Nachrichten aus der Weltkirche
Sicherheitsgarantien gefordert

Aktivisten besetzen Vatikan-Botschaft in Kolumbien

Bogotá/Bonn ‐ Mitglieder sozialer Bewegungen haben das Gebäude der Apostolischen Nuntiatur in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá unter ihre Kontrolle gebracht. In einem Kommuniqué stellen sie Forderungen an die kolumbianische Regierung – und Papst Franziskus

Erstellt: 05.06.2024
Aktualisiert: 05.06.2024
Lesedauer: 

Eine Gruppe von mindestens 20 Personen hält seit Dienstagmorgen die Botschaft des Heiligen Stuhls in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá besetzt. Wie lokale Medien berichten, drangen die Besetzer – offenbar ohne größere Gewaltanwendung  auf das mit einer massiven Mauer eingefriedete Gelände. Die wachhabende Polizistin verließ den Ort des Geschehens offenbar freiwillig.

Auch mehrere Botschaftsmitarbeiter konnten das Grundstück inzwischen verlassen. Der Nuntius in Kolumbien, Erzbischof Paolo Rudelli, hielt sich zum Zeitpunkt der Besetzung außerhalb der Nuntiatur auf. Erfahrung in komplexen politischen Situationen bringt der 53-Jährige Vatikandiplomat mit. Zuvor war er als Papstbotschafter beim Europarat und in Simbabwe eingesetzt.

Unter den Besetzern befinden sich, nach eigenen Angaben, Mitglieder diverser sozialer Organisationen, darunter Landgemeinden und indigene Gemeinschaften, die sich derzeit in einem landesweiten Streik gegen gewaltsame Vertreibungen durch paramilitärische Gruppen befinden. Mehrere Fotos aus dem Vorhof der Nuntiatur zeigen Personen die bunt verzierte Stäbe mit sich führen, in Kolumbien übliche Insignien von Führungspersonen indigener Organisationen.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Seit Jahrzehnten bekämpfen sich in Teilen Kolumbiens ehemals linke Guerillas, rechte paramilitärische Banden, private Sicherheitsdienste, Militär- und Polizeieinheiten und die Drogenmafia auf brutalste Weise – obwohl die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Organisationen manchmal fließend sind. Die Zivilbevölkerung, deren Schutz sich fast alle auf die Fahnen geschrieben haben, gerät dabei oft zwischen die Fronten.

Trotz zahlreicher Friedensprozesse – der ambitionierteste unter der aktuellen Regierung von Präsident Gustavo Petro – kommt es weiter zu Vertreibungen und Morden. Davon sind insbesondere lokale Führungspersönlichkeiten und Bürgerrechtler auf dem Land betroffen: Die Initiative Somos Defensores dokumentierte allein im vergangenen Jahr 168 solcher Morde.

Druck auf Präsident Petro steigt

In einem Kommuniqué bitten die Besetzer nun Nuntius Rudelli und Papst Franziskus, die Regierung des mit Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen gewählten Petro zu drängen, das Leben und die Menschenrechte aller zu garantieren. „Wir werden so lange friedlich in Ihrem Amtssitz verbleiben, bis unsere Forderungen humanitärer Art erfüllt werden“, heißt es in dem Schreiben. Man hoffe, dass Seine Heiligkeit, der Verteidiger des Lebens und des Friedens“ den Verbleib in der Nuntiatur bis zum Ende der Streikmaßnahmen ermögliche. An das Eingangstor wurde ein Transparent mit der Aufschrift Humanitärer Rückzugsort“ gehängt.

Hinter der Besetzung steht offenbar ein Netzwerk, das sich selbst Kongress der Völker (Congreso de los Pueblos) nennt und bereits in der Vergangenheit in Bogotá und der westkolumbianischen Großstadt Cali große Streikaktionen organisiert hat. Parallel wurde nun offenbar auch ein Gebäude des Innenministeriums sowie eine Reihe wichtiger Verkehrsadern besetzt. An mehreren Stellen im Nord- und Südwesten des Landes sowie nahe der Grenze zu Venezuela verbarrikadierten indigene Gemeinschaften und organisierte Kleinbauern Abschnitte der Panamericana-Fernstraße.

Damit steigt erneut der Druck auf Kolumbiens Präsidenten Petro, der sich selbst als Unterstützer der Zivilgesellschaft sieht. Vor zwei Jahren wurde er auch für sein Programm des totalen Friedens gewählt. Seine Regierung versucht seitdem, parallel mit den Fraktionen der ELN-Guerilla, mit den verbleibenden FARC-Anhängern, einer Reihe krimineller Banden sowie den größten paramilitärischen Organisationen zu verhandeln – ein Ansinnen, das nach Einschätzung von Beobachtern nur schwer umsetzbar ist und für das er die Unterstützung der Zivilgesellschaft dringend braucht. Denn im Moment stocken die Gespräche mit mehreren der illegalen Gruppen.

Für den Dienstagnachmittag (Ortszeit) kündigte die Regierung erste Gespräche in der Nuntiatur an. Wie die Tageszeitung El Tiempo berichtet, soll sich Innenminister Luis Fernando Velasco mit mehreren Vertretern des Kongresses der Völker zunächst treffen, um eine gemeinsame Gesprächsagenda festzulegen.

Botschaftsräume eigentlich unverletzlich

Eigentlich hat der Staat, in dem sich eine Botschaft befindet, dafür zu sorgen, dass die Botschaftsräumlichkeiten nicht verletzt werden (Wiener Übereinkommen von 1961), ein Prinzip, das erst kürzlich in Ecuador von der dortigen Regierung gebrochen worden war. Ob der Vertreter des Heiligen Stuhls im aktuellen Fall eine Einwilligung aussprach, konnte bislang nicht in Erfahrung gebracht werden. In den vergangenen Jahren hatten Kirchenvertreter aus dem In- und Ausland diverse Friedensinitiativen in Kolumbien unterstützt.

Die Nuntiatur in Kolumbien war für eine Anfrage zunächst nicht zu erreichen, der Bischofskonferenz des Landes sowie der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz lagen zunächst keine weiteren Informationen vor.

Damian Raiser/weltkirche.de

Mehr zum Thema