Unklare Situation nach dem Staatsstreich in Niger
Staatschef Bazoum will bleiben

Unklare Situation nach dem Staatsstreich in Niger

Niamey/Cotonou ‐ Niger ist von Europa gerne als der noch verbleibende stabile und verlässliche Partner im Sahel gelobt worden. Jetzt hat es auch dort einen Putsch gegeben. Die Konsequenzen sind nicht absehbar.

Erstellt: 27.07.2023
Aktualisiert: 28.07.2023
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Mohamed Bazoum will nicht zurücktreten. Im westafrikanischen Niger betont der 63-Jährige, der 2021 zum Staatschef gewählt wurde, Präsident des Landes zu sein. Den Putsch gegen ihn lehnt er ab und schreibt am Donnerstagmorgen auf dem Kurznachrichtendienst X, bisher Twitter, einigermaßen nebulös: „Die hart erkämpften Errungenschaften werden gerettet. Alle Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen.“

Dabei hatten Militärs um Oberst-Major Amadou Abdramane in der Nacht zu Donnerstag Bazoums Absetzung verkündet. „Wir haben beschlossen, dem Regime ein Ende zu setzen.“ Verteidigungs- und Sicherheitskräfte würden künftig die Situation regeln, externe Partner sollten sich nicht einmischen. Am Donnerstagvormittag dann eine weitere deutliche Botschaft, die per X verbreitet wird: Jede externe militärische Intervention könne desaströse Konsequenzen für die Bevölkerung haben und Chaos hervorrufen.

Auf den Straßen von Niamey sei es am Morgen nach dem Putsch ruhiger als üblich, sagt Mauro Armanino, italienischer Missionar, der seit mehr als zehn Jahren in Nigers Hauptstadt lebt. Viele Menschen würden aber ihrer Arbeit nachgehen. „Wir müssen abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Bisher gibt es keine Probleme.“

Niger ist instabil

Aus Armaninos Sicht zeigt die Machtübernahmen durch das Militär vor allem eins: Der Sahelstaat Niger ist instabil. Dabei galt das Land mit seinen 25 Millionen Einwohnern aus europäischer und US-amerikanischer Sicht nach den Putschen in Mali und Burkina Faso gerne als letzter „Anker der Stabilität“. Von Seiten der Europäischen Union fließen mehr als 72 Millionen Euro in die Terrorismusbekämpfung.

Als im vergangenen Jahr immer deutlicher wurde, dass Absprachen bezüglich der Blauhelm-Mission Minusma in Mali mit der Übergangsregierung schwieriger werden, wurde Niger zum Schwerpunktland der militärischen Kooperation erklärt. In Niger selbst gab es zunehmend Proteste. Die Befürchtung lautete: Eine stärkere Präsenz internationaler Soldaten erhöht die Anschlagsgefahr durch islamistische Gruppierungen und auch Einmischungen, etwa durch die einstige Kolonialmacht Frankreich, die in der Region immer unbeliebter wird. Bazoums Regierung hatte in der Vergangenheit allerdings stark um eine Zusammenarbeit geworben.

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Islamistische Gruppierungen sind in Niger seit langem präsent, etwa in der Region Tillaberi im Südwesten. In der Region Diffa am Tschadsee ist es die nigerianische Terrormiliz Boko Haram. Das Land zählt mittlerweile mehr als 358.000 Binnenvertriebene. Über 900 Schulen sind nach Angaben des Bildungsministeriums geschlossen. Außerhalb der Hauptstadt könne der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen, sagt Philipp Goldberg, Direktor des Regionalbüros Frieden und Sicherheit in Subsahara Afrika der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit Sitz in Dakar/Senegal.

„Niger ist keine stabile Demokratie, wie man es sich aus westlicher Sicht gewünscht hätte“, so Goldberg. Auch habe das Land bereits mehrere Putsche erlebt, zuletzt 2010. Menschenrechtsorganisationen hatten in den vergangenen Jahren zunehmend die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit kritisiert. Beispielsweise wurden mehrere Journalisten verhaftet.

Rückschlag für die Demokratie in Westafrika

Niger ist das vierte Land in Westafrika ohne gewählte Regierung. Auch im Sahel-Nachbarstaat Tschad in Zentralafrika hat nach dem Tod von Langzeitherrscher Idriss Deby im April 2021 dessen Sohn Mahamat die Amtsgeschäfte übernommen. Diese Entwicklung bringt auch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas in Bedrängnis, die zunehmend als Sanktionsorganisation betrachtet wird. Der erst im Juli gewählte Vorsitzende, Nigerias Präsident Bola Tinubu, fand bereits kurz nach Bekanntwerden der ersten Gerüchte deutliche Worte: „Nigeria steht fest an der Seite der gewählten Regierung in Niger. Wir werden unseren Standpunkt zur Verteidigung und Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht aufgeben oder zurückschrecken.“

Auch die Vereinten Nationen kritisierten den Putsch scharf: UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk forderte am Donnerstag, Präsident Bazoum sofort und bedingungslos freizulassen und dessen Sicherheit zu gewähren.

Missio: Militärputsch im Niger auch für Christen gefährlich

Das katholische Hilfswerk Missio Aachen befürchtet in Niger nach dem Militärputsch eine langfristige politische Destabilisierung, von der auch die christliche Minderheit betroffen ist. „Zurzeit mag es dort relativ ruhig sein. Unsere Erfahrung mit Militärputschen im Sahel und Afrika aber ist, dass danach die Sicherheitslage immer schlechter wird. Organisierte Kriminalität, unkontrollierte Kämpfe um Rohstoffe, Zunahme der Binnenflucht und Korruption nehmen zu. Das kann für die Menschen sehr gefährlich werden“, sagte Frank Kraus, Leiter der Missio-Auslandsabteilung, am Freitag in Aachen.

„Die Kirchen und christliche Organisationen wirkten in der noch jungen Demokratie des Landes aktiv beim Aufbau einer pluralen Zivilgesellschaft und interreligiöser Verständigung mit. Wir hatten die Hoffnung, dass, wenn das in Niger gelingt, ein Vorbild für andere Staaten sein kann. Diese Hoffnung ist enttäuscht“, sagte Kraus.

Die Partnerinnen und Partner von Missio stehen nach Angaben des Missionswerks weiter an der Seite der verwundbarsten Menschen in Niger, einem der ärmsten Länder der Welt. Sie vertreten ihre Menschenrechte etwa im Kampf gegen Zwangsheirat oder für die Rechte der Frauen. Sie bringen bei lokalen Konflikten die Angehörigen verschiedener Ethnien und Religionen an einen Tisch. „Durch entsprechende staatliche Programme, die von westlichen Staaten oder der Europäischen Union unterstützt wurden, konnten sie relativ unabhängig agieren. Diese Freiheit steht jetzt wieder auf dem Spiel. Das macht uns große Sorgen“, sagte Kraus.

„Viele Projekte der Kirche im Niger werden von Christinnen und Christen aus unterschiedlichsten afrikanischen Ländern unterstützt oder geleitet. Was der Militärputsch für sie bedeutet, ist noch unklar. Wir hoffen, ihre Sicherheit ist nicht gefährdet und sie können bleiben“, so Kraus weiter. (Missio)

Katrin Gänsler/KNA

28:07.2023, 15:35: Stellungnahme Missio Aachen hinzugefügt

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