Vor 25 Jahren starb Dom Helder Camara
Olinda/Osnabrück ‐ Mehrfach wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Lange vor Papst Franziskus träumte er von einer armen Kirche – und lebte sie. Bischof Helder Camara war seiner Zeit voraus.
Aktualisiert: 16.08.2024
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Große Worte verkommen mitunter zu scheinbar platten Kalendersprüchen. Das gilt wohl auch für den Satz von Helder Pessoa Camara: „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“ Mit dieser Überzeugung aber wurde der klein gewachsene Mann aus dem armen Nordosten Brasiliens zu einem Motor der Alphabetisierung von Millionen und ein Vater der Befreiungstheologie.
Geboren am 7. Februar 1909 als elftes von dreizehn Kindern einer Volksschullehrerin und eines Buchhalters aus Fortaleza wuchs Camara in einer Region auf, deren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmt war von Plantagenbesitzern und Rinderbaronen. Als Kind schon wollte er Priester werden; ein Wunsch, der sich für ihn als 22-Jährigen erfüllte.
Nach erstem Engagement mit katholischen Arbeiterinnen- und Gewerkschafterbewegungen wurde er 1934 Staatssekretär für das Erziehungswesen in seinem Heimatstaat Ceara, zwei Jahre später wechselte er ins Erziehungsministerium in Rio de Janeiro. Dort 1952 zum Weihbischof ernannt, wurde er auch auf das Elend in den Favelas aufmerksam. Regelmäßig besuchte Camara Wohnungen der Armen, setzte sich für annehmbare und bezahlbare Wohnbedingungen ein.
Parallel bereitete der damals 43-Jährige zusammen mit Giovanni Montini, dem späteren Papst Paul VI., die Gründung der Brasilianischen Bischofskonferenz vor. Ab Oktober 1952 sollte er zwölf Jahre lang deren Generalsekretär sein. Ähnlich setzte er sich ab 1955 für die Bildung des Lateinamerikanischen Bischofsrats CELAM ein.
Durch Fernsehpredigten erlangte Camara landesweit Berühmtheit. Auch darüber hinaus wurde er bekannt als einflussreicher Vertreter der Kirche des Südens beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). 1963 appellierte er in einem offenen Brief an seine Mitbischöfe, ihren äußeren Reichtum abzulegen, um die Distanz zwischen ihnen und den Armen zu verringern.
Dieses Anliegen mündete am 16. November 1965 in den sogenannten Katakombenpakt, den 40 Bischöfe aus verschiedenen Ländern in der römischen Domitilla-Katakombe eingingen. Zwar ergriff Camara in der Konzilsaula nie das Wort, seine Theologie aber fand Eingang in eines der prominentesten Konzilsdokumente: „Gaudium et spes“ (Freude und Hoffnung) über die Kirche in der Welt von heute. Der Text bekräftigt unter anderem die Hinwendung der katholischen Kirche zu den Armen.
Im März 1964 ernannte Paul VI. Camara zum Erzbischof von Olinda und Recife. Und während kurz darauf in Brasilien nach einem Putsch das Militär die Macht ergriff, kehrte Camara zurück in Brasiliens armen Nordosten. Wo er erneut konfrontiert war mit grassierendem Elend wie dem Hungertod Tausender Kinder jährlich.
Vor diesem Hintergrund entstand ein weiterer ihm zugeschriebener Satz: „Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum sie arm sind, schimpfen sie mich einen Kommunisten.“ Anfangs von den Militärs unbehelligt, wurde Camara ab 1968 zunehmend als „roter Bischof“ verleumdet und bedroht. Es gab Attentate; sein Sekretär Antonio Peirera Neto wurde erschossen.
„Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum sie arm sind, schimpfen sie mich einen Kommunisten.“
In Brasilien von Medien und Politik geächtet, genoss Camara im Ausland vielfach den Ruf eines revolutionären Heiligen. Mehrfach wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Gleichwohl blieb er auch innerkirchlich umstritten. Weswegen ihn sein Förderer Paul VI. wohl nicht zum Kardinal ernannte.
Mit seiner Botschaft „Entwicklung ist Frieden, Unterentwicklung ist Krieg“ musste Camara polarisieren. Bis zu einem Papst Franziskus und dessen (oft missverstandener) Aussage „Diese Wirtschaft tötet“ war es noch weit.
Als Helder Camara seinen Rücktritt anbot, hieß der Papst Johannes Paul II. Am 2. April 1986 nahm der Papst aus Polen den Rücktritt an. Geprägt von Erfahrungen mit dem Sozialismus in Osteuropa und misstrauisch gegen jegliche Art vermeintlich linker Theologie ernannte er am selben Tag den konservativen Jose Cardoso Sobrinho zu Camaras Nachfolger.
Sobrinho drehte im Erzbistum die Uhren zurück und wickelte innovative Einrichtungen seines Vorgängers ab. Camara hielt sich mit Kommentaren zurück. Dreizehn Jahre später, am 27. August 1999, starb der kleine Mann mit großem Herzen im Alter von 90 Jahren. Erst als ein Papst aus dem Süden den Stuhl des Petrus bestiegen hatte, begann 2015 ein Seligsprechungsprozess für Dom Helder Camara. In den Akten ist sicher auch verzeichnet, dass der „rote Bischof“ ein ebenso unermüdlicher Beter war.
Nächtens stand er oft auf, um zu beten, in der Bibel zu lesen und zu meditieren. Einige Gedanken schrieb er nieder, wie diesen: „Du bringst meine Bequemlichkeit durcheinander, Herr, erschütterst mein Selbstvertrauen, lachst über meinen unangebrachten Stolz und bringst zu Fall meine Planungen, Träume und Ambitionen. Wenn dann alles verloren erscheint, richtest du alles wieder mit deinem ganzen Verstehen und all deiner Liebe (...), Herr, Gott des Alls.“