Wichelmann: Ich glaube, dass das fatale Auswirkungen hat, wenn man in einem Land lebt, wo man sich nie sicher ist, was morgen geschieht. Entweder weil eine politische Unruhe kommt oder eine Naturkatastrophe alle Pläne durchkreuzt. Wenn man nicht weiß, wie man am nächsten Tag seine Nahrung beschaffen soll, dann führt das dazu, dass man wenig Vertrauen in die Zukunft hat. Das erlebe ich ganz oft in Haiti. Es gibt kein Vertrauen in politische Institutionen, kein Vertrauen in das Rechtsgefüge oder die Polizei. Jeder regelt sein Leben für sich selbst, viele üben auch Selbstjustiz. Das ist meiner Meinung nach eine ganz starke Bremse für Projekte, die das Land insgesamt langfristig vorwärtsbringen können.
Frage: Was kann die Regierung tun, damit Haiti langfristig wieder auf die Beine kommt?
Wichelmann: Einer der Gründe, warum Haiti so ein armes Land ist und auch schon vor dem Erdbeben war, ist, dass das Land im Prinzip nie eine stabile, demokratisch ausgerichtete Regierung gehabt hat. Es hat lange Zeiten der Diktatur gegeben und lange Zeiten von politischer Instabilität. Das Wichtigste für das Land wäre jetzt, eine stabile Regierung zu haben, die nicht korrupt ist, die das Wohl des Landes im Blick hat und bereit ist, mit den internationalen Institutionen zusammenzuarbeiten. Denn Haiti wird realistisch gesehen noch lange von internationaler Hilfe abhängig sein.
Das Interview führte Mareille Landau.