„Ich spüre neue Kraft“
Jessore/Aachen ‐ Schule statt Fabrik: Eigentlich ist auch in Bangladesch Kinderarbeit verboten. Doch es gibt sie weiter. In der Stadt Jessore setzt sich Sternsinger-Partner ARKTF gegen Kinderarbeit ein. Die Organisation half auch dem zwölfjährigen Tazim.
Aktualisiert: 11.12.2025
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Glitzernd und giftig legt sich der Aluminiumstaub auf die Haut. Er färbt die Hände silbrig und hinterlässt Spuren auf Armen, Gesicht und Beinen. Er dringt in die Atemwege und schädigt die Lunge. Wenig erstaunlich also, dass Shohan Uddin erschrak, als er bei einem seiner Rundgänge durch ein Armenviertel in der Stadt Jessore einem Jungen namens Tazim begegnete. „Ich sah einen kleinen Jungen voller Aluminiumstaub. Es war schlimm für mich, ihn so zu sehen“, berichtet der 32-Jährige. Shohan ist Sozialarbeiter bei der ARKTF-Stiftung, einer Sternsinger-Partnerorganisation. „Ich dachte mir gleich: Ich muss ihm helfen.“
Behutsam knüpfte Shohan Kontakt zum zwölfjährigen Tazim und erfuhr, dass der Junge seit fast zwei Jahren in einer kleinen Fabrik arbeitete. Bis zu zehn Stunden am Tag stellte er mit erwachsenen Kollegen Aluminiumschüsseln her. Es ist eine harte körperliche Arbeit, die viel Konzentration erfordert. Schutzkleidung trägt keiner der Angestellten. Tazim arbeitete barfuß und ohne Handschuhe. „Nach der Arbeit schmerzten meine Beine und Hände“, sagte Tazim. „Auch im Kopf fühlte ich mich müde.“
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Shohan kam mit Tazims Eltern ins Gespräch, die von der Not der Familie berichteten: Die Familie ist vor vielen Jahren nach Jessore gezogen, als ihre älteste Tochter Muslima noch klein war. Zerstörerische Überschwemmungen hatten sie aus ihrer Heimatregion, den Sundarbans, vertrieben. Die Stadt stellte ihnen ein kleines Grundstück zur Verfügung. Dort bauten sie ein Häuschen aus Wellblech, Planen und Holz, in dem sie bis heute wohnen. Die beiden Zimmer sind liebevoll eingerichtet, doch in der Regenzeit dringt Wasser ein und weicht den Lehmboden auf. Trinkwasser muss die Familie an einem öffentlichen Brunnen holen. Strom gibt es nur gelegentlich.
Aber Tazims Mutter beschwert sich nicht. „Hier ist es viel besser als dort, wo wir vorher lebten“, sagt sie. „Denn hier haben wir keine Angst vor Überschwemmungen.“ Tazims Vater arbeitete als Rikschafahrer, seine Frau als Hausangestellte. Als Tazim geboren wurde, war seine Schwester Muslima schon verheiratet – mit kaum 13 Jahren. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes trennte sie sich vom gewalttätigen Ehemann und zog zu den Eltern zurück. Das Geld wurde noch knapper. Nach und nach brachen die Covid-Pandemie und Krankheiten über die Familie herein.
Kein Geld für Medikamente
„Eines Tages hat mich mein Vater zur Seite genommen“, erinnert sich Tazim. „Er erklärte mir, dass ich leider arbeiten gehen müsse, weil wir sonst kein Geld für Essen und Medikamente hätten.“ Wenige Zeit zuvor hatte Muslimas Ex-Mann den Vater so schwer geschlagen, dass dieser monatelang arbeitsunfähig war. Auch Tazims Mutter Asirun konnte nicht mehr arbeiten.
Die rundliche, sanfte Frau ist seit Monaten krank. Immer wieder hat sie unerträgliche Kopfschmerzen. Eine staatliche Krankenversicherung gibt es nicht, den Arztbesuch muss die Familie selbst bezahlen. Doch die verschriebenen Medikamente helfen der Mutter kaum. „Mein Vater und ich setzen uns neben sie, um sie zu beruhigen. Wir massieren ihren Kopf mit Öl und besprühen sie mit Wasser“, berichtet Muslima.
Trotz Fortschritten im Kampf gegen Kinderarbeit müssen in Bangladesch noch immer rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche arbeiten, 1,1 Millionen unter ausbeuterischen Bedingungen. Tazim (12) musste Aluminiumschüsseln herstellen. Heute kann er wieder in die Schule gehen.
Die junge Frau hat wieder geheiratet und ist zu ihrem zweiten Mann gezogen. Doch seit ihr Vater verletzt worden und ihre Mutter erkrankt ist, verbringt die 24-Jährige den ganzen Tag bei den Eltern. Neben der Pflege macht sie den Haushalt und betreut ihre Kinder. Sie kümmert sich auch um Tazim, spricht viel mit ihm und ermutigt ihn. Es hatte die junge Frau sehr bedrückt, dass ihr kleiner Bruder arbeiten musste. Doch auch sie wusste keinen anderen Ausweg. Wovon soll die Familie sonst Lebensmittel und Medikamente bezahlen?
„Mein erster Arbeitstag war schrecklich“, erzählt Tazim. „Ich war traurig und konnte den Tag kaum überstehen. Manchmal bin ich einfach nicht in der Fabrik erschienen.“ Nach und nach gewöhnte sich Tazim an das Arbeitsleben, schließlich unterstützte er damit seine Familie, das war ihm sehr wichtig. Auch sein Chef half ihm. „Er war immer nett zu mir.“ Doch die Tage waren lang. Nur am Wochenende hatte Tazim Zeit, sich zu erholen, seine Freunde zu sehen und Fußball zu spielen, seine Lieblingsbeschäftigung.
Vielseitige Hilfe
Die Begegnung mit Shohan veränderte Tazims Leben. Der Sozialarbeiter beriet sich mit dem ARKTF-Team, gemeinsam entschieden sie, wie sie dem Jungen helfen werden: Mit Fingerspitzengefühl klärten sie die Eltern und den Arbeitgeber über die Kinderrechte und das Verbot von Kinderarbeit auf. Sie finanzierten medizinische Hilfe für die Familie und fanden eine Arbeit für Tazims Vater, die er machen kann, wenn seine Verletzungen ausgeheilt sind.
Vor allem aber setzte sich das ARKTF-Team dafür ein, dass Tazim wieder in die Schule geht. Sie vermittelten dem Jungen eine Schule, die ihn im Januar 2025 aufnahm. Während der Übergangszeit konnte Tazim ins ARKTF-Zentrum kommen. Dort erhielt er wie viele weitere Kinder nicht nur Nachhilfe, sondern nahm auch an Freizeitaktivitäten teil. „Tazim ist sehr begabt. Er spielt gern Theater und singt gut“, berichtet Shohan. „Er bringt viel Freude und Leben ins Zentrum und schafft es, alle anderen zum Mitsingen zu bewegen.“
Tazim lächelt, wenn er vom ARKTF-Zentrum und seiner neuen Schule erzählt. „Ich bin so glücklich und dankbar für die Hilfe. Ich spüre neue Kraft.“ Auch Tazims Mutter, blüht auf, sobald sie von den Veränderungen im Leben ihres Sohnes spricht. „Mein größter Wunsch war es, dass Tazim wieder in die Schule geht. Es war so hart für mich, dass er sie abbrechen und arbeiten gehen musste. Ich sah die anderen Kinder morgens in die Schule gehen und meinen Jungen nicht. Da war ich so traurig. Jetzt geht es besser.“
Hilfe und Aufklärung: die ARKTF-Stiftung
Die Sternsinger-Partnerorganisation ARKTF (Abdur Rashid Khan Thakur Foundation) setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2002 in der Region Jessore und der gleichnamigen Stadt gegen Kinderarbeit ein. Das ARKTF-Team befreit Kinder und Jugendliche aus ausbeuterischen und gesundheitsschädlichen Arbeitsverhältnissen und unterstützt sie, damit sie eine Schule besuchen oder eine Ausbildung machen können.
Die Stiftung sensibilisiert Kinder, Eltern, Arbeitgeber, lokale Behörden und Regierungsmitarbeiter für Kinderrechte. Zudem vermittelt sie Kindern und ihren Familien Gesundheitsdienste, den Zugang zu sauberem Wasser und zu staatlichen Hilfen.
Seit der Gründung hat ARKTF mehr als 400 Kinder in Schulen integrieren können und rund 680 Jugendlichen eine Ausbildung vermittelt. Mehr als 3.000 arbeitende Kinder kamen zu Beratung und Unterricht in die ARKTF-Zentren und nahmen an Freizeitaktivitäten der Stiftung teil.
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