Renovabis-Chef warnt vor ‚Genozid auf Raten‘
Freising ‐ Am 24. April jährt sich die Verhaftung, Vertreibung und Ermordung christlicher Armenier im Osmanischen Reich. Anlass für das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis, einen Blick auch auf die Gegenwart zu werfen.
Aktualisiert: 23.04.2024
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Das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis ruft die EU zum Schutz Armeniens auf. „In der jetzigen Situation muss die Europäische Union dringend alle ihre Möglichkeiten nutzen, um endlich wirksamen und dauerhaften Schutz für die Armenier und ihr kulturelles Erbe zu schaffen und Aserbaidschan klare Grenzen aufzuzeigen“, forderte Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz am Montag in Freising.
Hierzu gehörten der Ausbau einer zivilen EU-Beobachtermission sowie unmissverständliche Sanktionsandrohungen gegenüber Aserbaidschan für den Fall, dass Baku nicht aktiv und glaubhaft an einer Deeskalation und Stabilisierung im Verhältnis zu Armenien beitrage, hieß es. „Die Gefahr eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs und einer neuen aserbaidschanischen Offensive halte ich für gegeben“, so Schwartz. „Es darf jetzt keinen ‚Genozid auf Raten‘ geben.“
Am 24. April 1915 begann im Osmanischen Reich die systematische Verhaftung, Vertreibung und Ermordung christlicher Armenier. Durch die Maßnahmen der jungtürkischen Regierung kamen nach Schätzungen bis Ende des Ersten Weltkriegs bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei erkennt das damalige Geschehen nicht als Völkermord an. Zahlreiche Staaten, darunter Deutschland, damals Verbündeter der osmanischen Türkei, haben inzwischen die Vernichtung der Armenier durch Deportationen in die syrische Wüste und gezielte Massaker offiziell als Genozid bezeichnet.
Erinnerungen auch an den Bergkarabach-Krieg
In diesem Jahr werde das Gedenken in Jerewan, Gjumri und vielen anderen Städten wohl ganz besonders von der Auseinandersetzung mit Aserbaidschan geprägt sein, so Schwartz: „Rund 100.000 Armenierinnen und Armenier sind zu Opfern geworden, als sie 2023 ihre Heimat Bergkarabach verlassen mussten.“ Angesichts vielfachen Leids der Armenier in Geschichte und Gegenwart müsse die Weltgemeinschaft aufpassen, „dass Armenien nicht auf Dauer zu einer Opfernation wird“, so Schwartz. „Die Menschen dort müssen ihren berechtigten Platz in der friedlichen Völkerfamilie finden.“ Die Bevölkerung Armeniens dürfe keine Sorge um die territoriale Integrität ihrer Heimat oder Angst um ihre Existenz haben müssen.
Zuletzt war es in Bergkarabach – entgegen anderslautender Versicherungen aserbaidschanischer Stellen – zur Zerstörung und Vernichtung armenischer Kulturdenkmäler und Kirchen gekommen. Damit verliere die Menschheit unwiederbringlich bedeutende und einmalige Kulturdenkmäler, so der Renovabis-Hauptgeschäftsführer.
Im September 2023 hatte Aserbaidschan die armenische Enklave Berg-Karabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, mit überlegenen militärischen Mitteln angegriffen. Schon nach einem Tag war der Krieg entschieden. Dem Angriff vorausgegangen war eine rund neun Monate dauernde Totalblockade Berg-Karabachs durch Aserbaidschan. Mehr als 110.000 Armenier mussten schließlich im September über Nacht ihre Heimat verlassen.
Stephanus-Preis ehrt Engagement für die Armenier Berg-Karabachs
Die Stephanus-Stiftung ehrt zwei armenische Christen für ihr Engagement für die aus Berg-Karabach vertriebenen Armenier mit einem Sonderpreis. Die Sprachwissenschaftlerin Jasmine Dum-Tragut wurde am Samstagabend in Bonn für ihren beispiellosen Einsatz bei der Erforschung der armenisch-christlichen Traditionen Berg-Karabachs geehrt. Auch wurde Gegham Stepanyan, Ombudsmann für Menschenrechte der „Republik Arzach“ (Berg-Karabach), ausgezeichnet. Er erhielt den Preis für seinen Einsatz vor der Vertreibung und bei der Organisation der Evakuierung von über 100.000 Menschen aus dem Gebiet.
Dum-Tragut leitet das Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens, die Abteilung für Armenische Studien und lehrt am Fachbereich Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte der Universität Salzburg. Zudem ist sie Pferdewissenschaftlerin. Stepanyan vertritt die menschenrechtlichen Anliegen der geflohenen Bevölkerung Berg-Karabachs nach dem Ende der „Republik Arzach“ international.
Mindestens einmal im Jahr wird der Stephanus-Preis für verfolgte Christen vergeben. Damit ehrt die Stiftung Personen sowie Institutionen, die sich „als Bekenner besondere Verdienste“ erworben haben und „trotz Gefahr für Leib und Leben gewaltlos für ihren Glauben eingetreten“ sind. Zu den Preisträgern zählten bislang unter anderen der frühere Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, der vietnamesische Menschenrechtler und Anwalt Nguyen Van Dai und die pakistanische Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony.
KNA/Renovabis/dr