Emblem der Vereinten Nationen am Eingang zum Hauptquartier der UNO in Genf.
„Parlament der Menschheit“ oder „Wasserkopf am East River“?

Vor 80 Jahren wurde Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet

Bonn/New York  ‐ Die Kritik an politischen Organisationen auf Weltebene ist so alt wie die Idee, sie überhaupt zu schaffen. Papiertiger seien sie, ineffizient und uneins. Doch wo sind heute Alternativen zu den Vereinten Nationen?

Erstellt: 26.06.2025
Aktualisiert: 16.06.2025
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Es ist das Symbol der Vereinten Nationen schlechthin – neben der blauen Flagge mit Erdkugel und Olivenzweigen: das 1949 begonnene und 1951 vollendete UNO-Hauptquartier am New Yorker East River. Der US-Milliardär John D. Rockefeller lieferte dafür das sieben Hektar große Grundstück eines früheren Schlachthofs, die Stararchitekten Le Corbusier und Oscar Niemeyer die Architektur.

Dass aber New York damit quasi auch politisch die „Hauptstadt der Welt“ werden sollte, war in der ganz frühen Phase nach dem Weltkrieg noch gar nicht ausgemacht. Als vor 80 Jahren, am 26. Juni 1945, in San Francisco 50 Gründungsnationen die Charta der Vereinten Nationen unterzeichneten, war der Zweite Weltkrieg im Pazifik noch gar nicht beendet – und die Vorgängerorganisation, der Völkerbund in Genf (1920-1946), noch gar nicht aufgelöst.

Dessen Ziele waren gewesen, zwischenstaatliche Konflikte durch Schiedsgerichte beizulegen und Abrüstung und kollektive Sicherheit zu gewährleisten. Nach dem erschütternden Ersten Weltkrieg mit seinem Giftgas, seinen Abnutzungsschlachten und 17 Millionen Toten wollte die internationale Gemeinschaft 1918/19 ein Zeichen setzen: Nie mehr so ein Blutbad! Keine 20 Jahre später begann der Zweite Weltkrieg – mit diesmal 60 Millionen Toten.

Diesem neuerlichen, noch größeren moralischen Bankrott folgte nun also der Neubeginn in den Vereinten Nationen; und im beginnenden sogenannten Kalten Krieg zwischen Ostblock und Westen und ihren jeweiligen, oft postkolonialen Satellitenstaaten.

Die Charta der Vereinten Nationen war der Gründungsvertrag – und sozusagen die Verfassung der Vereinten Nationen (UN). Sie wurde im Juni 1945 von 50 der 51 Gründungsmitglieder unterzeichnet und trat am Ende Oktober 1945 in Kraft. Die Charta ist ein völkerrechtlicher Vertrag und bindet als solcher alle Mitgliedstaaten; Änderungen sind nur mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Vollversammlung möglich. Alle fünf UN-Vetomächte müssen zustimmen: China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA.

Artikel 1 der Charta nennt als Ziele Frieden und internationale Sicherheit, Schaffung und Stärkung von freundschaftlichen zwischenstaatlichen Beziehungen und Kooperationen wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art sowie eine Stärkung der Menschenrechte.

Artikel 2 definiert die Gleichheit aller Staaten. Zwischenstaatliche Konflikte sind mit friedlichen Mitteln zu lösen. Die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit jeden anderen Staates ist zu respektieren. Androhung oder Anwendung von Gewalt sowie die Unterstützung von Aktivitäten gegen ein anderes Land sind verboten. Schaut man allein auf diesen Artikel und zugleich auf das derzeitige Verhalten von drei der fünf Vetomächte – wie kann einem da nicht angst und bange werden?

Mahner, Moderator und Sanitäter zugleich

Alle friedliebenden Staaten können UNO-Mitglied werden, wenn sie die Verpflichtungen aus der Charta übernehmen. Neue Mitglieder müssen vom Weltsicherheitsrat empfohlen werden; die Aufnahme erfolgt durch Beschluss der Vollversammlung. Die UN-Charta enthält auch das Statut des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, des Rechtsprechungsorgans der Vereinten Nationen.

Der UN-Hauptsitz befand sich zunächst in London; dort fand am 10. Januar 1946 auch die erste Vollversammlung statt, bei der der UN-Wirtschafts- und der Sozialrat eingerichtet wurden. Bald darauf folgten die Menschenrechtskommission, der Weltsicherheitsrat und das Sekretariat der UNO.

Neben dem Hauptquartier in New York sind weitere offizielle Amtssitze in Wien, Genf und Nairobi. Und auch in Bonn gibt es bereits seit 1951 erste Verbindungsbüros. Heute haben 27 UN-Einrichtungen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern ihren Arbeitsplatz in Bonn.

Der junge Staat Israel nahm 1949 seinen Sitz im „Parlament der Menschheit“, Österreich 1955, die kommunistische Volksrepublik China 1971, die Bundesrepublik und die DDR gar erst 1973. Sein Ziel „Nie wieder Krieg“ hat die Völkergemeinschaft bislang zu keinem Zeitpunkt erreicht - und die UNO hat mit ihren Blauhelm-„Friedenssoldaten“ mehr als einmal eine eher klägliche Rolle gespielt; am augenfälligsten bei den Massakern in Ruanda 1994 und im bosnischen Srebrenica 1995.

Doch angesichts all der Kriege, Hunger- und Flüchtlingskrisen, von Klimawandel, regionaler Konflikte, Seuchen und Epidemien: Wer hätte 2025 – bei allen Defiziten der bestehenden Strukturen – bessere Vorschläge zur Bewältigung globaler Probleme als ein zumindest möglichst großes Einvernehmen ihrer 193 Mitgliedstaaten? Der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan erhielt 2001, zu Beginn des dritten Jahrtausends, den Friedensnobelpreis - wohl auch stellvertretend für die so alternativlose Idee der „Vereinten Nationen“ insgesamt.

Im politischen und wirtschaftlichen Ringen der Mächte USA, China, Russland und in den diversen, sich ablösenden Regionalkonflikten der Welt sind die Vereinten Nationen – und vor allen anderen der UNO-Generalsekretär - Mahner, Moderatoren und Sanitäter zugleich. Allzu wirksame politische Instrumente haben sie dabei nicht in der Hand. Und so muss das Flüchtlingshilfswerk UNHCR immer neue Höchststände an Geflüchteten vor Gewalt und Menschenrechtsverletzungen weltweit mitteilen.

Völkerverständigung und Multilateralismus haben viele Federn gelassen - und waren ohnehin zu allen Zeiten leicht zu verspotten. Donald Trump verbreitet als Lenker einer der führenden Nationen der Welt Botschaften wie, die Vereinten Nationen seien „nicht mehr als ein Club, in dem sich Leute treffen, quatschen und vergnügen können. Wie traurig!“

Subtiler und weniger platt der frühere US-Botschafter bei der UNO, John Bolton. Er erklärte einst, wenn man von dem – 155 Meter und 39 Stockwerke hohen – Hochhaus am East River zehn Stockwerke abnähme, würde das überhaupt niemand merken. Damit traf er einen wunden Punkt: die stets eingeforderte Reform und Verschlankung der Weltorganisation. Kritiker sprechen statt vom „Parlament der Menschheit“ nur allzu gern vom „Wasserkopf am East River“.

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