Climate Clock der Malediven auf der COP27-Klimakonferenz
„Die Erde wird seit 50 Jahren übernutzt“

Erdüberlastungstag am 2. August: Ökologisches Kapital des Globus für 2023 verbraucht

Ab kommenden Mittwoch verbraucht die Menschheit mehr Acker- und Weideland, Fischgründe und Wald, als ihr rechnerisch für 2023 zur Verfügung stünde. Das ökologische Guthaben des Planeten wird angeknabbert.

Erstellt: 26.07.2023
Aktualisiert: 27.07.2023
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Von Christoph Arens (KNA)

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigt sich pessimistisch: Der Klimawandel sei „außer Kontrolle“, warnte er kürzlich. Es drohe „ein Wettlauf, den wir verlieren“. Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif bemüht sich dagegen, Mut zu machen: Trotz erschreckender Nachrichten über immer häufigere Hitzewellen, Waldbrände und Unwetter gehe man in der Wissenschaft davon aus, dass der „Point of no return“ noch nicht erreicht sei, sagte er vor wenigen Tagen.

Die Wissenschaftler, die am Mittwoch ihre Berechnungen für den ökologischen Fußabdruck der Menschheit im Jahr 2023 veröffentlichten, lassen beide Interpretationen zu: ein wenig Zuversicht, aber auch deutliche Sorge über den Zustand des Planeten Erde.

Seit mehr als 50 Jahren jährlich übernutzt

Glaubt man den Berechnungen des Global Footprint Network (GFN), hat die Menschheit das ökologische Kapital des Planeten für 2023 bereits am 2. August verbraucht. Den Rest des Jahres nagt sie an der Substanz des Globus. Das bedeutet, dass die Menschen derzeit so leben, als hätten sie 1,7 Planeten zur Verfügung. Geht es so weiter, werden schon 2030 zwei Erden verbraucht.

„Seit mehr als 50 Jahren werden die natürlichen Ressourcen der Erde ununterbrochen jedes Jahr übernutzt“, erklärt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch, die die Arbeit des Netzwerks in Deutschland steuert. „Immerhin ist es erfreulich, dass die Überlastung seit einigen Jahren kaum noch zunimmt und in diesem Jahr sogar ganz leicht abnimmt.“

Beniner Überlastungstag erst Ende Dezember

Einigermaßen im Einklang standen Angebot und Nachfrage zuletzt Anfang der 70er. 2000 fiel das Datum noch auf den 23. September und lag damit fast zwei Monate später als heute. Die Coronapandemie bewirkte eine Ausnahme: 2020 ließen gedrosselte Wirtschaftsaktivitäten und Lockdown-Maßnahmen insbesondere den CO2-Ausstoß sinken und verzögerten das symbolträchtige Datum bis zum 22. August. Schon 2021 fiel der Erdüberlastungstag aber wieder auf den 29. Juli – wie auch schon vor der Pandemie im Jahr 2019.

Symbolfoto: Hochwasser bringt Brücke zum Einsturz
Bild: © Martin/stock.adobe.com

Symbolfoto: Hochwasser bringt Brücke zum Einsturz

Eine Übernutzung natürlicher Ressourcen sei nur eine begrenzte Zeit möglich, betonen die Autoren der Studie. Schon jetzt zeigten sich gravierende Schäden wie Bodenerosion, Wüstenbildung, nachlassende Bodenfruchtbarkeit, ein Verlust der Artenvielfalt und eine zu hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Die Kohlendioxyd-Emissionen machen nach den Worten der Wissenschaftler 60 Prozent des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit aus.

Im internationalen Vergleich verbraucht den Angaben des Global Footprint Networks zufolge Qatar pro Kopf die meisten Ressourcen; der Erdüberlastungstag des Emirats war bereits am 10. Februar. Dahinter folgen Luxemburg, Bahrain, Kanada und die USA. Der letzte Überlastungstag im Jahr ist in Benin, dort ist er auf den 26. Dezember datiert.

Nachfolgende Generationen müssen Leiden

Würden alle Länder so viele Ressourcen wie Deutschland verbrauchen, dessen nationaler Welterschöpfungstag auf den 4. Mai fiel, wären drei Erden notwendig, betont das Netzwerk. Der ökologische Fußabdruck der Bundesrepublik ist laut Germanwatch vor allem auf die hohen CO2-Emissionen in den Bereichen Strom, Verkehr und industrielle Landwirtschaft und auf den großen Flächenbedarf zurückzuführen.

Neben der zu langsam vonstatten gehenden Energiewende ist die Lage im Verkehrssektor aus Sicht von Germanwatch besonders problematisch: Seit 1995 seien die Emissionen im Straßenverkehr um 5,1 Prozent gestiegen, im Straßengüterverkehr sogar um 17 Prozent. Auch im Flugverkehr ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen: In Deutschland nahmen die Emissionen aus dem internationalen Luftverkehr von 1990 bis 2018 um fast 150 Prozent zu. Auch der Energieverbrauch pro Kopf ist den Angaben zufolge höher als im EU-Durchschnitt und hat sich in den letzten Jahren nur geringfügig reduziert. Zudem wächst die versiegelte Fläche in Deutschland: In den letzten 28 Jahren ist sie um 28,3 Prozent gestiegen.

„Mit den schwerwiegendsten Folgen dieser jahrzehntelangen Übernutzung müssen vor allem die jungen und nachfolgenden Generationen sowie arme Menschen, vor allem im Globalen Süden, fertig werden“, sagt Bals. „Doch die haben am wenigsten zu dieser Krise beigetragen.“

KNA

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