Hände halten Puzzleteile in die Luft
Forderung an künftigen Bundestag

Kirchliche Entwicklungsexperten: Eigenes Ministerium muss bleiben

Bonn ‐ Im Wahlkampf wird das Thema Entwicklungszusammenarbeit oft an den Rand gedrängt. Einige stellen gar infrage, ob es dafür weiter ein eigenes Ministerium braucht. Die Abschaffung wäre ein Riesenfehler, finden die Kirchen.

Erstellt: 21.01.2025
Aktualisiert: 21.01.2025
Lesedauer: 

Die kirchlichen Entwicklungsorganisationen in Deutschland erwarten von der künftigen Bundesregierung, dass sie an einem eigenständigen Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit festhält. „Entwicklungspolitik muss am Kabinettstisch sitzen, und zwar mit einer eigenständigen Perspektive“, sagte Anne Gidion, Leiterin der Evangelischen Zentralstelle für Globale Entwicklung, am Montagabend in Bonn der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

„Wir brauchen ein eigenständiges Ministerium, das sich mit internationalen Globalisierungsfragen beschäftigt“, ergänzte Bernd Bornhorst vom Vorstand des katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor beim Neujahrsempfang der kirchlichen Entwicklungsorganisationen: „Das darf nicht unter die Räder von Wirtschaftsinteressen oder Finanzinteressen kommen. Wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit und nicht ‚America First‘ oder ‚Deutschland zuerst‘.“

Er sei auch zuversichtlich, dass dies gelinge, ergänzte Karl Jüsten, der Leiter der Katholischen Zentralstelle für Globale Entwicklung. Zumal es ja weiterhin die Verpflichtung gebe, die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen. Von der neuen Regierung erwarte er daher, dass sie diese weiter konsequent verfolge, allen voran den Kampf gegen Hunger, Klimaerwärmung und Ungerechtigkeit. International allerdings bereite ihm Sorgen, so Jüsten weiter, „dass immer mehr Menschen ans Ruder kommen, die nur an sich selbst denken“.

Entwicklungszusammenarbeit müsse auch in der kommenden Regierung eine wichtige Rolle spielen, forderte ebenfalls Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe: „Es wäre falsch und kurzsichtig, zu sagen, wir machen erst einmal Sicherheitspolitik, Verteidigungspolitik, Außenpolitik – und dann irgendwie noch so ein bisschen Entwicklungspolitik und ordnen dieses eine Ziel den anderen unter.“

Jörg Faust, der Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit, verwies außerdem darauf, dass eine gute Entwicklungszusammenarbeit längst nicht nur aus Solidarität und Nächstenliebe erfolge. Sie sei auch im Eigeninteresse der sogenannten Geberländer, weil sie deren Ziele ebenfalls voranbringe.

Studien zeigten immer wieder positive Einflüsse - etwa auf Bildung, Demokratie, Frieden und Klimaschutz weltweit. Aber auch außenwirtschaftliche Erfolge und höhere Exporterlöse seien in aller Regel unmittelbare Folgen einer guten Entwicklungszusammenarbeit. Dazu gehöre allerdings auch, dass diese immer weiter reformiert und noch effizienter werden müsse.

Dachverband fordert klare Perspektive und mehr Einsatz

Auch VENRO, der Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen, stellt Forderungen zur künftigen Entwicklungspolitik. In einer heute in Berlin veröffentlichten Pressemitteilung hieß es, man befürchte nach der Bundestagswahl einen weiteren Rückzug Deutschlands aus seinem internationalen Engagement und seiner Verantwortung bei der Lösung globaler Probleme. Daher erwarte man von der Politik, Verantwortung für eine gerechtere Welt zu übernehmen.

In fünf Kernforderungen umreißt der Verband, wie eine verantwortungsvolle Rolle Deutschlands in der kommenden Legislaturperiode aussehen könne. So müsse Deutschland seinen internationalen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 gerecht werden, sich konsequent für den Schutz der Zivilgesellschaft und marginalisierter Gruppen einsetzen und ihre humanitäre Hilfe unabhängig eigener politischer Interessen ausgestalten.

Wie sehr die Erfüllung dieser Mindestforderungen in Gefahr sei, zeigt für VENRO ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien. „Wir sind sehr alarmiert, wenn im Parteiprogramm der Union Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe kaum erwähnt werden“, so die VENRO-Co-Vorstandsvorsitzende Gudrun Schattschneider. Deutschland trage eine verantwortungsvolle Rolle bei der Bekämpfung von Hunger und Armut, bei der nachhaltigen Entwicklung unseres Globus und beim humanitären Engagement in aller Welt. „Das sind die Schlüssel für Frieden und Wohlstand für alle Menschen und das kann und darf nicht nur ein Anhängsel nationaler und europäischer Politiken sein“, fügt Schattschneider hinzu.

Dem Dachverband VENRO gehören auch zahlreiche katholische Organisationen an, beispielsweise Caritas international, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Agiamondo, die Deutsche Kommission Justitia et Pax, Malteser International, Sant' Egidio, Misereor und Kolping International.

VENROs fünf zentrale Forderungen im Wortlaut:

  • Die Bundesregierung hält die internationalen Zusagen Deutschlands in der Klimafinanzierung und der Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe ein und tritt für neue Finanzierungswege auf nationaler und internationaler Ebene ein.
  • Die Bundesregierung orientiert ihre humanitäre Hilfe konsequent an den humanitären Prinzipien und ordnet sie keinen (sicherheits-) politischen Interessen unter.
  • Die Bundesregierung orientiert ihr Handeln an den Zielen der Agenda 2030 und setzt sich für deren Fortführung im Rahmen eines ambitionierten multilateralen Prozesses ein.
  • Die Bundesregierung setzt sich weltweit für den Schutz, die Stärkung und die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern ein.
  • Die Bundesregierung tritt konsequent für die Überwindung von Diskriminierung und Gewalt innerhalb und zwischen Gesellschaften ein. Dabei legt sie einen besonderen Fokus auf die Wahrung der Menschenrechte, Beachtung der Bedürfnisse und gleichberechtigte Teilhabe besonders marginalisierter und verwundbarer Gruppen wie Frauen, jungen und alten Menschen, Menschen mit Rassismuserfahrungen, Menschen mit Behinderungen und LSBTIQ+.

KNA /dr

21.01.2025, 12:32: Ergänzt um VENRO-Stellungnahme

Mehr zum Thema