
Haiti erlebt Schrecken ohne Ende – und die Welt schaut weg
Port-au-Prince ‐ Das ärmste Land der westlichen Hemisphäre ist gefangen in einer riesigen humanitären Katastrophe. Der Rest der Welt nimmt kaum Notiz davon – ist aber teils durchaus mitschuldig an der Tragödie.
Aktualisiert: 27.06.2025
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Jeder zehnte Mensch in Haiti hat seinen Wohnort wegen der allgegenwärtigen Gewalt verlassen und befindet sich als Binnenvertriebener auf der Flucht. In nüchternen Zahlen ausgedrückt: 1,3 Millionen Haitianer gelten als Flüchtlinge im eigenen Land. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist das ein neuer Höchststand.
Die Schreckensnachrichten aus dem Inselstaat – dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre – reißen nicht ab. Vor der anstehenden Hurrikan-Saison, die in der Regel auch die Karibik hart trifft, hat Haiti quasi keine Lebensmittelvorräte mehr. In den USA macht die Migrationsbehörde ICE Jagd auf Haitianer, die sich vor der Gewalt krimineller Banden und der Armut unter anderem nach Florida gerettet haben. Ihr Schutzstatus ist in Gefahr – Abschiebungen drohen, trotz der verheerenden Lage in Haiti.
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Auch das Nachbarland Dominikanische Republik schiebt und weist im großen Stil ab. Allein in den vergangenen zwei Monaten wurden rund 200.000 Haitianer abgewiesen oder abgeschoben. Wie viele davon mehrfach über die Grenze kamen, ist nicht bekannt. Das Land verstärkt den Bau seiner Grenzmauer und fühlt sich vom Rest der Welt mit der humanitären Herausforderung alleingelassen.
Haiti gilt seit langem als „failed state“, als gescheiterter Staat: „Jeden Tag zwingt Gewalt Hunderte Haitianer dazu, mit nichts als den Kleidern, die sie am Leib tragen, in provisorische Unterkünfte oder andere Städte zu fliehen, wo sie weiterhin Gefahren ausgesetzt sind und kaum Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser haben“, sagte Nathalye Cotrino von Human Rights Watch in dieser Woche.
Die Menschenrechtsorganisation fordert eine Stärkung der internationalen Hilfsmission, zudem sollte der Weltsicherheitsrat die aktuelle Entsendung in eine vollwertige UN-Mission aufwerten. „Diese sollte über das Personal, die Ressourcen und das Mandat verfügen, um die haitianische Bevölkerung wirksam zu schützen“, so Cotrino. Der haitianische Staat ist dazu derzeit nicht in der Lage.
Die internationale Polizeimission ist überfordert
Allerdings ist auch der Ruf der UN auf Haiti stark angeknackst, seit UN-Helfer vor einigen Jahren die bis dato unbekannte Cholera ins Land brachten. Seitdem ist das Misstrauen in UN-Missionen groß.
Jüngst meldete sich auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk zu Wort. Nach Angaben seines Büros wurden zwischen 1. Januar und 30. Mai 2025 mindestens 2.680 Menschen durch Banden getötet, darunter 54 Kinder. Fast 1.000 Menschen wurden verletzt und mehr als 300 entführt, um Lösegeld zu erpressen. Besonders Frauen und Mädchen sind Übergriffen der Banden schutzlos ausgeliefert, sexuelle Gewalt durch die Kriminellen und die Rekrutierung von Kindern als Handlanger und Kanonenfutter für ihre illegalen Geschäfte nehmen ebenfalls weiter zu, berichtete das UN-Menschenrechtsbüro.
„So alarmierend diese Zahlen auch sind – sie können das Grauen, das die Haitianer täglich erdulden müssen, nicht in Worte fassen“, sagte Türk. „Ich bin entsetzt über die zunehmende Ausbreitung von Bandenangriffen und anderen Menschenrechtsverletzungen über die Hauptstadt hinaus – und zutiefst besorgt über ihre destabilisierenden Auswirkungen auf andere Länder in der Region.“
Obwohl Menschenrechtsorganisationen und die UN laufend über die Lage in Haiti informieren, geht das am Rest der Welt fast unbemerkt und vor allem wirkungslos vorbei. Eine Polizei-Mission, vorwiegend mit Kräften aus Kenia besetzt, versucht Ordnung im Land zu schaffen. Allein ist sie aber überfordert
Die US-Regierung interessiert sich vor allem für hohe Abschiebezahlen, hält sich bei der Lösung des Problems dagegen weitgehend zurück. Dabei sind es auch illegale Waffen aus den USA, die das Arsenal der Banden auffüllen und für ein Ungleichgewicht zwischen organisierter Kriminalität und staatlichen Sicherheitskräften sorgen. Sicher ist derzeit nur eins: Ein Ende des kaum vorstellbaren Leids der Haitianer ist noch lange nicht in Sicht.

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