An einem Metallgitter an einem Bahnhof an der ukrainischen Westgrenze hängt eine verwitterte ukrainische Papierflagge.
Zweiter Jahrestag des russischen Großangriffs

Historiker und Priester: Krieg stärkt Identität der Ukraine

Würzburg ‐ Vor zwei Jahren griff Russland die Ukraine an. Hat das das Land geschwächt? Im Gegenteil, sagt Andriy Mykhaleyko. Der ukrainische Priester erklärt, was zum Ende des Kriegs führen kann und welche Rolle Religion spielt.

Erstellt: 24.02.2024
Aktualisiert: 23.02.2024
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Die Ukraine hat durch den Krieg nach Ansicht des ukrainischen Historikers und griechisch-katholischen Priesters Andriy Mykhaleyko eine stärkere nationale Identität entwickelt. Das sagte der Geistliche der in Würzburg erscheinenden katholischen Wochenzeitung „Die Tagespost“ (Donnerstag). „Bis 2014 sahen viele Ukrainer sich der russischen Kultur stark verbunden. Jetzt gibt es ganz klar eine eigene ukrainische Identität, die sich von der russischen unterscheidet.“

Der Krieg könne nicht enden, bevor sich in Russland nichts ändere, fügte Mykhaleyko hinzu. Denn es sei nicht klar, wie abhängig das derzeitige System von Putin sei. Selbst wenn Russland die Ukraine erobere, könne es das Land nicht kontrollieren. „Es hat sich so viel an negativen Emotionen gebildet, dass der Widerstand auf allen Ebenen bleiben wird“, so seine Einschätzung.

Er glaube auch nicht, dass Putin noch an eine vollständige Okkupation der Ukraine denke. Auch eine Aussöhnung der beiden Länder nach Kriegsende halte er für unwahrscheinlich, weil es dazu „die Anerkennung der eigenen Schuld und die Bereitschaft zu einer Wiedergutmachung“ brauche. Die Zukunft liege eher in einer „pragmatischen Nachbarschaft“.

In Bezug auf die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche, deren Patriarch Kyrill Putins Krieg unterstützt, erklärte Mykhaleyko: „Einerseits instrumentalisiert Putin die Kirche, andererseits handelt Patriarch Kyrill nicht unter Zwang, sondern stellt sich gerne in den Dienst des Staates.“ Die annektierten Gebiete aus der Ukraine würden sofort auch kirchlich annektiert, alle Kirchen, die nicht zum Moskauer Patriarchat gehörten, würden dort verfolgt oder unter Druck gesetzt.

Gleichzeitig behaupte die Ukrainisch Orthodoxe Kirche zwar, von Moskau unabhängig zu sein, habe sich aber nicht endgültig abgegrenzt, so der Historiker und Priester. Das Verbot, das derzeit im ukrainischen Parlament diskutiert werde, sei jedoch nicht möglich, weil die einzelnen Gemeinden Rechtsträger der Kirche seien. „Man müsste rund 12.000 Gemeinden rechtlich auflösen, also nachweisen, dass jede einzelne Pfarrei gegen Gesetze verstoßen hat. Das ist alles politische Rhetorik, aber rechtlich und praktisch nicht umsetzbar.“

In der Ukraine existieren derzeit zwei rivalisierende orthodoxe Kirchen. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die bis Mai 2022 dem Moskauer Patriarchat zugehörte, und die 2018 entstandene Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU), die von Anfang an in Opposition zu Russland stand.

KNA

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