Haiti Kinder mit Friedensbotschaft
Partner des Lateinamerika-Hilfswerks helfen trotz politischem Chaos

Adveniat-Expertin: Haiti ist ein Mafiastaat

Essen ‐ Haitis Interimspräsident Ariel Henry ist zurückgetreten, kriminelle Banden destabilisieren das Land. Doch den Begriff „Failed State“ hält Adveniat-Referentin Soraya Jurado nicht für passend.

Erstellt: 13.03.2024
Aktualisiert: 13.03.2024
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„Haiti ist kein gescheiterter Staat, sondern ein Mafiastaat.“ Davon ist die Haiti-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Soraya Jurado, überzeugt. Die Rede vom „Failed State“ machten sich die kriminellen Banden zunutze, um das Land zu destabilisieren, die Macht insbesondere in der Hauptstadt Port-au-Prince weiter an sich zu reißen und die Bevölkerung auszuplündern. „Hinter den Banden stecken reiche, einflussreiche, international vernetzte Familien. Das erklärt auch, warum die Kriminellen besser ausgestattet sind als Polizei und Militär und sich die Gunst der Menschen in einzelnen Viertel mit Lebensmittelpaketen sowie Geschenken sichern können“, erläutert Adveniat-Expertin Soraya Jurado. Ohne ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft sei ein Ende der Gewalt und der Machkämpfe nicht abzusehen.

Haitis Interimspräsident Ariel Henry, der in Puerto Rico festsitzt, ist in der Nacht auf Dienstag, den 12. März, offiziell zurückgetreten. Der deutsche Botschafter Peter Sauer war bereits am Wochenende zuvor mit dem Hubschrauber aus der Hauptstadt Port-au-Prince in die benachbarte Dominikanische Republik ausgeflogen worden. Die USA haben Soldaten entsandt, um ihre Botschaft zu schützen. Inzwischen haben sämtliche europäische Diplomaten das Land verlassen.

Hilfe für die Armen und Unterstützung friedlicher politischer Kräfte ist Soraya Jurado zufolge jedoch nach wie vor möglich: „Als Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat nutzen wir die kirchlichen Strukturen vor Ort, um einerseits direkte Hilfe zu leisten, die bei den Menschen ankommt, und andererseits Bischöfe und Priester zu unterstützen, die nach wie vor zum politischen Dialog aufrufen und auf friedliche Lösungen drängen.“ Selbst in der stark umkämpften und von Gewalt geprägten Hauptstadt Port-au-Prince finanziert Adveniat weiterhin Hilfe für Kinder und Jugendliche. Sie erhalten etwa im Projekt „Foyer de l´espérance“ (Foyer der Hoffnung) eine warme Mahlzeit, Bildungsangebote, werden gesundheitlich versorgt und können im geschützten Raum ihre Freizeit verbringen.

Kriminelle nutzen das Machtvakuum aus

Haiti wird seit Jahren von schweren politischen Krise erschüttert. Im Juli 2021 war der letzte gewählte Staatspräsident Jovenel Moïse  ermordet worden. Neuwahlen wurden immer wieder angekündigt, haben aber nie stattgefunden. Das Machtvakuum nutzen kriminelle bewaffnete Banden, die längst die Macht in den Straßen übernommen und das Land in Chaos und Anarchie gestürzt haben. Die Leidtragenden sind die Menschen, die als Unbeteiligte in Schießereien geraten oder Opfer von Massakern werden. Die Bevölkerung hungert und ist von medizinischer Versorgung ausgeschlossen. Den Vereinten Nationen zufolge leidet das Land unter einer noch nie dagewesenen Nahrungsmittelknappheit. Fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 4,9 Millionen Menschen, habe nicht genug zu essen. Haiti gilt ohnehin als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre und war in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen und Erbeben heimgesucht worden.

Außerhalb der Hauptstadt bietet die weit verzweigte Struktur von Pfarrgemeinden die Möglichkeit, die Menschen zu unterstützen. „Wir finanzieren bis heute Nahrungsmittelhilfen für Senioren und Schulspeisungen genauso wie Solarmodule und Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung“, berichtet Haiti-Referentin Jurado. So sichere man das Überleben der Menschen, biete ihnen aber auch die Möglichkeit, sich in ihrem Dorf in ihrer Region weiterzuentwickeln. Die Energieversorgung durch Sonnenenergie mache die Menschen unabhängig von den immens gestiegenen Treibstoffpreisen und ermögliche, dass die soziale und pastorale Arbeit in den Pfarrgemeinden sowie die Weiterbildungsprogramme stattfinden könnten. Wenn sich schon die große Politik nicht ändern lasse, stärke man vor Ort das Bewusstsein für die Eigenverantwortung der Menschen, ihr Leben und ihr Umfeld positiv zu gestalten“, so Soraya Jurado.

Kenia stoppt geplante Polizeimission

Unmittelbar nach dem Rücktritt von Haitis Interimspräsident Ariel Henry hat Kenia seine Bereitschaft zurückgezogen, eine Polizeimission in das Krisenland zu entsenden. Wie die „New York Times“ berichtet, erklärte ein Sprecher der kenianischen Regierung, die zuvor vereinbarte Entsendung von 1.000 Polizisten sei erst dann sinnvoll, wenn Haiti wieder eine amtierende Regierung habe.

adveniat/kna/dr

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