Erde aus dem Weltall fotografiert
Warum Marokko auf das Territorium am Atlantik besteht

Afrikas letzte Kolonie? Die Westsahara als politischer Spielball

Bonn/Dakhla  ‐ Kaufen Sie Tomaten aus Marokko? Gut möglich, dass diese in Afrikas letzter Kolonie angebaut wurden, der Westsahara. Seit 50 Jahren fordert dort die Bevölkerung, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Bislang erfolglos.

Erstellt: 14.11.2025
Aktualisiert: 10.11.2025
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Von Katrin Gänsler (KNA)

Die Bilder sind traumhaft: hellgelbe Sandstrände, der blaue Atlantik, weiße Schaumkronen auf Wellen. Die Westsahara ist mehr als nur ein Geheimtipp für Surfer, der sich längst bequem erreichen lässt. Der irische Billiganbieter Ryanair fliegt Dakhla seit Jahresbeginn von Spanien aus an. Urlaubshomepages empfehlen Hotels, Restaurants und Ausflüge in die Wüste.

Das nationale marokkanische Fremdenverkehrsbüro schreibt: „Dakhla ist ein kleines Stück Paradies im Süden Marokkos, verloren zwischen den Gewässern des Atlantiks und dem Sand der Sahara.“ Marokko? Das Königreich im Nordwesten Afrikas sieht das 266.000 Quadratkilometer große Gebiet als seine Südprovinz an; das sahrauische Volk – die indigene Bevölkerung der Westsahara – fühlt sich jedoch als die „letzte Kolonie Afrikas“.

Die Ursprünge des Konflikts gehen bis in die Kolonialzeit zurück. Die Westsahara war ab 1885 spanische Kolonie. Erst 1974 – und somit später als fast überall in Afrika – kündigte Spanien ein Referendum über die Unabhängigkeit an. Im selben Jahr erhoben Marokko wie das im Süden liegende Mauretanien Gebietsansprüche. Ein Jahr zuvor hatte sich bereits mit Unterstützung Algeriens die Befreiungsbewegung Frente Polisario (Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro) gegründet, die eben eine Abstimmung der Sahrauis über ihre Zukunft fordert.

Doch daraus ist bis heute nichts geworden. Vor 50 Jahren – im Oktober und November 1975 – überschlugen sich kurzzeitig die Ereignisse. Ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs stellte am 16. Oktober 1975 fest, in der Vergangenheit hätten zwar rechtliche Bindungen von Marokko und Mauretanien zur Westsahara bestanden; es wies jedoch die Territorialansprüche beider Staaten zurück.

Es folgte der „grüne Marsch“, eine Machtdemonstration Marokkos auf dem Boden der Westsahara, und am 14. November der Vertrag von Madrid, in dem Spanien erklärte, Marokko und Mauretanien bis zum endgültigen Ende der spanischen Kolonialherrschaft an der Verwaltung der Westsahara zu beteiligen. Spanien zog sich tatsächlich ein Jahr später komplett zurück. „Das Abkommen war eine Katastrophe für die gesamte Region“, sagt Mohamed El Mamun Ahmed, Vertreter von Frente Polisario in Deutschland, im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Denn eine Entkolonialisierung gab es nicht, sondern einen Kampf um Unabhängigkeit und ein Tauziehen um eine Fläche, die reich an Bodenschätzen und fruchtbarem Land ist. Bis 1991 befand sich Frente Polisario mit Unterstützung Algeriens im Krieg gegen Marokko. Seitdem ist eine UN-Beobachtermission vor Ort. Am 31. Oktober stimmten nun im Weltsicherheitsrat 11 von 15 Delegierten, dass die Westsahara künftig autonomes Gebiet von Marokko werden soll. Marokko erklärte das Datum daraufhin zum Feiertag.

Wenige Tage nach der Abstimmung betont Mohamed El Mamun Ahmed allerdings, dass das sahrauische Volk die Entscheidung treffen muss – in Form eines Referendums, über das seit Jahrzehnten gesprochen wird. „Drei Optionen muss es geben: Eingliederung, Unabhängigkeit oder Autonomie. Wir müssen das selbst bestimmen.“

Sahrauis fordern Selbstbestimmung

Doch das scheint schwierig zu werden. Unterschiedlichen Angaben zufolge machen die Sahrauis in den besetzten Gebieten nur 15 Prozent aus, der Rest sind Marokkaner, sagt Laura Mahler, Referentin der Gesellschaft für bedrohte Völker. Das Gebiet ist wirtschaftlich interessant, nicht nur als Tourismusstandort. „Marokko besetzt die Gewässer. Sardinen in deutschen Supermärkten, die als marokkanische Produkte deklariert sind, kommen oft aus der Westsahara.“

Ein wichtiger Schritt dagegen sei immerhin ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Oktober 2024 gewesen. Die Richter betonten, dass die Westsahara nicht Teil des Handels- und Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko sein dürfe. Trotzdem wird auf dem Gebiet weiter Obst und Gemüse angebaut und als marokkanische Ware deklariert. An den Phosphatvorkommen seien wiederum Länder weltweit interessiert, darunter auch China und die USA.

„Das Recht auf Selbstbestimmung muss den Sahrauis gewährt werden“, sagt Mahler. Das beinhalte die Wahrung der kulturellen Identität, ein eigenes Justizsystem, die Aufnahme internationaler Beziehungen wie eine eigene Ressourcenverwaltung.

Mahler betont auch die Menschenrechtsverletzungen. Demonstrationen und freie Meinungsäußerung würden verboten, Aktivisten verschleppt. Nicht nur in der Westsahara sei der Alltag schwierig, sondern auch in Flüchtlingscamps in Algerien, in denen bis zu 200.000 Sahrauis leben. „Wasser ist immer wieder knapp, Elektrizität nicht zuverlässig.“

Gehört wird das nur selten. Der schmale Streifen zwischen Marokko und Mauretanien ist vielen weiter unbekannt. 50 Jahre nach der Entscheidung in Den Haag, dem „grünen Marsch und dem Madrid-Abkommen bleibt Mohamed El Mamun Ahmed trotzdem optimistisch, macht auf die Westsahara und die Forderungen der Menschen aufmerksam. „Wir sind weiterhin da“, sagt er – für ein selbstbestimmtes Leben seines Volkes.

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