VENRO: Berlin rechnet Entwicklungszusammenarbeit schön
Berlin/Brüssel ‐ Kreative Buchführung: Entwicklungsorganisationen werfen Berlin vor, die Entwicklungsausgaben schönzurechnen. Auch andere EU-Staaten tun das, doch Deutschland ist hier offenbar besonders aktiv.
Aktualisiert: 22.10.2024
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Die Bundesregierung betreibt bei der Entwicklungshilfe nach Einschätzung von Entwicklungsorganisationen massive Schönfärberei. Deutschland weise mit 8,6 Milliarden Euro den größten Anteil schöngerechneter öffentlicher Entwicklungsgelder (ODA) aller europäischen Geberländer auf, kritisierte die Dachorganisation deutscher Entwicklungsorganisationen Venro am Dienstag in Berlin.
Venro verweist auf den am Dienstag in Brüssel veröffentlichten AidWatch-Bericht von Concord, dem europäischen Dachverband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen. Er analysiert seit Jahren die Entwicklungsausgaben der 27 EU-Staaten und untersucht, ob sie den Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entsprechen - also entweder im Globalen Süden ausgegeben werden oder vorrangig der Entwicklung vor Ort dienen.
Nach Einschätzung des Berichts haben die Entwicklungsausgaben der Bundesregierung, die diesen Kriterien nicht entsprechen, in den vergangenen Jahren neue Rekordhöhen erreicht. Das gelte insbesondere, weil Kosten zur Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine in die Statistik der Entwicklungsausgaben eingerechnet würden - was etwa Belgien, die Niederlande oder Luxemburg nicht täten.
Die Berechnungsmethoden seien vollkommen irreführend, wenn Gelder in Milliardenhöhe für die Verwaltungs- und Unterbringungskosten der ukrainischen Geflüchteten als Entwicklungsleistungen deklariert würden, sagt Michael Herbst, Co-Vorstandsvorsitzender von Venro: „Diese Art der Buchführung untergräbt die Glaubwürdigkeit des deutschen Engagements in der Welt - nicht nur vor der internationalen Gemeinschaft, sondern auch vor der eigenen Bevölkerung.“
Trotz der Ausweisung von „Inlandsausgaben“ als öffentliche Mittel für Entwicklungshilfe wird Deutschland laut Venro-Einschätzung im laufenden Jahr voraussichtlich unter der international vereinbarten Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe bleiben und im kommenden Jahr mit nur noch 0,5 Prozent weit darunter liegen. Das wäre der niedrigste Anteil am Bruttonationaleinkommen seit einem Jahrzehnt.
Laut dem Bericht von Concord haben die 27 EU-Staaten im Jahr 2023 rund 82,45 Milliarden Euro als Entwicklungshilfe deklariert. Das entspreche 0,51 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens und sei damit deutlich weniger als die 0,56 Prozent von 2022. Damit werde auch innerhalb der EU das 1970 vereinbarte Ziel von 0,7 Prozent Entwicklungshilfe nicht erreicht. Insgesamt hätten die EU-Staaten seit 1970 mehr als 1,2 Billionen Euro weniger als versprochen in die Entwicklungshilfe investiert.
Der Concord-Bericht hält den EU-Staaten außerdem vor, dass 18,9 Milliarden Euro der angegebenen Entwicklungsausgaben für 2023 nicht den geforderten Kriterien für Entwicklungshilfe entsprächen. Zudem seien die Anteile der Entwicklungsausgaben 2023 in 20 EU-Ländern gesunken.
KNA