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Viele Ukrainer wünschen sich endlich Frieden
Odessa ‐ Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriff auf die Ukraine. Drei Jahre später ist immer noch kein Frieden in Sicht. Wie gehen die Menschen in Odessa mit der anhaltenden Bedrohung um? Mehrere Betroffene erzählen.
Aktualisiert: 11.02.2025
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„Bei uns ist alles in Ordnung“, liest Tatjana Gura aus einer Nachricht ihrer Familie vor. Sie weiß, dass das nicht stimmt. Die 68-jährige Ukrainerin ist im März 2022 – wenige Tage nach dem russischen Einmarsch – aus Lisitschansk im Osten des Landes ins 750 Kilometer entfernte Odessa geflohen. Ihre alte Heimat ist nun von den Russen besetzt.
Viele von Guras Familienangehörigen sind geblieben. Doch sie will nicht unter russischer Herrschaft leben. Über einen Verwandten, der ein Mobiltelefon mit ukrainischer SIM-Karte besitzt, hält sie Kontakt. Er hat im Besatzungsgebiet eine Stelle im Wald gefunden, wo das ukrainische Netz weiter erreichbar ist. Von dort aus ruft er manchmal an. Weil die Gespräche abgehört werden, spricht er meist nur über belanglose Dinge.
Gura weiß dennoch, wie es um Lisitschansk bestellt ist: „Dort gibt es kein Gas, keine Heizung, nur eine Ärztin für die gesamte Bevölkerung.“ Doch es gebe neue Geschäfte. „Und da werden Dinge verkauft, die man in leerstehenden Häusern geplündert hat.“ Gura ist froh, dass ihre 50-jährige Tochter mit deren 20-jährigem Sohn in Deutschland lebt. Beide haben die Ukraine kurz vor Kriegsbeginn verlassen.
Irgendwie kommt die Geflohene über die Runden; mit ihrer Rente von umgerechnet 130 Euro lebt sie mietfrei in der verlassenen Wohnung der Tochter. Wie es weitergehen soll? Sie wünscht sich ein Ende des Krieges – egal wie, am besten durch rasche Verhandlungen. „Andererseits“, sagt Gura nach einer Weile des Nachdenkens: „Ich will wieder zurück in mein Lisitschansk. Aber in ein Lisitschansk, in dem keine russischen Soldaten sind.“
Ljudmilla Belozizenko (Artikelbild) hat keine intakte Unterkunft mehr. Wer die 87-Jährige in ihrem zweistöckigen Haus am Rand von Odessa besucht, sieht ein Bild der Verwüstung. „Entschuldigen Sie, dass es so unordentlich in meiner Wohnung aussieht“, sagt die frühere Schneiderin zur Begrüßung. „Hier hat mir vor ein paar Wochen ein russischer Luftangriff das Dach über dem Kopf weggerissen.“ Wo die Decke war, bietet jetzt nur noch ein Bretterverschlag Schutz vor der Witterung. Einige verglaste Fensterrahmen stehen vor der Wohnungstür.
Wie auf einem Pulverfass
„Ich bin schwerhörig. Und das ist gut so. Deswegen höre ich nachts die Sirenen und die Einschläge nicht. Es sei denn, es schlägt direkt in der Nähe ein“, erzählt Belozizenko aus ihrem Alltag. „Ich lebe hier wie auf einem Pulverfass“, fährt sie fort. „Darum wünsche ich mir Verhandlungen zur Beendigung des Blutvergießens.“ Ein Wunsch, der auch von ihren Freundinnen geteilt wird.
„Dieser Krieg hat die Menschen traumatisiert. Viele leiden an Herzkrankheiten, Depressionen, Angstattacken, Schlaganfällen“, berichtet Vitali Mykhayluk. Er leitet ein Rehabilitationszentrum der Deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Odessa. Zwar habe seine Einrichtung mehrere Psychologen eingestellt, um den Betroffenen zu helfen. „Aber was sind schon sechs Psychologen für eine Gesellschaft, in der fast jeder traumatisiert ist“, klagt er frustriert.
In dem Kirchenzentrum versucht man dennoch, so gut wie möglich Hilfe zu leisten – nicht zuletzt durch Verbindungen ins Ausland. „Wir haben gute Kontakte zu einer Kirchengemeinde in Regensburg. Und diese Gemeinde hat uns geholfen, etliche Familien in Bayern unterzubringen“, sagt Mykhayluk.
Überhaupt sei die Hilfsbereitschaft der Kirchen in dem anhaltenden Krieg groß. Unterschiedliche Konfessionen spielten dabei keine Rolle. Die Zusammenarbeit funktioniere besser denn je. Pro Monat habe man so ungefähr 1.000 Hilfspakete in der Bevölkerung verteilen können. Doch in den Stolz mischt sich Enttäuschung über die fehlende Unterstützung seitens der Regierung. Der Zentrumsleiter betont: „All diese Hilfe haben wir ganz ohne den Staat geleistet. Vom Staat haben wir keine Mittel erhalten.“
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