Auf der Todesliste
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Auf der Todesliste

Bangladesch ‐ Auf einer Größe von der doppelten Landesfläche Bayerns leben in Bangladesch rund 164 Millionen Menschen. Terroranschläge und Übergriffe auf liberale Blogger erschüttern die Gesellschaft. Auch Partner von kirchlichen Hilfswerken geraten unter Druck.

Erstellt: 11.08.2016
Aktualisiert: 17.01.2023
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Menschen, überall Menschen, Lärm und Staub. Die Straßenzüge von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka scheinen überzuquellen. Mit knapp 17 Millionen Einwohnern ist die Stadt samt Randgebieten eine der größten Metropolen weltweit. Verkehr und Luftverschmutzung sind infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs und des rasanten Bevölkerungswachstums enorm. Der Hauptfluss Buriganga gilt als Giftstrom. In ganz Bangladesch drängen sich rund 164 Millionen Einwohner auf einer Fläche, die etwa zweimal dem Freistaat Bayern entspricht.

International wird das Land, das 1971 seine Unabhängigkeit gegen Pakistan verteidigte und besonders stolz ist auf seine eigene Landessprache, vor allem durch Überschwemmungen, Armut oder schlechte Arbeitsbedingungen wahrgenommen. Dabei gehörte der Nachbar Indiens lange zu einer der wohlhabendsten Regionen Südasiens. Viele Flüsse und gute Böden bieten ideale Voraussetzungen für Landwirtschaft.

Doch die Bevölkerung profitiert kaum davon. Die Armutsquote ist hoch, die Arbeitsbedingungen sind vielerorts schlecht. Vor mehr als drei Jahren stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in einem Vorort von Dhaka zusammen. Mehr als 1.100 Menschen starben bei dem Unglück. Nach der Katastrophe – von der es zuvor bereits viele in kleinerem Ausmaß gegeben hatte – versuchten internationale und nationale Kräfte die Rechte von Arbeitern zu stärken. Teils mit Erfolg: Mitte Juli wurden 38 Verantwortliche wegen Mordes angeklagt.

Islamistische Anschläge erschüttern das Land

Jüngst mehren sich neue Schreckensbilder: Seit gut drei Jahren gibt es immer wieder islamistische Anschläge auf Andersgläubige. Extremisten haben zahlreiche prominente Blogger getötet. Meist wurden die Angriffe brutal mit Macheten oder Fleischerbeilen auf offener Straße ausgeführt. Anfang Juli starben bei einer Geiselnahme, zu der sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannte, 28 Menschen. Bangladesch ist ein mehrheitlich muslimisches Land. Der Islam ist Staatsreligion, zugleich ist der Säkularismus verfassungsmäßig verankert.

Für Reporter ohne Grenzen versagen Regierung und Behörden im Kampf gegen diesen Terror. „Mit ihrer weitgehenden Untätigkeit angesichts solcher Bluttaten haben sie einem Klima der Straflosigkeit Vorschub geleistet: Islamisten veröffentlichen im Internet ungeniert Todeslisten und brüsten sich mit ihren Morden, während einige Blogger wegen der akuten Gefahr für ihr Leben ins Ausland gehen mussten“, berichtet Geschäftsführer Christian Mihr.

Zusätzlich befeuerten die politisch Verantwortlichen das Vorurteil, die Blogger trügen selbst Schuld an ihrem Tod. „Wiederholt haben die Behörden Blogger zur Selbstzensur aufgerufen und ihnen nahegelegt, keine provokanten Artikel zu religiösen Fragen mehr zu veröffentlichen“, so Mihr.

Ashikur Rahaman, Wirtschaftsexperte am Policy Research Institute of Bangladesh, führt die Verschlechterung der Menschenrechtslage auf den anhaltenden Konfrontationskurs der beiden führenden Parteien „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) zurück. Das Land habe es dadurch nie geschafft, eine liberale politische Ordnung zu etablieren. Es fehle jegliches Vertrauen zwischen den politischen Führungsfiguren, Premierministerin Hasina Wajed und der Oppositionsführerin Khaleda Zia.

Zia und Wajed wechseln sich seit den 90er Jahren quasi im Amt ab. Bei den Wahlen 2014 warf die BNP unter Zia der AL jedoch Manipulation vor und boykottierte die Wahl. Seither ist die BNP gar nicht mehr im Parlament vertreten.

Misereor-Partnerorganisationen unter Druck

Auch die Misereor-Länderreferentin für Bangladesch, Christine Kögel, klagt über viele politisch bedingte Probleme. Nach den Anschlägen seien zahlreiche Oppositionspolitiker festgenommen worden, eine Beteiligung des IS habe die Regierung indes abgestritten. „Die Sicherheitssituation wird zunehmend schlechter“, sagt Kögel. Partnerorganisationen anderer Religionszugehörigkeit oder solche, die zu Menschenrechten arbeiten, erhielten Drohungen.

Doch nicht nur in der Politik sei die Bereitschaft zum Dialog und Diskurs gering, auch die Zivilgesellschaft sei extrem gespalten, berichtet die Expertin. Kritiker würden schnell als Befürworter der Gegenseite abgestempelt. Kögel: „Der extremistische Terror verschärft die Lage.“

Von Anna Mertens (KNA)

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