Friedensprozess vor dem Aus?

Erneut tödliche Gewalt zwischen Guerillas in Kolumbien

Bogota ‐ Er versprach einen „vollkommenen Frieden“ – doch die weiterhin aktiven Guerillagruppen machen Kolumbiens linkem Präsidenten Gustavo Petro einen Strich durch die Rechnung. Der Druck wächst, nicht nur in Kolumbien.

Erstellt: 21.01.2025
Aktualisiert: 21.01.2025
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Bild: © Adveniat

Von Tobias Käufer (KNA)

Solch blutige Tage hat Kolumbien schon lange nicht mehr erlebt. Am Sonntag (Ortszeit) meldete die Tageszeitung „El Espectador“: „Kämpfe zwischen der ELN und den FARC-Dissidenten in Catatumbo fordern 80 Tote und 5.000 Vertriebene.“ Die untereinander verfeindeten linksextremen Gruppen kämpfen um die Vorherrschaft in der Unruheprovinz, die in der Grenzregion zu Venezuela liegt. Es geht um den Drogenanbau, Menschen- und Waffenhandel und illegalen Bergbau. Das ganze Ausmaß der Gewalt ist noch gar nicht abzuschätzen. Am Sonntagabend bezifferte die Ombudsfrau die Zahl der vertriebenen Personen laut einem Bericht von „El Tiempo“ sogar auf 11.000 Menschen.

In einer Stellungnahme der ELN gab die marxistische Guerillagruppe an, dass das Ziel der Aktionen Einheiten der ehemaligen FARC-Guerilla, deren bewaffnete Milizen und wirtschaftliche Struktur gewesen seien. „Daher waren die sogenannten ‚Friedensunterzeichner‘, die bei den durchgeführten Operationen getötet wurden, keine Zivilisten, sondern aktive Milizenführer und die Verantwortlichen für die Finanzen der Einheit ‚Front 33‘.“ Die Erklärung ist deshalb brisant, weil die „Friedensunterzeichner“ eigentlich als befriedete und entwaffnete Mitglieder der ehemaligen FARC-Guerilla gelten, die 2016 einen weltweit beachteten Friedensvertrag unterzeichneten.

Für die Linksregierung wird die Lage immer unberechenbarer. Präsident Gustavo Petro – selbst ein ehemaliges Mitglied der früher aktiven Guerillagruppe M19 – hat das Projekt „Paz total“ (vollkommener Frieden) zum Kernprojekt seiner Präsidentschaft ausgerufen. Doch knapp zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt im August 2022 drohen seine Pläne in einem Scherbenhaufen der Verhandlungen zu versinken. Die ELN-Guerilla brach bereits mehrfach den Waffenstillstand, die sogenannten FARC-Dissidenten, die sich dem 2016 abgeschlossenen Friedensvertrag verweigerten, fühlten sich ohnehin nie an das Abkommen gebunden.

Der Druck auf Petro wächst, in den verbleibenden anderthalb Jahren seiner Amtszeit einen Verhandlungserfolg zu präsentieren. Er war ins Amt gewählt worden, weil sich die Wähler von ihm als erstem linken Präsidenten einen anderen Zugang zu den Guerillagruppen erhofften. Doch die Guerillas lassen Petro im Stich, nutzten die Waffenstillstände um ihre regionale Macht in den Territorien auszubauen. Hinzu kommen schwere taktische und handwerkliche Fehler der Regierung. Die Folge davon ist auch in Europa oder den USA zu spüren: Die Kokainproduktion stieg deutlich an.

Ex-Präsident Alvaro Uribe, dessen Politik der harten Hand zwischen 2002 und 2010 die Sicherheitslage im Land deutlich verbesserte, warf Venezuelas Machthaber Nicolas Maduro vor, aus dem Nachbarland die Gewalt zu steuern. Maduro gewähre Kriminellen Unterschlupf, sagte Uribe, dessen Popularität im Land trotz eigener schwerer Menschenrechtsverletzungen beim Kampf gegen die Guerillagruppen wieder aufblüht.

Als Reaktion auf den neuerlichen Gewaltausbruch sagte die Regierung Petro die Fortsetzung der Friedensgespräche mit der ELN ab. Wie es nun weitergeht, weiß niemand so recht. Die katholische Kirche in Kolumbien appellierte erneut an alle Beteiligten, sich an den Waffenstillstand zu halten und die Zivilbevölkerung zu schützen. Innenminister Juan Fernando Cristo nannte die ELN „Barbaren“, die aus Bösartigkeit gehandelt hätten. „Die ELN hat die einseitige Entscheidung getroffen, die Gespräche mit dem Staat abzubrechen, und hat damit die Möglichkeit, Frieden in Kolumbien zu schaffen, erneut, und ich würde sagen endgültig, in den Mülleimer geworfen“, sagte Cristo dem Radiosender W. Das klingt nach keiner guten Zukunft für Kolumbien.

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