Luftbild Dhaka (Bangladesch)
Chef der neuen Übergangsregierung gilt als fähig und neutral

Friedensnobelpreisträger Yunus soll Bangladesch zur Ruhe bringen

Dhaka  ‐ Die gestürzte Ex-Premierministerin Hasina ist nach Indien geflüchtet. Dass nun ausgerechnet ihr Erzgegner Muhammad Yunus die Übergangsregierung führt, dürfte der autoritären Politikerin besonders zu schaffen machen.

Erstellt: 08.08.2024
Aktualisiert: 14.08.2024
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Am Dienstagabend hat Staatspräsident Mohammed Shahabuddin die Berufung von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus als „Chefberater der Regierung“ Bangladeschs offiziell bekanntgegeben. Die Mitteilung war eher formeller Natur. Denn die wahren Machthaber im Land sind derzeit das Militär und die Anführer der Studentenproteste. Die Studenten forderten Yunus als Chef der Übergangsregierung. „Jede andere Regierung als die von uns vorgeschlagene wird nicht akzeptiert“, stellte Nahid Islam, einer der Hauptorganisatoren der Studentenbewegung, in einem Facebook-Video klar.

Bei den wochenlangen Unruhen gegen die Regierung war es zu den schwersten Ausschreitungen seit der Unabhängigkeit Bangladeschs vor mehr als 50 Jahren gekommen. Etwa 300 Menschen kamen durch die Gewalt der Polizei, der Antiterroreinheit „Rapid Action Battalion“ und von Anhängern der regierenden Awami Liga ums Leben. Tausende wurden verletzt, Tausende festgenommen. Nachdem allein am Sonntag mehr als 90 Menschen getötet worden waren, schritt am Montag die Armee ein. Nicht durch einen klassischen Putsch mit Panzern und Gewehren, sondern offenbar durch politischen Druck hinter den Kulissen. Bei vielen Gesprächen der Armee mit Parteien und staatlichen Institutionen mit dabei: Anführer der Studenten.

Es mag ironisch wirken, dass die junge Generation einem 84-Jährigen den demokratischen Wandel zutraut. Aber Rock Rozario, Redakteur des asiatischen Mediendienstes Ucanews in Dhaka, weiß warum: „Yunus ist die beste Person für die Führung der Übergangsregierung. Er wird als fähiger und neutraler Mann angesehen. Zudem ist er eine globale Persönlichkeit“, sagte Rozario der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Der 1940 in Chittagong geborene Yunus studierte in den 1960er Jahren in den USA. Zurück in Bangladesch, startete er Anfang der 1970er Jahre ein Projekt zur Gewährung von Kleinkrediten an Arme, aus dem 1983 die Grameen Bank wurde. 2006 wurden Yunus und die Bank für ihre Pionierarbeit bei Kleinkrediten mit dem Friedensnobelpreis geehrt.

Aus der Politik hielt sich Yunus lange heraus. Als aber 2007 eine vom Militär gestützte Interimsregierung an die Macht kam, gründete er als Alternative zur korrupten Elite eine eigene Partei. Sie existierte nicht lange, aber ihre klaren Positionen gegen Korruption und Vetternwirtschaft fanden so sehr Anklang im Volk, dass die 2008 zur Premierministerin gewählte Sheikh Hasina sich davon bedroht fühlen musste.

Yunus war seitdem, wie so viele andere Regierungskritiker während der 15-jährigen autokratischen Herrschaft von Hasina, politischer Verfolgung ausgesetzt. Und absurden Diffamierungen. Als korrupter „Blutsauger der Armen“ wurde er von der Machthaberin verunglimpft und mit Prozessen überzogen. Der frühere US-Präsident Barack Obama und 103 weitere Nobelpreisträger protestierten bereits im August 2023 in einem offenen Brief gegen die Verfolgung von Yunus. Im Mai dieses Jahres wurde er im Vatikan von Papst Franziskus zu einem Gespräch über die aktuellen globalen Herausforderungen empfangen.

In Bangladesch halten die Spannungen unterdessen an, während offenbar bei den für Gewalt und Morde verantwortlichen Sicherheitskräften personell aufgeräumt wird. Das Innenministerium ernannte am Mittwoch neue Chefs der Polizei von Dhaka und des „Rapid Action Battalion“.

Mit Sorge sehen Diplomaten in Dhaka die Attacken von Muslimen auf Hindu-Tempel. Die religiösen Minderheiten wie Hindus und Christen im überwiegend islamischen Bangladesch gelten als Anhänger der bisherigen säkularen Regierungspartei Awami Liga. Die gute Nachricht aber lautet, dass Studenten Hindutempel vor radikalen Muslimen schützen.

Als sich die Partei unter Hasina zunehmend in eine korrupte, demokratiefeindliche, menschenrechtsverachtende Organisation verwandelte, hielten die Christen, vor allem ihre Führungspersönlichkeiten, aus Angst vor islamistischen Alternativen weiter zu ihr. „Die Kirchen haben zu alledem geschwiegen“, kritisiert Ucanews-Redakteur Rozario und fügt hinzu: „Ich habe mich heute umgehört. Kirchen wurden bisher nicht angegriffen.“

Von Michael Lenz (KNA)

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