Baby bekommt Schluckimpfung
Der Kampf gegen Polio ist noch nicht gewonnen

Wissenschaftler warnen: Kinderlähmung bleibt globales Risiko

Berlin/Bielefeld  ‐ Eigentlich sollte die Kinderlähmung bis zum Jahr 2000 ausgerottet sein. Doch das ist nicht gelungen. Wissenschaftler fordern deshalb: Die Impfbereitschaft muss hoch bleiben.

Erstellt: 23.10.2025
Aktualisiert: 22.10.2025
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Von Christoph Arens (KNA)

Kurz vor dem Welt-Polio-Tag am Freitag mahnen Wissenschaftler, auch in Deutschland und anderen Industrieländern die Impfbereitschaft gegen Kinderlähmung zu stärken. „Eine vollständige Ausrottung der Krankheit wird in absehbarer Zeit nicht gelingen“, heißt es in einer jetzt im „Deutschen Ärzteblatt“ erschienenen Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Bielefeld und Heidelberg. Die Krankheit bleibe ein globales Risiko.

Poliomyelitis, kurz Polio oder Kinderlähmung, wird durch hochinfektiöse Viren verursacht, die vor allem Kinder treffen. In 90 bis 95 Prozent der Fälle verläuft die Infektion ohne Symptome. Bei einem kleinen Teil der Erkrankten jedoch kommt es zu bleibenden Lähmungen, besonders an den Beinen. In schweren Fällen endet die Krankheit tödlich, weil die Atemmuskulatur versagt.

Die Studie verweist darauf, dass zwar große Teile der Welt mittlerweile als poliofrei gelten. Doch in Pakistan und Afghanistan kursierten weiterhin sogenannte Wildviren. Pakistan hat erst Mitte Oktober eine landesweite Polio-Impfkampagne begonnen. Ziel ist es, mehr als 45 Millionen Mädchen und Jungen gegen Kinderlähmung zu impfen. Mehr als 400.000 Gesundheitshelfer sollen von Tür zu Tür gehen, um sicherzustellen, dass jedes Kind die Impfung erhalte. Ein Grund für die großangelegte Kampagne: In diesem Jahr wurden bereits 29 neue Poliofälle registriert.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Mutationen von Impfviren, die in Ländern mit niedrigen Impfraten neue Ausbrüche auslösen. Durch internationale Mobilität gelangten solche Viren auch in Industrieländer. Zuletzt seien sie in Abwasserproben in mehreren europäischen Städten aufgetaucht, darunter auch in Deutschland, warnen die Forscher. Auch in Industrieländern sei es in den vergangenen Jahren vereinzelt zu Polio-Fällen gekommen.

Durch Impfung viele Leben gerettet

Die Autoren der Studie warnen zudem vor neuen Risiken. Internationale Geldgeber wie die US-Entwicklungsagentur USAID hätten ihre Mittel gekürzt. Dadurch schrumpften die Ressourcen für Impfkampagnen, während gleichzeitig Konflikte, schwache Gesundheitssysteme und wachsende Impfskepsis das Problem verschärften.

Die Impfung gegen Kinderlähmung gilt als eine der größten Errungenschaften des internationalen Gesundheitssystems. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte das Programm zur Ausrottung der Krankheit 1988 ins Leben gerufen. Polio sollte bis zum Jahr 2000 ausgerottet werden. Seitdem konnte die Zahl der Krankheitsfälle um 99,99 Prozent gesenkt werden. Die Impfung hat nach Darstellung der Studie Millionen von Lähmungen verhindert und Hunderttausende Leben gerettet.

Die Kinderlähmung galt lange als eine der gefürchtetsten Seuchen des 20. Jahrhunderts. Gefürchtet waren auch die Langzeitfolgen: Betroffene Kinder mussten durch „Eiserne Lungen“ dauerbeatmet werden. In den 1950er Jahren gab es noch circa 600.000 Fälle von Poliomyelitis pro Jahr in Europa und Amerika. 1961 erlebte die Bundesrepublik ihre bislang letzte Poliomyelitis-Epidemie mit rund 5.000 Fällen, von denen circa 300 tödlich endeten. In diesen Jahren wurden auch die bis heute angewandten Polio-Impfstoffe entwickelt. Der inaktivierte Salk-Impfstoff war ab 1955 verfügbar. Der orale Sabin-Lebendimpfstoff wurde 1960 in der damaligen DDR und 1962 in der Bundesrepublik eingeführt - und dort mit dem einprägsamen Slogan „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“ beworben.

„Die Eindämmung von Polio gehört zu den größten Erfolgen der Public Health, also der Gesundheitsvorsorge für die gesamte Bevölkerung“, sagt Oliver Razum von der Universität Bielefeld, Letztautor des Artikels. Entscheidend sei, dass überall auf der Welt dauerhaft hohe Impfquoten erreicht würden. Auch Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sollten routinemäßig den Impfstatus prüfen und fehlende Impfungen nachholen.

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