„In allen Religionen steckt die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt“
Bild: © KNA

„In allen Religionen steckt die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt“

Entwicklungspolitik ‐ Bis Sonntag informieren rund 150 Aussteller auf der Stuttgarter Messe über „Fair Handeln“. Mit dabei ist auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Im Interview spricht Willi Knecht aus dem Diözesanausschuss Eine Welt über die Idee des fairen Handels, die neue globale Nachhaltigkeitsagenda und über die Rolle der Kirchen in der Entwicklungspolitik.

Erstellt: 01.04.2016
Aktualisiert: 01.04.2016
Lesedauer: 

Bis Sonntag informieren rund 150 Aussteller aus dem In- und Ausland auf der Stuttgarter Messe über „Fair Handeln“. Mit einem eigenen Weltmarktplatz sind auch die beiden großen Kirchen vertreten, wie Willi Knecht aus dem Diözesanausschuss Eine Welt berichtet. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht der Theologe über die Idee des fairen Handels, die neue globale Nachhaltigkeitsagenda und über die Rolle der Kirchen in der Entwicklungspolitik.

Frage: Herr Knecht, vom 31. März bis 3. April findet die FairHandeln-Messe in Stuttgart statt. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart gestaltet dort zusammen mit der evangelischen Kirche einen eigenen Weltmarktplatz. Was findet der Messebesucher hier vor?

Knecht: Die FairHandeln-Messe ist nach eigenen Angaben die größte ihrer Art in Deutschland. Die Bandbreite der Aussteller und Angebote ist sehr groß – meiner Meinung nach zu groß und oft willkürlich. Wie der Begriff „Nachhaltigkeit“  wird „fair handeln“ inzwischen in vielen Geschäftsbereichen und von vielen Konzernen als schicke Etikette benutzt bzw. ausgebeutet. Zusammen mit der Messeleitung und der grün-roten Landesregierung haben die Kirchen versucht, diejenigen Gruppen zusammenzufassen und einzuladen, von denen die ursprüngliche Idee des fairen Handels seit den 70er Jahren entwickelt worden war. Solche Eine-Welt-Gruppen sind nun auf dem neu gestaltetem Weltmarktplatz zu finden – gewissermaßen unter einem gemeinsamen Dach und entsprechend herausgehoben vom üblichen Messebetrieb.

Frage: Im Rahmen der Messe lädt Baden-Württemberg zur entwicklungspolitischen Landeskonferenz ein. Hier diskutiert die Politik mit Bürgern, den Kirchen und Eine-Welt-Gruppen über entwicklungspolitische Schwerpunkte des Bundeslandes. Mit welchen Forderungen und Vorschlägen bringt sich die Kirche hier ein?

Bild: © Privat

Knecht: Im Dialog und Erfahrungsaustausch der Kirchen mit Politik und Zivilgesellschaft  erfahren beide Seiten, dass die großen Probleme dieser Welt, die „Überlebensfragen der Menschheit“, nur gemeinsam  in Angriff genommen werden können. Es geht eben um „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Alle drängenden Fragen wie Hunger, Fluchtursachen, Klimagerechtigkeit, Waffenexporte, Bergbau und industrielle Landwirtschaft, Vertreibungen, Zerstörung der Lebensgrundlagen (u. a. Wasser, Boden) – sie alle hängen zusammen und sind eng miteinander verknüpft.

Von den biblischen Propheten bis zur Botschaft Jesu Christi und z. B. der aktuellen Misereor-Fastenaktion geht es immer zuerst um die Menschen, die unter den genannten Themen leiden, weil sie unter die Räuber gefallen sind. Das Alleinstellungsmerkmal der Kirche ist, vom Standort der Ausgegrenzten aus Wirtschaft und Politik zu analysieren und zu deuten, Missstände anzuklagen und die befreiende Botschaft zu verkünden.

Frage: Bei dieser Konferenz geht es auch um die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsagenda (Agenda 2030), die im September 2015 von den Vereinten Nationen beschlossen wurde. Wie sieht es mit der Umsetzung der Entwicklungsziele in der Diözese Rottenburg-Stuttgart aus? Welche Maßnahmen werden hier getroffen?

Knecht: Die Diözese Rottenburg-Stuttgart muss sich im Hinblick auf weltweite Solidarität nicht verstecken – im Gegenteil. Dazu könnte ich viele Beispiele nennen. Aber wie sieht es nach der Umsetzung vor Ort aus? Hierzu fallen mir leider wenige Beispiele ein. Das Thema Klimafreundlichkeit ist allerdings von Bischof Fürst stark gefördert worden. Es gibt z. B. einen „Franziskuspreis“ für Kirchengemeinden, die ihre Gemeindehäuser mit Solarenergie versorgen. Die öko-faire Beschaffung ist zwar ein ständiges Thema, aber die Praxis in den Kirchengemeinden und Dekanaten ist meist eine andere. Als Mitglied eines Kirchengemeinde- und Dekanatsrats stelle ich fest, dass sich diese Gremien – grob vereinfacht gesagt – vor allem um die Renovierung von Gemeindehäusern, Kindergärten, Liturgie und Gemeindefeste kümmern müssen.

In der Diözese wird zurzeit das Projekt „Kirche vor Ort“ mit aller Macht gefördert, nicht aber „Weltkirche vor Ort“. In dem noch verbliebenen „harten Kern“ der Kirchengemeinden ist das Verständnis für weltkirchliche Themen eher geschwunden als gewachsen. Die Schwerpunkte werden falsch gesetzt, was wiederum mit dem schwindenden Glauben zu tun hat. Die kirchliche Basis – übrigens auch für die Anliegen der Hilfswerke – droht damit wegzubrechen.

Bild: © Bistum Münster

Frage: Welche Rolle spielen Partnerschaften, z. B. die weltkirchlichen Partnerschaften vieler deutscher Bistümer, bei der Umsetzung der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele?

Knecht: Weltkirchliche Partnerschaften sind das ideale Vehikel für die Anliegen der Agenda 2030. Die reale Begegnung mit den „Wegwerfmenschen“, wie Papst Franziskus sie nennt, kann zur echten Bekehrungen führen – zumindest zu einer Wahrnehmung der eigenen Verantwortung. Sie sind potentiell für die Kirchengemeinden eine große Chance zu ihrer eigenen Erneuerung  und Verlebendigung. Wo auch real das Brot, d. h. all das, was wir zum Leben brauchen, geteilt wird, ereignet sich Kirche. Gelebte Partnerschaften zwischen Arm und Reich sind für mich das Sakrament von Weltkirche, d. h. von katholischer Kirche. Nun, so das Ideal. Die Realität in den Gemeinden sieht jedoch anders aus. Wie kommen wir hier zu einer gelebten Praxis?

Generell vermisse ich, dass die Kirche sich nicht als das präsentiert, was sie ihrer Berufung nach ist: Als Avantgarde für globale Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Wir haben dafür nämlich ein Programm, ein Fundament. In seiner Ansprache beim Treffen der Volksbewegungen 2015 in Bolivien sagte Papst Franziskus: „Dieses System kann man nicht mehr ertragen. Wir müssen es ändern. [….] Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine Gebrauchsanweisung, ein revolutionäres Programm gewissermaßen. Ich rate euch sehr, es zu lesen!“. Dem kann ich mich nur anschließen.

Frage: Das Bundesentwicklungsministerium hat explizit betont: Ohne die Religionen als aktive Partner ist die Umsetzung der Agenda 2030 nicht möglich. Sehen Sie das auch so? Inwiefern kann der Dialog zwischen der Landesregierung Baden-Württembergs und den Kirchen hier ein Vorbild sein?

Knecht: Die Erkenntnis des Bundesentwicklungsministeriums ist sehr zu begrüßen. Dem stimme ich voll zu. Nur: Religion ist nicht gleich Religion. Es gibt zu viele Religionen – auch innerhalb der christlichen Kirchen! – für die die Ziele der Agenda 2030 kein Thema sind. Typische Kennzeichen von Religion sind nach klassischer Deutung u. a.: Viele Gebote, Kult und Opfer darbringen, autoritäre oder gar gottgewollte Strukturen, Unterwerfung etc. Jesus wurde im Namen einer solchen Religion getötet. Sind wir als katholische Kirche nicht eher eine Bewegung, mit Jesus dem Christus auf dem Weg zu einer immer gerechteren Welt und einer geschwisterlichen Menschheit? Trotzdem oder gerade deswegen müssen wir mit allen Religionen den Dialog vertiefen und das Gute in ihnen suchen. Denn in allen Religionen steckt eben auch die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, nach Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Daher müssen wir auch stets mit den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen den Dialog suchen, ob die einem schmecken oder nicht. In der Landesregierung von Baden-Württemberg haben wir gute Gesprächspartner gefunden, manchmal sogar offene Ohren. Wir haben zusammen einiges erreicht. Wir hoffen, dass mit der im Entstehen begriffenen neuen Landesregierung dieser Weg weitergehen kann.

Das Interview führte Lena Kretschmann.

© weltkirche.katholisch.de

 

Zur Person

Dr. Willi Knecht studierte Pädagogik und Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. Von 1976-80 war er als Pastoralreferent in Peru und danach als Religionslehrer und in der Erwachsenenbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig. 2004 promovierte er an der Universität Würzburg über das Thema Kirche und Globalisierung. Seit 2010 in Pension, engagiert er sich verstärkt in diversen bundesweiten Initiativen, darunter die „Konziliare Versammlung“ 2012 und die Ökumenische Versammlung 2014.

Kirche auf der FairHandeln-Messe

Unter den rund 150 Ausstellern aus dem In- und Ausland sind auf der „FairHandeln“-Messe in Stuttgart auch viele kirchliche Gruppen vertreten, darunter z. B. die Hilfswerke „Brot für die „Welt“, Missio mit dem „Missio-Truck“, die „Aktion Hoffnung“ (Hilfswerk der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Verbände), die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die evangelische Landeskirche Württemberg und verschiedene evangelische Missionswerke. Dazu kommen nicht explizit kirchliche Gruppen (aber oft mit kirchlichen Wurzeln) wie die Weltläden und der Dachverband entwicklungspolitischer Gruppen, Oikocredit, Welt-Sichten, usw. Staatlicherseits sind die Stiftung EZ (SEZ) des Landes, Engagement Global und das Land selbst mit einem Stand vertreten.