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Misereor-Chef: Amazonas-Synode „ehrlich und transparent angehen“

Amazonas-Synode ‐ In Rom tagt im Oktober die Amazonas-Synode, um über Seelsorge und Fragen von Umweltschutz und Menschenrechten in Lateinamerika zu beraten. Im Interview äußert sich Pirmin Spiegel zu den Schwerpunkten der Synode und zu seiner Sicht auf innerkirchliche Reformdebatten.

Erstellt: 26.07.2019
Aktualisiert: 26.07.2019
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In Rom tagt im Oktober die Amazonas-Synode, um über Seelsorge und Fragen von Umweltschutz und Menschenrechten in Lateinamerika zu beraten. Hierzulande könnte im Dezember der „synodale Weg“ zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland beginnen. Bevor Pirmin Spiegel Hauptgeschäftsführer von Misereor wurde, arbeitete er unter anderem als Priester in Brasilien. Im Interview äußert sich der Chef des Werks zu den Schwerpunkten der Amazonas-Synode und zu seiner Sicht auf innerkirchliche Reformdebatten.

Frage: Monsignore Spiegel, sie haben an den Vorbereitungen zur Amazonas-Synode mitgewirkt. Was genau steht da auf der Tagesordnung?

Spiegel: Im Gebiet von Amazonien befindet sich der größte Urwald mit den größten Süßwasserreserven, dem größten Artenvorkommen weltweit, ebenso eine Vielzahl autochthoner Völker. Doch das Wirtschaftsmodell, das in Amazonien vorherrscht, bedeutet Zerstörung von Natur, Zerstörung von Schöpfung. Jedes Jahr werden Wälder von der dreifachen Größe Luxemburgs abgeholzt. Wenn der Amazonas, der als grüne Lunge der Erde bezeichnet wird, leidet, dann brauchen wir heilende Wege, um diese Lungenentzündung für die nachwachsenden Generationen und die bedrohten Völker heute anzugehen.

Frage: Papst Franziskus, der das Treffen einberufen hat, geht es aber sicher nicht nur um den Umweltschutz, oder?

Spiegel: Die Intention des Papstes ist, um der Menschen und der Natur willen – und deshalb um des Evangeliums willen – neue und andere Wege für die Kirche zu finden.

Frage: Was heißt das?

Spiegel: Erstens gibt es die unvorstellbar großen Entfernungen zwischen den Gemeinden. In einigen Gemeinden innerhalb des Amazonasbeckens wird nur selten Eucharistie gefeiert, in manchen nur alle zwei Jahre. Deshalb werden Zugänge zum Amt mit auf der Tagesordnung der Synode stehen. Zweitens geht es um die sogenannte Dekolonialisierung. Bisher wurden in der Regel europäische Ansätze auf die Gemeinden Lateinamerikas übertragen. Da fragt Papst Franziskus, wie eine Kirche mit einem „amazonischen Gesicht“ aussehen kann.

Frage: Bereits im Vorfeld gibt es Kritik an der Synode. Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, hält das Vorbereitungspapier für theologisch schwach. Sein Amtsbruder, Kardinal Walter Brandmüller, sieht blinden Reformeifer am Werk. Was sagen Sie dazu?

Spiegel: Es ist gut, dass die Kardinäle Brandmüller und Müller klar und deutlich zum Ausdruck bringen, was nicht wenige andere untereinander denken und sagen. Dies ermöglicht einen aufrichtigen Dialog und eine aufrichtige Debatte. Ja, die Synode über Amazonien, wie sie von Grund auf vorbereitet und wie sie im Arbeitsdokument vorgestellt wird, stellt eine Veränderung gegenüber dem „Modell“ einer Kirche dar, das den christlichen Glauben mit der westlichen Kultur identifiziert hat. Ja, erstmals nach mehr als 50 Jahren ökumenischen Weges und interreligiösen Dialogs ist das Dokument, das die Synode vorbereitet, auf hohem Niveau im Dialog mit dem Wissen der ursprünglichen Völker Amazoniens erwachsen. Kirche also als Hörende, als Wertschätzende gegenüber Menschen anderer Kulturen. Die Amazonasregion betrifft neun Länder, nicht nur Brasilien. Zu wissen, dass die Region die Lunge des Planeten ist und dass sie insofern ein theologischer und bedeutungsstiftender Ort für den Glauben ist, ist innerhalb des Arbeitsinstruments für die Synode zentral.

Frage: Wann wäre aus Ihrer Sicht die Synode ein Erfolg?

Spiegel: Die Synode wäre ein Erfolg für die Kirche, wenn neue Wege eingeschlagen würden, die den vielfältigen Herausforderungen sozialer und ökologischer Art, dem Glauben, dem Zusammenhalt der Völker, die heute am Amazonas leben, gerecht werden. Und wenn Christinnen und Christen außerhalb von Lateinamerika von dem inspiriert werden, was „Kirche sein“ am Amazonas bedeutet.

Frage: Sind auch Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft denkbar?

Spiegel: Das jetzige Wirtschaftsmodell, mit dem wir auf unserem Planeten unterwegs sind, bräuchte mindestens zwei Erdplaneten. In Deutschland war der Erdüberlastungstag – der Tag, an dem die nachhaltig nutzbaren Ressourcen eines Jahres verbraucht sind – bereits Anfang Mai, daher bräuchten wir hierzulande sogar drei Erdplaneten. Das heißt, wir in Deutschland verbrauchen von dem, was der gesamten Erde als Gemeinwohl gehört, wesentlich mehr, als uns zusteht. Auf der Amazonas-Synode wird es auch darum gehen, wie wir Modelle bestärken beziehungsweise anstoßen können, die die planetarischen Grenzen respektieren, die die Lebensqualität respektieren und die Solidarität. Dazu liegt ja bereits einiges in Politik, in Wirtschaft und Landwirtschaft auf dem Tisch. Auf der Synode geht es darum, die Ämterfrage nicht abstrakt um irgendeiner Reform willen zu diskutieren, sondern um den heutigen Bedrohungen des Lebens von Menschen und Natur als Kirche besser begegnen zu können. Kirche ist in ihrer bisherigen Arbeitsweise weder organisatorisch noch theologisch ausreichend präsent.

Frage: Können Sie sich eine Wechselwirkung zwischen der Amazonas-Synode und dem, was hier in Deutschland diskutiert wird, vorstellen?

Spiegel: Zunächst einmal ist wichtig, dass wir mit unseren Fragen, die wir in der deutschen und europäischen Kirche haben, nicht die Amazonas-Synode instrumentalisieren. Zugleich gibt es eine begriffliche Nähe zum geplanten „synodalen Weg“ in Deutschland. „Synodos“ heißt „gemeinsam gehen“ – und dabei den Glauben und die Tradition im Blick zu haben und die Bedürfnisse, die wir als Kirche und Gesellschaft spüren, um die Botschaft Jesu weiter präsent zu halten.

Frage: Geht es ein wenig konkreter?

Spiegel: Es wird in beiden Fällen auch um den Zugang zum Amt gehen – wobei die jeweilige Ausgangslage natürlich unterschiedlich ist. Was die Amazonas-Synode anbelangt, ist im Konsultations- wie auch im Arbeitsdokument davon die Rede, kirchliche Ämter auch von den Erfordernissen der Situation Amazoniens her zu denken. Dabei wird übersetzt an Männer gedacht, die ein authentisches Glaubensleben führen und auf Vorschlag der Gemeinde für ihre Region geweiht werden. Diese Frage ist in ähnlicher Weise auch in Deutschland auf der Agenda. Und dann geht es um den Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern. Wird es beispielsweise eine Weihe von Diakoninnen geben? Es ist an der Zeit, diese Herausforderungen ehrlich und transparent anzugehen.