Kokain und andere Drogen auf Militärmesse in Lima (Peru)
„Wir haben ein Überangebot an Kokain“

Ausgerechnet der Friedensprozess heizt Drogenhandel in Kolumbien an

Bogota  ‐ Trotz oder gerade wegen des Friedensprozesses steigt die Kokain-Produktion in Kolumbien. Die Folgen sind auch in Europas Häfen spürbar. Dort werden immer neue Rekordfunde gemeldet.

Erstellt: 07.10.2024
Aktualisiert: 04.10.2024
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Von Tobias Käufer (KNA)

Von einem herausragenden Erfolg sprach vor wenigen Tagen Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD). „Unseren Sicherheitsbehörden ist ein relevanter Schlag gegen die organisierte Drogenkriminalität gelungen“, verkündete er. Bei einer laufenden Operation sei eine der größten Drogenmengen sichergestellt worden. Zuvor hatten Polizei und Zoll in der Hansestadt bei einem gemeinsamen Einsatz 2,1 Tonnen Kokain gefunden - Straßenverkaufswert rund 100 Millionen Euro.

Was aber auf den ersten Blick wie ein großer Erfolg klingt, könnte bei näherem Hinschauen auch ganz andere Gründe haben. Denn in Südamerika steigt die Kokain-Produktion sprunghaft an. Und mehr Produktion bedeutet auch immer mehr Export und folgerichtig auch mehr Fahndungserfolge an den Zielorten. Wird mehr produziert und geliefert, steigen die Chancen, dass mehr Drogen ins Netz gehen - oder eben hindurchschlüpfen.

Vor allem in Kolumbien wissen die Drogenkartelle nicht mehr, wohin mit der tödlichen Ware. Die „New York Times“ schrieb jüngst: „Kolumbien hat ein neues Problem: zu viel Kokain.“ Dem Sender BBC erklärte Ana Maria Rueda von der Stiftung Fip (Fundacion Ideas para la Paz): „Es gibt viel Kokain in Kolumbien, es gibt mehr Kokain in Bolivien und Peru, es gibt mehr Möglichkeiten, wo man es kaufen kann, und es gibt mehr Kokain auf dem gesamten Markt.“ Und in dieser Woche legte Ex-Innenminister Daniel Palacios in einem Interview mit dem kolumbianischen Fernsehen nach: „Das Land ist mit Koka überschwemmt. Wir haben ein Überangebot an Kokain.“

Neben der gesteigerten Produktion gibt es effizientere Transportmöglichkeiten: Längst werden Tonnen von Kokain mit U-Booten aus Südamerika Richtung Afrika, Europa und in die USA geschickt. Die speziellen Gefährte sind eigens für den Drogentransport konzipiert, minimalistisch ausgestattet, um eine größtmögliche Frachtkapazität zu erzielen. Wie viele es davon inzwischen gibt, weiß niemand.

Es mangelt an ländlicher Entwicklung

Die USA als einer der Hauptmärkte für Kokain aus Kolumbien beobachten die Lage genau. Das Land habe als starker Verbündeter bei der Drogenbekämpfung eng mit den USA zusammengearbeitet, hieß es im September im Drogen-Bericht der US-Regierung. Im vergangenen Jahr hätten die kolumbianischen Strafverfolgungsbehörden mehr als 841 Tonnen reines Kokain beschlagnahmt. Das entspreche einem Anstieg von zehn Prozent.

Neben der Betonung der guten Zusammenarbeit gibt es aber auch Besorgnis: „Der Kokaanbau in Kolumbien nimmt weiter zu, da es an ländlicher Entwicklung und Sicherheit mangelt und die Nachfrage in den Verbraucherländern anhält oder sogar steigt.“ Um einen weiteren Anstieg des Kokaanbaus zu verhindern, müsse Kolumbien die Sicherheit und die ländliche Entwicklung deutlich ausbauen, die (freiwillige) Ausrottung der Pflanzen ausweiten und die Verbotsmaßnahmen gegen Kokain und Grundstoffe verstärken.

Kritiker sehen in der Umsetzung des Friedensprozesses mit der Guerilla durch den linksgerichteten Präsidenten Gustavo Petro einen der Gründe für die wachsende Kokain-Produktion. Petro will auf dem Verhandlungsweg mit allen bewaffneten Gruppen das Land befrieden und setzte zeitweilige Waffenstillstände durch. Doch linksextreme Guerillagruppen und rechtsextreme Paramilitärs nutzten die Möglichkeit, ohne militärische Gegenwehr im Landesinneren ihre Macht auszubauen.

Dafür gab es interne Kämpfe zwischen den bewaffneten Gruppen um die Vertriebsrouten vom Anbaugebiet bis zur Küste. Hinzu kommt: Die Regierung Petro hat sich gegen eine Zwangsausrottung der Pflanzen entschieden. Dafür erleichtern neue Düngemittel den Anbau von mehr Koka, die Produktion wird effizienter.

Auch die kolumbianischen Bischöfe haben sich wiederholt zum Thema geäußert. So warnten sie bereits 2018 vor dem besorgniserregenden Wachstum des Drogenhandels. Die Fähigkeit, „Diejenigen, die die Vertriebsnetze kontrollieren, verfügen über immer mehr Möglichkeiten zur Korruption“, schrieben sie beispielsweise bereits 2018 in ihrem Communiqué zum Abschluss ihrer Frühjahrsvollversammlung. 

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