Mit der Natur wachsen
Die von Misereor unterstützte Landpastoral in Kolumbien setzt auf ökologisch nachhaltige Landwirtschaft. Und ermöglicht Kleinbauern damit eine gute Zukunft.
Aktualisiert: 05.03.2024
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Sorgenvoll blickt Francisco Rubiel Delgado auf seine Kaffeeanpflanzung. Die sieht auf den ersten Blick prächtig aus - ein dunkelgrüner Wald aus mannshohen Kaffeesträuchern. Die Äste biegen sich unter der Last der dicken, roten Kirschen. Der 50-Jährige Kaffeebauer aus Nariño hat alles nach Vorschrift gemacht: Rund um die Setzlinge hat er regelmäßig Glyphosat versprüht, um das Unkraut in Schach zu halten. Alle paar Monate gab er Kunstdünger dazu und ab und zu eine Dusche mit einem weiteren Pflanzenschutzmittel.
Das Risiko trägt der Bauer
Das „All-inclusive-Paket“ einschließlich der Setzlinge gab es vom kolumbianischen Kaffeeverband – und eine Abnahmegarantie für die Produktion gleich mit. Manchmal stellt der Verband sogar den Zement, um Zufahrtswege zu den abgelegenen Höfen zu bauen. So funktioniert die Symbiose zwischen Kaffeebäuerinnen und -bauern und dem Verband im ganzen Land. Doch bei Delgado ist ein außerplanmäßiges Szenario eingetreten: Der Kaffee – genetisch auf hohen Ertrag gezüchtet – ist gleich von zwei Pilzen auf einmal angegriffen worden. Die roten Stellen auf den Blättern zeugen vom Befall mit Kaffeerost, die braunen Sprenkel von der Pilzkrankheit „Mycena citricolor“. Mitten aus der befallenen Pflanzung ragt das Gerippe eines Avocadobaums in den blauen Tropenhimmel.
„Zu viel Regen dieses Jahr“, murmelt Delgados Cousin Oweimar Viveros beim Blick auf den abgestorbenen Baum und dessen faulende Wurzeln. Die Feuchtigkeit und verdichtete Böden sind ein Nährboden für den Pilz. Vor allem dann, wenn die Kaffeesträucher so eng gepflanzt sind, wie es inzwischen im kommerziellen Kaffeeanbau üblich ist. „Dabei hatte ich mir so viel von dieser neuen Sorte erhofft“, seufzt Delgado. „Sie sollte resistent sein.“ „Aber du weißt doch, dass der Kaffeeverband die Pflanzen nur in einem begrenzten Gebiet testet“, entgegnet Oweimar Viveros. Und zwar in einer Region zwischen Medellín und Cali. Dort ist der Sitz der traditionellen Kaffeedynastien.
Inzwischen wird in Nariño mehr Qualitätskaffee produziert als in der traditionellen Anbauregion, allerdings näher am Äquator und unter anderen klimatischen Voraussetzungen. Das Risiko, dass das Rundum-Sorglos-Paket hier nicht funktioniert, trägt der Bauer oder die Bäuerin. Manche stürzt das in den Ruin. Delgado ist Vater zweier Teenager und besorgt. 15.000 Kaffeesträucher hat er gepflanzt. Ob er damit dieses Jahr Gewinn macht, ist noch unklar.
Seine Kinder, sagt er mit neidischem Blick auf den 20 Jahre jüngeren Cousin, wollten nicht mehr in die Landwirtschaft. Delgado hängt an seinem Land, das er von seinem Vater übernommen hat. Aber irgendwann wird er zu alt sein – und sein Grundstück wahrscheinlich an einen lokalen Großgrundbesitzer verkaufen, so wie dutzende Bäuerinnen und Bauern vor ihm auch.
Zurück aufs Land mit Diplom
Oweimar Viveros hört häufig von solchen Sorgen bei den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Nariño. Dann erzählt er seine eigene Geschichte. Er ist zurückgekehrt aufs Land, nach einem Studium als Agraringenieur in der Regionalmetropole Pasto. Obwohl er lukrative Jobangebote in der Stadt hatte. Und das, so ist seine Mutter Raquel Burbano überzeugt, verdankt die Familie der von Misereor unterstützten Landpastoral und der von ihr propagierten ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft. „Schon als Junge habe ich ihn mitgenommen auf die Schulungen“, erinnert sich die 62-Jährige. „Ich glaube, er war der erste Teenager in der Gemeinde, der mit zehn Jahren ein entsprechendes Diplom hatte“, strahlt die immer gut gelaunte, immer geschäftige Bäuerin und Gemeindepflegerin.
Bei Zeltlagern und Lehrgängen der Landpastoral wuchs in Oweimar Viveros die Liebe zur Natur. „Mir schmerzten in der Stadt die Füße vom Gehen auf Beton“, erzählt er. In der ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft sah er eine Möglichkeit, mit schonenderen Anbaumethoden nachhaltiger und gesünder zu produzieren. „Früher hatten wir hier alle nur Monokulturen, so wie mein Cousin“, sagt er, während er seinen eigenen Hof zeigt. Auch er baut noch immer Kaffee an, auch er kämpft mit den Pilzerkrankungen eines feuchten Winters. „Aber ich kann meine Spritzmittel selbst herstellen und muss sie nicht teuer kaufen“, erklärt er und zeigt auf ein paar Plastikbottiche, in denen er aus Mikroorganismen im Wald, aus Asche und Gülle, aus Melasse und Hefe, aus Rinden und Blättern seine eigenen Dünger und Pestizide herstellt.
Gesundes Essen vom Hof
„Und ich habe dank der Pastoral diversifiziert“, ergänzt er. Seine Kaffeeernte wird in diesem Jahr auch geringer ausfallen. Aber durch die ökologische Bewirtschaftung sind die ProduktionsKosten niedriger und hält sich der erwartete Verlust in Grenzen. Hungern muss die Familie nicht: Zwischen dem Kaffee wachsen Zitrusbäume und Bananenstauden, Bambus und Edelhölzer. Seine Mutter Raquel Burbano, die sich neben dem Hof mit Schulungen, Vernetzungstreffen und politischer Lobbyarbeit für den Ansatz der biologisch-nachhaltigen Landwirtschaft stark macht, baut im Gemüsegarten Salat und Physalis an, Maniok und Möhren und vieles mehr – alles gesund und ökologisch. Für Proteine sorgen die Hühner und Meerschweinchen, die auf dem Hof gehalten und auch gegessen werden. „Früher dachte ich, wir Bäuerinnen und Bauern seien arm“, sagt Raquel Burbano. „Aber dann habe ich gemerkt, dass das nur ein Vorurteil hier drin war“, tippt sie sich an die Stirn, “denn wir haben eigentlich ein gutes Leben.“
Das sieht man, wenn man ein paar Schritte hinter das einfache, aber gemütliche Bauernhaus macht, in einen kleinen Wald, durch den ein Flüsschen fließt. Schmetterlinge freuen sich über die Kühle, ein blau schillernder Barranquero-Vogel nistet in einer Höhle am Hang. „Nach vielen Jahren kam er voriges Jahr erstmals wieder, und jetzt schon zum zweiten Mal“, freut sich Oweimar Viveros. Der Bambushain am Waldrand reguliert das Klima und ist ein schnell wachsender, natürlicher Baustoff. Aus den Bambusrohren hat die Familie die beiden langen Bänke vor dem Haus gezimmert und bunt angemalt. Sie sind der Lieblingsplatz aller und stehen unter der schattenspendenden Araukarie, die dem Hof den Namen gab. „Die Pastoral hat uns gelehrt, wie wir mit einfachen Dingen unser Haus verschönern können“, erzählt Raquel, die sichtlich stolz ist auf ihre aus alten Autoreifen und Plastikflaschen hergestellten Windspiele und Blumentöpfe
Nach 35 Jahren ist ein Biocluster entstanden
„Bauer zu sein bedeutet, Kontrolle zu haben über das Land, das wir bewirtschaften“, sagt ihr Sohn, während er den Blick über die zerklüftete Berglandschaft schweifen lässt. Auch wenn es nur zwei Hektar sind, wie in seinem Fall. Man kann das Land mit Chemikalien behandeln, es umgraben und versuchen, den maximalen Ertrag der gerade auf dem Weltmarkt gut verkäuflichen Früchte herauszuholen – oder man kann sich davon befreien und versuchen, nur behutsam in die Fülle des Lebens einzugreifen, um das Gleichgewicht der Millionen von Mikroorganismen so wenig wie möglich zu stören. Diesen Weg hat er gewählt. Bewusst gegen die Regel, bewusst gegen das Marktdiktat. Ertragen musste die Familie die Schwarzmalerei des Kaffeeverbands und das Getuschel der Dorfbewohnerinnen und -bewohner, die ihr Agroforstsystem für ein Zeichen von Verwahrlosung hielten.
Ohne die anhaltende Unterstützung der Landpastoral hätte die Familie diesen Paradigmenwandel wohl nicht durchgehalten. Es brauchte einen langen Atem, erinnert sich der Koordinator der Landpastoral, Rafael Jurado. „Bäuerinnen und Bauern ändern ihre Gewohnheiten nicht so schnell.“ Inzwischen, nach 35 Jahren, ist aber in Nariño ein Biocluster entstanden. 3000 Familien haben Kurse durchlaufen, viele haben ihre Höfe umgestellt. Sie haben wieder aufgeforstet und trennen ihren Müll, sie organisieren Bauernmärkte und Sparkooperativen. Hunger ist kein Thema mehr, viele Familien konnten ihre Lebensqualität deutlich verbessern, Motorräder kaufen und ihre Kinder zum Studium in die Stadt schicken.
Weniger Müll, mehr Verarbeitung
Oweimar Viveros ist ein „Kind der Pastoral“. Seine Generation übernimmt nun langsam die Stafette. Umweltschutz ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Bereits angeschafft hat Oweimar einen modernen Pulper. Das ist die Maschine, die die Kaffeekirsche entfernt. Üblicherweise verbraucht man dabei zehn Liter Wasser auf ein Kilo Kaffee, mit der modernen Maschine ist es nur noch ein Liter.
„Den Abfall haben wir früher in den Fluss gekippt“, erzählt Oweimar Viveros. Jetzt wird er auf einem Komposthaufen zu Dünger vergoren. So wenig Müll wie möglich zu produzieren ist das Ziel des jungen Bauern. Auch wirtschaftlich hat er ehrgeizige Pläne.
Zusammen mit anderen jungen Kaffeebauern hat Oweimar Viveros vor kurzem eine Genossenschaft gegründet. Sie wollen künftig ihren Kaffee selber verarbeiten, eine eigene Marke Qualitätskaffee etablieren und damit mehr Einnahmen erzielen. Beratend zur Seite stand ihnen auch da wieder die Landpastoral. Der Kaffeeverband, der als Zwischenhändler zum Weltmarkt auftritt, hat daran wenig Interesse. Neulich zeigte jemand anonym die Bauern an, sie kommerzialisierten Kaffee ohne Genehmigung, erzählt Oweimar Viveros beim Workshop zur Herstellung von organischem Dünger. Die Teilnehmer werden hellhörig und sind empört. Oweimar Viveros aber bringt so leicht nichts mehr aus der Ruhe. Hindernisse, hat er in der Landpastoral gelernt, sind schließlich zum Überwinden und daran Wachsen da.
Misereor