EU-CELAC-Summit
Treffen mit Kontroversen

EU-Lateinamerika-Gipfel: Kein Durchbruch, aber Annäherung

Brüssel/Rio de Janeiro  ‐ In Brüssel ist gestern das Treffen der Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, der Karibik und aus Europa zu Ende gegangen. Dabei ging es auch um Wiedergutmachung für Sklaverei, um Klimaschutz – und um 100 Milliarden US-Dollar von den Industrieländern.

Erstellt: 20.07.2023
Aktualisiert: 30.05.2024
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Beim ersten Treffen der Staats- und Regierungschefs aus Europa und Lateinamerika/Karibik seit acht Jahren ist Bewegung in die verfahrene Lage gekommen. Beim sogenannten EU-Celac-Gipfel in Brüssel erklärten beide Seiten, dass das Freihandelsabkommen zwischen der Wirtschaftsunion der Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) und der EU ab August weiterverhandelt werden solle.

Basis sind Vorschläge von beiden Seiten. Die südamerikanischen Staaten fordern mehr Beinfreiheit für Wirtschaftswachstum, die EU mehr Umweltschutz. Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou erklärte: „Genug verhandelt, es ist Zeit, die Verträge nach 25 Jahren zu unterzeichnen.“

Dank des über Jahrzehnte gestärkten Agrar- und Ölsektors deutet sich für Brasilien mit Blick auf die aktuellen Wirtschaftsdaten derzeit ein möglicher neuer Höchststand an. Das erklärt, warum sich Präsident Luiz Inacio Lula da Silva schwer tut, auf die Umweltforderungen aus Brüssel einzugehen. Die Europäer beginnen ihrerseits zu verstehen, dass Vorgaben aus den Reihen früherer Kolonialmächte in Lateinamerika nicht gut aufgenommen werden.

Uneinigkeit zu russischem Angriff

Keine Einigung gab es zum Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die linken Autokratien Kuba, Venezuela und Nicaragua sind treue Verbündete Moskaus und lehnten ab, eine Verurteilung Russlands zu unterzeichnen. Am Ende fand eine abgeschwächte Deklaration Zustimmung, der sich nur Nicaragua verweigerte.

In der angenommenen Deklaration wird aber der Agressor klar benannt: „Wbringen unsere tiefe Besorgnis über den anhaltenden Krieg gegen die Ukraine zum Ausdruck, der weiterhin immenses menschliches Leid verursacht und die bestehenden Schwächen der Weltwirtschaft verschärft, das Wachstum bremst, die Inflation erhöht, Lieferketten stört, die Energie- und Ernährungsunsicherheit erhöht und die Risiken für die Finanzstabilität erhöht“, heißt es. In diesem Sinne unterstütze man die Notwendigkeit eines gerechten und nachhaltigen Friedens, bekräftige die Unterstützung für die Schwarzmeer-Getreideinitiative und die Bemühungen des UN-Generalsekretärs, ihre Ausweitung sicherzustellen.

Chiles Präsident Gabriel Boric verurteilte als einziger lateinamerikanischer Linkspolitiker deutlich den Überfall auf die Ukraine. Grundlage für den Umgang mit solchen Vorfällen müsse das Völkerrecht sein, und das habe Russland gebrochen. Brasiliens Präsident Lula da Silva (77) kritisierte Boric (37) im Nachgang laut CNN Brasil als übereiligen jungen Mann, dem die Erfahrung für solche Konferenzen fehle.

Der Sozialist Boric rief auch dazu auf, Menschenrechtsverletzungen in Venezuela und Nicaragua zu verurteilen. Mehrere links regierte Länder forderten unter anderem gemeinsam mit Frankreich, dass in Venezuela freie, faire und transparente Wahlen garantiert werden müssten; auch Oppositionspolitiker müssten zur Wahl stehen dürfen. Die EU bot an, eine unabhängige Beobachterkommission zu entsenden. In den Umfragen für Venezuela führt derzeit die bürgerlich-liberale Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado, der das passive Wahlrecht für 15 Jahre entzogen wurde.

Inselstaaten bestehen auf Klimaschutz

Insbesondere auf Drängen der kleinen Inselstaaten wird im Abschlussdokument des EU-CELAC-Gipfels mehrfach auf die Bedeutung des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Klimafolgenanpassung hingewiesen. „Wir begrüßen insbesondere die Einrichtung von Finanzierungsvereinbarungen für Verluste und Schäden, einschließlich eines Fonds, und sind entschlossen, auf seine vollständige Operationalisierung hinzuarbeiten“, heißt es mit Blick auf die Forderung, besonders Industrieländer für die Klimafolgen betroffener Staaten zur Kasse zu bitten.

Zudem betonten alle Seiten die Verpflichtung der Industrieländer, zeitnah 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die Klimafinanzierung zur Unterstützung der Entwicklungsländer zu mobilisieren und die Finanzierung für deren Anpassung an die veränderten klimatischen Bedingungen bis 2025 zu verdoppeln.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Auch mit Blick auf den lange europäisch organisierten Sklavenhandel fanden die Gipfelteilnehmer klare Worte. „Wir erkennen das unsägliche Leid an, das Millionen von Männern, Frauen und Kindern durch den transatlantischen Sklavenhandel zugefügt wurde, und bedauern es zutiefst“, ist in der Abschlusserklärung zu lesen. Man unterstütze die Vorgaben der Durban-Erklärung, einschließlich der Anerkennung, dass Sklaverei und Sklavenhandel, inklusive des transatlantischen Sklavenhandels, nicht nur aufgrund ihrer abscheulichen Barbarei, sondern auch im Hinblick auf ihr Ausmaß, ihre organisierte Natur und insbesondere ihre Negierung des Wesens der Opfer selbst, entsetzliche Tragödien der Menschheitsgeschichte seien und Sklaverei und Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

CELAC verwies in diesem Zusammenhang zudem auf den CARICOM-Zehn-Punkte-Plan für restaurative Justiz zur Wiedergutmachung. In dem Plan fordern die Staaten der Karibischen Gemeinschaft beispielsweise von den europäischen Regierungen eine vollständige formelle Entschuldigung für Sklaverei und Sklavenhandel; ein Entwicklungsprogramm für indigene Gemeinschaften; Möglichkeiten in das Land der Vorfahren zurückzukehren und den Erlass von Staatsschulden.

Lateinamerikanischer und Europäischer Bischofsrat: Vertrauen wiederherstellen

In einem gemeinsamen Dokument hatten die Präsidenten des lateinamerikanischen Bischofsrats (CELAM) und der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) gemeinsam dafür geworben, das Vertrauen wieder aufzubauen und den Multilateralismus zu stärken. „Als Bischofskonferenzen und kirchliche Organisationen, die sich in den Regionen Europas und Lateinamerikas aktiv engagieren, sind wir fest davon überzeugt, dass wir uns gegenseitig respektieren, helfen und gemeinsam gehen können, um eine gerechtere, nachhaltigere und brüderlichere Welt zu schaffen“, so CELAM-Präsident Erzbischof Miguel Cabrejos Vidarte und COMECE-Präsident Bischof Mariano Crociata.

weltkirche.de/KNA

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