„Vielleicht bringt meine Entführung den Dialog voran“
München ‐ Ein Jahr lang war der deutsche Missionar Hans-Joachim Lohre in Mali in der Gewalt von Islamisten, bis er im November vergangenen Jahres freikam. Im Interview mit dem Missio Magazin, spricht er darüber, wie er diese Zeit erlebt hat und welche Hoffnungen er für die Zukunft des Landes hat.
Aktualisiert: 26.01.2024
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„Ich bin dankbar, frei zu sein. Aber ich kann sagen, dass ich während der Zeit von einem tiefen inneren Frieden erfüllt war. Ich wurde Gott sei Dank gut behandelt“, sagt Pater Hajo Lohre. Geahnt habe er am Tag seiner Entführung nichts. „Ich hatte keine Ahnung. Aber spätestens seit der Entführung von Schwester Gloria war uns das Risiko bewusst (die kolumbianische Ordensschwester wurde 2017 von Islamisten entführt und im Oktober 2021 freigelassen, Anm. Missio München). Es ist, wie wenn man in ein Auto steigt und natürlich um das Unfallrisiko weiß. Aber man denkt: nicht heute.“
Die Entführung schildert der 66-Jährige folgendermaßen: „Ich habe am Christ-Königs-Sonntag am Morgen unser Haus verlassen, um im Stadtteil Kalabankura die Messe zu feiern. Plötzlich kam ein Auto angefahren und hat meinen Wagen blockiert. Drei Männer sprangen heraus. Einer kam mir entgegen und sagte: „Pater, Sie sind festgenommen!“ Ich wurde auf den Rücksitz ihres Autos gezerrt. Dabei muss mein kleines Holzkreuz vom Lederband abgegangen sein. Mir wurden Handschellen angelegt und ich bekam eine Mütze über den Kopf. Dann ging es ganz schnell aus Bamako raus. Abends fragte ich den Mann, der der Chef der Gruppe zu sein schien: ‚Wieso ich?‘ Er antwortete: aus Rache dafür, dass Deutschland im Krieg gegen Al-Kaida sei. Er fordere, dass Deutschland alle Soldaten aus Mali abziehe, damit die Scharia eingeführt werden könne.“
Er habe gewusst, dass „so eine Entführung auch mal sechs Jahre dauern kann. Vielleicht auch nur drei, wenn man Glück hat.“ Geholfen habe ihm, dies anzunehmen. „Da ich in der Vergangenheit Seminare zu Selbstkenntnis gegeben hatte, war ich in der Lage, dieser Entführung einen Sinn zu geben.“
Umstände der Freilassung weiter unklar
Wie es zu seiner Befreiung kam, weiß der Afrikamissionar aus Nordrhein-Westfalen nicht: „Ungefähr ein Jahr nach meiner Entführung kam einer der Dschihadisten zu mir und sagte: Partir Allemagne!“ Nach Deutschland gehen! Schnell, schnell. Und das war es.“ Im November 2022 wurde Lohre von den Islamisten entführt und fast genau ein Jahr später im November 2023 freigelassen.
Mehr als 30 Jahre hatte der Priester in Mali gelebt und gearbeitet. „Die hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist ein großes Problem. Auch, dass es nur wenig Bildungschancen für junge Menschen gibt“, beschreibt der Pater die Lage. Dass die UN-Missionen im Land nichts bewirkt haben, hängt in Pater Hajo Lohres Augen mit der Formulierung des Auftrags zusammen: „Das Mandat beinhaltete, das Friedensabkommen zwischen den Tuareg und der malischen Regierung zu überwachen. Aber das Mandat beinhaltete nicht, die islamistischen Gruppierungen zu bekämpfen. Und darum konnten sie Stück für Stück das Land unter ihre Kontrolle bringen.“
Muslime und Christen zusammengebracht
Die Zukunft des Landes hängt nach Ansicht von Pater Lohre davon ab, „ob Politiker an die Macht kommen, die aufrichtig sind, das Wohl des Volkes im Sinn haben, die Landwirtschaft und gute Schulbildung fördern – und auch Verträge mit internationalen Firmen abschließen, damit für die Gewinnung von Bodenschätzen künftig kein Raubbau mehr betrieben wird, sondern der Erlös den Menschen zugutekommen kann.“
Der Dialog zwischen Islam und Christentum, das Arbeitsfeld des Afrikamissionars, habe durch die Entführung keinen Rückschlag erlitten: „Gerade meine Entführung hat Muslime und Christen noch einmal zusammengebracht. Während ich in der Wüste war, wurden immer wieder Gebete von Muslimen in den Zeitungen veröffentlicht, die die Dschihadisten baten, mich freizulassen. Vielleicht ist das eingetreten, was ich mir in der Zeit der Gefangenschaft so erhofft, aber nicht zu träumen gewagt hatte: dass meine Entführung den christlich-islamischen Dialog mehr vorangebracht hat als es meine physische Gegenwart vorher geschafft hat.“
Missio München
Missio München fördert im gesamten westafrikanischen Raum Projekte für Versöhnung und Frieden und ist mit seinen Projektpartnerinnen und Projektpartnern in Regionen präsent, in denen Ethnien verfeindet sind, in denen Extremisten die Menschen gegeneinander aufbringen und Christen um ihr Leben fürchten müssen.