Gottesdienst in der Kirche Sankt Georg, Arbin, Syrien
„Hier sind unsere Wurzeln, hier ist unser Land“

Die Christen im syrischen Arbin halten zusammen

Damaskus  ‐ Einige Vororte liegen noch immer in Trümmern. Nur selten noch ein Kontrollpunkt, den die Autos langsam und grüßend passieren. „Der Mann ist für unsere Lage nicht verantwortlich“, sagen die Fahrer. „Er leidet wie wir alle.“

Erstellt: 10.02.2024
Aktualisiert: 10.02.2024
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Von Karin Leukefeld (KNA)

Es ist Freitagabend, der traditionelle muslimische Feiertag, an dem Handel und Arbeit ruhen. Die Stadt Arbin unweit von Damaskus wirkt wie ausgestorben. An einem Kreisverkehr weist ein Fußgänger den Besuchern den Weg zur Kirche des heiligen Georg. Die überwiegende Mehrheit der heute rund 70.000 Einwohner von Arbin sind sunnitische Muslime. Doch man wird kaum jemanden finden, der die griechisch-orthodoxe Georgskirche nicht kennt. Vor dem Krieg lebten die ethnischen und religiösen Gruppen Tür an Tür zusammen, als gute Nachbarn.

Durch den Eingang zum Innenhof der Kirche fällt ein schmaler Lichtstrahl. Fast sechs Jahre zuvor, im April 2018, war Journalisten erstmals offiziell wieder der Zugang nach Arbin genehmigt worden. Das Kirchenschiff war ausgebrannt, die Decke eingestürzt. Im Innenhof flatterten Hühner. An einer Wand war in großen blauen Buchstaben ein Abschiedsgruß von Ahrar al Sham und der Rahman-Legion zu lesen; zwei jener bewaffneten Gruppen, die 2017 Arbin und andere östliche Vororte in ein Gebilde aus islamischen Gottesstaaten verwandelt hatten. „Wir kommen wieder“, stand da, und es las sich als die Drohung, die es war.

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Heute bietet sich ein anderer Anblick. Der Schriftzug ist verschwunden; alles ist komplett renoviert. Am hinteren Eingang zur Sakristei stehen ein großer Weihnachtsbaum und eine Krippe. Die Räume der kircheneigenen Schule liegen auf zwei höheren Etagen, rund um den Innenhof angeordnet. Durch die Fenster ist das hell erleuchtete Kirchenschiff zu sehen.

Die Gläubigen sitzen eng nebeneinander in den Bänken; viele stehen im Gang. Andächtig verfolgen sie die Zeremonie von „Abuna“ [unser Vater] Danielle, wie die Priester familiär genannt werden. Ein Chor begleitet die Liturgie. Schließlich zieht Abuna Danielle durch die engen Reihen an den Gläubigen vorbei und segnet sie mit Weihrauch und einem mit Weihwasser gesegneten Olivenzweig. Viele lachen glücklich und strahlen sich an. Andere verharren im Gebet. Den Kopf gesenkt, das Gesicht mit den Händen bedeckt.

Viele Christen haben Syrien verlassen

Vor der Empore haben sich viele junge Leute versammelt und sind in kleinen Gruppen in Gespräche vertieft. Interessiert schauen sie auf den fremden Gast und sprechen ohne Scheu über ihre Situation. Carol ist 24 und in Arbin geboren. Sie hoffe auf ein gutes Jahr, sagt sie. Ja, sie lebe wieder in Arbin; sie sei aber während des Krieges nicht dort gewesen. „Wir haben acht Jahre lang in Katana gewohnt, dann in Jaramana“, erzählt Carol. „Aber als sie gesagt haben, dass die Familien zurückkehren dürften, gehörten wir zu den ersten, die zurückgekehrt sind“; sie, ihre Eltern und ihre beiden Schwestern.

Carol ist Pharmazeutin und hat eine Stelle in einer Apotheke in Arbin gefunden. Sie weiß, dass viele Christen Syrien verlassen haben; das sei traurig, sagt sie leise. Und sie glaube nicht, dass sie zurückkehren werden. Auf die Frage, warum nicht, meint sie: „Das Leben hier ist sehr schwer; und sie haben dort, wo sie jetzt sind, ein neues Leben.“ Sie selbst ist überzeugt: „Aber wir werden unser Land wiederaufbauen. Wir, die junge Generation, müssen das machen. Mit einer guten Ausbildung wird es gelingen.“

Christen in Arbin
Bild: © Karin Leukefeld/KNA

Die drei Freunde (v.l.n.r.) Toni, Carol, George in der Kirche Heiliger Georg in Arbin (Syrien) am 5. Januar 2024.

Dann stellt Carol ihre Freunde und eine ihrer Schwestern vor. Da ist Kamal, der auf Deutsch erzählt, wie er 2018 im Rahmen der Familienzusammenführung mit Mutter und Schwester nach Deutschland kam, wo der Vater Arbeit gefunden hatte. Er selbst habe Deutsch gelernt, Betriebswirtschaft und Rechnungswesen studiert. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeite er heute in einem großen Unternehmen.

Er sei vor Weihnachten erstmals wieder in seine Heimat gekommen, sagt Kamal und strahlt. „Ich wollte meine Freunde, Cousins, meine Familie wiedersehen“, sagt er. „Auch wenn die wirtschaftliche Lage hier so schlecht ist, freue ich mich sehr, hier zu sein.“ Auch für Kamal hat die Kirche des heiligen Georg eine besondere Bedeutung: „Wie alle bin ich hier in die Schule gegangen. Das hat uns zusammengeschweißt.“

Zurück zu den Wurzeln

Die Christen von Arbin liebten die Kirche, sagt der 22-jährige Toni. Vor dem Krieg sei sonntags kein Platz frei gewesen. Auch heute verpassten die Menschen keinen der Gottesdienste, auch wenn sie noch nicht wieder in Arbin lebten. So wie er, sagt Toni. Er lebe nahe Damaskus und studiere dort, komme aber jeden Sonntag nach Arbin, um die Kirche zu besuchen und Freunde zu treffen.

Auf die Frage, ob er nach Arbin zurückkehren werde, sagt Toni, das wisse er nicht. Er studiere in Damaskus Informationstechnologie und suche Arbeit. Er würde gern zurückkehren; doch nicht alle Familien hätten genug Geld, um ihre Häuser in Arbin wieder aufzubauen. „Auch unser Haus ist zerstört.“ Darum komme er jeden Sonntag, um wenigstens beim Gottesdienst der Gemeinde nahe zu sein.

Zerstörte Häuser in Arbin (Syrien)
Bild: © Karin Leukefeld/KNA

Zerstörte Häuserblocks in Arbin (Syrien) am 5. Januar 2024.

Die Kirche des heiligen Georg wurde mit russischer Hilfe wiederaufgebaut, berichtet Abuna Danielle Nahme nach dem Gottesdienst. 25 christliche Familien seien nach Arbin zurückgekehrt; 14 von ihnen habe die Kirche finanziell unterstützen können. Die Gemeinde zähle etwa 900 Christen, die während des Krieges in anderen Vororten von Damaskus gelebt und auf ein baldiges Kriegsende gehofft hatten.

„Viele Jahre lebten wir in der Hoffnung, alles werde besser, wenn wir zurückgekehrt seien“, erinnert sich der Priester. „Aber diese Hoffnung brach in dem Moment zusammen, als ich das erste Mal wieder herkam; das war 2017. Alles war zerstört, alles. Wir fanden nicht, was wir all die Jahre erhofft hatten.“ Und dennoch: Fünf Jahre später seien die ersten Familien zurückgekehrt, um zu bleiben. „Die Christen von Arbin wollen allen und überallhin eine Botschaft senden“, sagt der Pfarrer stolz: „Wir sind hier. Hier sind unsere Wurzeln, hier ist unser Land.“

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