Emblem der Vereinten Nationen am Eingang zum Hauptquartier der UNO in Genf.
Papiertiger oder die einzige Chance der Menschheit?

Vor 80 Jahren trat die Charta der Vereinten Nationen in Kraft

Bonn/New York  ‐ Die Kritik an politischen Organisationen auf Weltebene ist so alt wie die Idee, sie überhaupt zu schaffen. Papiertiger seien sie, ineffizient und uneins. Doch wo sind die Alternativen zu UNO und Haager Gerichtshof?

Erstellt: 24.10.2025
Aktualisiert: 22.10.2025
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Der jüngste, vor Selbstbespiegelung strotzende Auftritt vor der UNO-Vollversammlung zeigte es überdeutlich: Verachtung des Multilateralismus spricht derzeit aus jeder Pore der US-Außen- und Handelspolitik. Selbst ist der Mann! Und in Russland und China sieht es leider nicht besser aus.

Donald Trump ist mit seiner „America first“-Politik aus ungezählten internationalen Organisationen und Verträgen ausgestiegen: Pariser Klimaabkommen, UN-Menschenrechtsrat, Kulturorganisation Unesco, Weltgesundheitsorganisation WHO, Abrüstungsabkommen mit Russland, Atomabkommen mit dem Iran. Zuletzt belegte die Trump-Regierung Richterinnen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag mit Sanktionen wegen US-schädlichen Verhaltens.

Es ist dieselbe Haltung, die einst die europäischen Großmächte dem Multilateralismus entgegenbrachten, als ihn vor gut 100 Jahren nämliche USA auf der Weltbühne zu etablieren versuchten. Damals, 1919, pfropfte US-Präsident Woodrow Wilson den unwilligen Mächtigen des Alten Kontinents ein längst verschüttetes europäisches Instrument auf: nämlich miteinander im Gespräch zu bleiben, um Konflikte möglichst im Vorfeld zu entschärfen.

Und auch als im Juni 1945 in San Francisco 50 Gründungsnationen die Charta der Vereinten Nationen unterzeichneten, saß mit Harry Truman ein US-Präsident am Tisch. Da war der Zweite Weltkrieg im Pazifik noch gar nicht beendet – und die Vorgängerorganisation, der Völkerbund in Genf (1920-1946), noch gar nicht aufgelöst.

Dessen Ziele waren gewesen, zwischenstaatliche Konflikte durch Schiedsgerichte beizulegen und Abrüstung und kollektive Sicherheit zu gewährleisten. Nach dem erschütternden Ersten Weltkrieg mit seinem Giftgas, seinen Abnutzungsschlachten und 17 Millionen Toten wollte die internationale Gemeinschaft 1918/19 ein Zeichen setzen: Nie mehr so ein Blutbad! Keine 20 Jahre später begann der Zweite Weltkrieg – mit diesmal 60 Millionen Toten.

Diesem neuerlichen, noch größeren moralischen Bankrott folgte nun also der Neubeginn in den Vereinten Nationen – und im beginnenden sogenannten Kalten Krieg zwischen Ostblock und Westen und ihren jeweiligen, oft postkolonialen Satellitenstaaten. Vor 80 Jahren, am 24. Oktober 1945, trat die UN-Charta in Kraft – dies gilt als Gründungsdatum der UNO und wird als Tag der Vereinten Nationen begangen. Israel wurde 1949 Mitglied, Österreich 1955, die kommunistische Volksrepublik China 1971, die Bundesrepublik und die DDR gar erst 1973.

„Nie wieder Krieg“ weiterhin Utopie

Symbol der Vereinten Nationen ist – neben ihrer blauen Flagge mit Erdkugel und Olivenzweigen – das 1951 vollendete Hauptquartier am New Yorker East River. Der US-Milliardär John D. Rockefeller lieferte dafür das Grundstück, die Stararchitekten Le Corbusier und Oscar Niemeyer die Architektur.

Auch seither hat ein „Nie wieder Krieg“ schlicht nicht stattgefunden – und die UNO mit ihren Blauhelm-„Friedenssoldaten“ mehr als einmal eine klägliche Rolle gespielt; nicht nur bei den Massakern in Ruanda 1994 und im bosnischen Srebrenica 1995. Doch angesichts all der Kriege, in Gaza, der Ukraine, all der Hunger- und Flüchtlingskrisen, von Klimawandel, regionalen Konflikten, Seuchen und Epidemien: Wer hätte Ende 2025 – bei allen Defiziten der bestehenden Strukturen – bessere Vorschläge zur Bewältigung globaler Probleme als ein möglichst großes Einvernehmen ihrer 193 Mitgliedstaaten?

Die Vorzeichen von einst scheinen heute freilich umgekehrt. Europas „Großmächte“ Frankreich, Deutschland, Großbritannien spielen heute international – eher leise und asynchron, aber immerhin – auf genau dieser Klaviatur – während die amtierende US-Regierung kaum eine Chance auslässt, bereits erzielte Kompromisse zu unterminieren und ins Leere laufen zu lassen; von Wladimir Putins Kriegs-Russland und dem stets profitierenden Giganten China ganz zu schweigen. Was hätten sich wohl die US-Präsidenten Wilson und Trump 2025 in einem TV-Duell über die Außenpolitik unserer Tage zu sagen?

Generalsekretär der UNO zu sein, als Hütehund die auseinander strebenden Nationen beieinander zu halten und immer wieder zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu bewegen, noch dazu kurzgehalten an der finanziellen Leine der Großmächte, dürfte wohl zu den unmöglichsten Jobs der Welt gehören.

Echte moralische Autorität konnten da – bei allem Bemühen – nur wenige ausstrahlen, so etwa der Schwede Dag Hammarskjöld (1953-1961) oder der Ghanaer Kofi Annan (1997-2006). Annan erhielt 2001 – trotz Fehlschlägen – zu Beginn des dritten Jahrtausends den Friedensnobelpreis; wohl auch stellvertretend für die so alternativlose Idee der „Vereinten Nationen“ insgesamt.

Jetzt fordert Donald Trump den Preis für sich – dafür, dass er im Alleingang sieben Langzeitkriege in der Welt beendet habe; und ohne dabei auch nur einmal Unterstützung der Vereinten Nationen bekommen zu haben. In einem Social-Media-Video sieht man ihn als goldene Riesenfigur in einem neuen, glänzenden Las-Vegas-Gaza stehen. Sind das Gegenwart und Zukunft des Multilateralismus? Faktenchecker haben ihm geantwortet.

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