paschinjan aus dem Amt jagen. Vor jubelnden Anhängern erklärte sich Galstanjan vor wenigen Tagen bereit, Chef einer Übergangsregierung zu werden, um die „Zerstörung unseres Heimatlandes“ zu stoppen.

Ironischerweise hat ausgerechnet Regierungschef Paschinjan dazu beigetragen, dass Galstanjan in wenigen Wochen sein wichtigster öffentlicher Gegenspieler werden konnte. Allerdings ungewollt: Im April einigten sich Armenien und Aserbaidschan auf den Verlauf der gemeinsamen Grenze in einigen umstrittenen Gebieten. Alle liegen in Galstanjans Bistum Tawusch. Als Teil des Deals gab Armenien vier Dörfer zurück, die es in den 90er Jahren erobert hatte.

Der Ministerpräsident lobt die Einigung als „wichtigen Eckstein für die weitere Entwicklung und Stärkung unserer Souveränität und Unabhängigkeit“. Er befürchtet neue militärische Auseinandersetzungen, wenn beide Länder keinen Friedensvertrag schließen. Doch Bewohner der Region gingen gegen die Entscheidung auf die Straße. Galstanjan setzte sich an die Spitze der Proteste und verlagerte sie in die Hauptstadt Jerewan.

„Sehr viele Ambitionen“

„Er hat sehr viele Ambitionen. Es reicht ihm nicht, Erzbischof und Primas der Diözese Tavusch zu sein“, sagt Harutyun Harutyunyan, Theologe und Dozent an der Staatlichen Universität von Jerewan. Unterstützung bekommt Galstanjan von der prorussischen Opposition und Teilen der armenisch-apostolischen Kirche.

Die hatte sich von Anfang an gegen die Rückgabe der Dörfer gestemmt: „Die Politik der armenischen Regierung, eine „Ära des Friedens“ durch unilaterale Zugeständnisse zu schaffen, ist nicht nur unrealistisch, sondern desaströs“, erklärte sie Anfang April. Aktuell kritisiert die Kirchenleitung, die Polizei wende unverhältnismäßige Gewalt gegen Bürger an, die ihren friedlichen Protest zum Ausdruck brächten. Allerdings stehe nicht die gesamte Kirche hinter Galstanjan, sagt Experte Harutyunyan: „Viele Bischöfe sind gegen seine Aktionen - auch wenn sie es nicht öffentlich sagen. Es gibt viel Streit unter ihnen.“

Dass das Kirchenoberhaupt, Katholikos Karekin II., Galstanjan als Leiter des Bistums Tawusch beurlaubt hat, damit er sich ganz den Protesten widmen kann, ist für Beobachter ein deutliches Zeichen von Zustimmung. Zumal der Streit zwischen Regierungschef und Katholikos lange vor der Rückgabe der Dörfer begann. Im Kern geht es darum, welche Rolle die Kirche im heutigen Armenien spielen soll.

Traditionell ist ihr Einfluss groß: Über Jahrhunderte, in denen kein geeinter armenischer Staat existierte, war die Kirche wichtigste Vertreterin des armenischen Volkes und Bewahrerin armenischer Kultur, Sprache und Geschichte. Diese historische Rolle als Nationalkirche erkennt Armeniens Verfassung bis heute an.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte die Kirche großen Einfluss auf die armenische Politik - bis der damalige Oppositionspolitiker Paschinjan 2018 die Regierung übernahm. Er will einen Staat nach westlichem Muster, in dem Kirche und Staat getrennt sind. Entsprechend versucht er, den Einfluss der Kirche zurückzudrängen. Nach dem verlorenen 44-Tage-Krieg mit Aserbaidschan 2020 eskalierte der Streit. Die Kirche forderte den Regierungschef vergeblich zum Rücktritt auf.

Paschinjan aber blieb an der Macht; und das dürfte sich im Moment auch nicht ändern. Galstanjans Machtoptionen sind derzeit begrenzt: Der Opposition hat nicht genug Stimmen im Parlament, um Paschinjan abzuwählen. Und selbst wenn, könnte der Bischof nach aktueller Rechtslage nicht Regierungschef werden: weil er einen armenischen und einen kanadischen Pass besitzt. Doppelstaatler können laut Verfassung nicht Ministerpräsident werden.

Und laut Umfragen ist Amtsinhaber Paschinjan auch immer noch populärer ist als sein Herausforderer. Aufgeben will Galstanjan trotzdem nicht: „Wir warten, bis du einen Weg findest, mit uns zu sprechen und friedlich zu gehen“, rief er kürzlich vor seinen jubelnden Anhängern in Richtung Paschinjan.

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