
Vor 80 Jahren brannte mit dem Stephansdom das Herz von Wien
Wien ‐ Heute ist er eins der beliebtesten Touri-Ziele in Wien – doch im „Endkampf“ um die Stadt vor 80 Jahren traf den Stephansdom das Unglück: Er fing Feuer. Ein Glück: Dem SS-Befehl zur totalen Zerstörung widersetzte sich ein Offizier.
Aktualisiert: 09.04.2025
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Was vor 80 Jahren im Herzen Wiens passierte, trieb vielen entsetzten Bewohnern die Tränen in die Augen; und es fügte dem Unheil des mehr als fünfjährigen Weltkriegsfurors in Wien einen weiteren, letzten Höhepunkt hinzu: Am 12. April 1945 stürzte die Pummerin, die größte Glocke des Stephansdoms, als Folge eines Dachbrandes in die Turmhalle herab und zerbrach.
Tags darauf durchschlug eine einbrechende Stützmauer das Gewölbe des südlichen Seitenchores; das in den Dom eindringende Feuer zerstörte Chorgestühl und Chororgel. Der Stephansdom bot ein erbarmungswürdiges Bild sinnloser Zerstörung. Und das fast am Ende jener Schreckenszeit, in der die Wiener nach jedem Bombenangriff bang fragten: „Steht der Steffl noch?“
Als steinerner Zeuge des Unvergänglichen hatte der Dom durch über 800 Jahre hinweg allen Widrigkeiten getrotzt; hatte Feuersbrünste, Türkenbelagerungen und Franzosenkriege überstanden. Doch in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs blieb auch St. Stephan nicht mehr verschont vor der Vernichtung. In der Nacht vom 11. auf den 12. April nahm das Unglück seinen Lauf. Ein unter normalen Umständen beherrschbarer Brand führte fast zur gänzlichen Zerstörung des Doms.
Die Ursache ist bis heute noch immer nicht restlos geklärt. Als plausibelste These gilt, dass der Dombrand infolge von Kampfhandlungen zwischen der sich zurückziehenden Deutschen Wehrmacht und der Roten Armee ausbrach, wie Dombaumeister Wolfgang Zehetner bestätigt.
Ein Blick zurück: Ab März 1945 mehrten sich die Bombenangriffe der Alliierten auf Wien. Einer davon, ein US-Angriff am 12. März, sollte für die Brandkatastrophe einen Monat später fatale Folgen haben, wurden dabei doch die beiden großen Wasserleitungen des Doms zerstört. Auch war zum Zeitpunkt des Brandes die Wiener Berufsfeuerwehr bereits aus dem Kampfgebiet abgezogen, stand also nicht mehr zur Verfügung.
Am 11. April 1945 standen Waffen-SS und Rote Armee einander am Donaukanal gegenüber. Wahrscheinlich ist anhand der Auswertung privater Tagebücher und unveröffentlichter Zeitzeugenberichte, aber auch mittels Computeranimation, dass eine oder beide der kämpfenden Seiten für den Ausbruch des Brandes verantwortlich waren; als Kollateralschaden oder aber durch blanken Zerstörungswillen.
Der wahrscheinlichste Hergang ist laut einer 45-minütigen ORF-Doku: Genau zwischen den Fronten liegend, geriet der Stephansplatz unter Beschuss von beiden Kriegsparteien; Granaten entzündeten die Häuserfront an der Westfassade des Doms, der Brand griff über ein altes Holzgerüst am Nordturm auf den hölzernen Dachstuhl über. Die dortigen imprägnierten Lärchenbalken hielten den Flammen zwar lange stand; doch letztlich wurde der kunsthistorisch bedeutsame Holzdachstuhl zur Achillesferse des steinernen Domes.
Die schwerste Glocke Österreichs zerschellt
Dombaumeister Zehetner erinnert auch an einen historisch belegten Befehl aus den Reihen der SS, den Dom unter Beschuss zu nehmen: 100 Granaten auf das Wiener Wahrzeichen sollten als Rache für eine am Südturm gehisste weiße Flagge dienen - eine Order, der sich allerdings Wehrmachtshauptmann Gerhard Klinkicht widersetzte und damit sein Leben riskierte. Die von Unbekannten gehisste weiße Fahne war für die einen ein Symbol der Kapitulation und der Befreiung von der NS-Herrschaft – für die bisherigen Machthaber freilich ein Zeichen der Wehrkraftzersetzung.
Gegen elf Uhr des 12. April jedenfalls brannte das Dach zwischen den beiden Domtürmen. Stück für Stück der zehntausend Lärchenstämme stürzte auf die Gewölbedecken. Die hielten der Last stand – noch. Aus einem der runden Deckenlöcher, das sich über der großen Orgel des Doms öffnete, fiel Glut auf das Instrument und erfasste Holzteilchen in dessen Inneren. Bald stießen Flammen aus einzelnen Orgelpfeifen hoch. Augenzeugen berichten später erschüttert von leisen Klagetönen aus den Pfeifen.
Bald war der nächste dramatische Verlust zu verzeichnen: Um 14.30 Uhr stürzte die Pummerin, mit 22 Tonnen die schwerste Glocke Österreichs, samt ihrem brennenden Glockenstuhl in die Tiefe und zerschellte „mit grauenhaftem Getöse“ am Gewölbering der südlichen Turmhalle. Abends war das Dach abgebrannt; glimmende Balken lagen auf den Gewölbedecken – aber das Innere des Doms schien gerettet zu sein. Und noch in der Nacht schien es, als wäre das Feuer unter Kontrolle.
Doch dann, am Freitag, 13. April, um 4.15 Uhr, völlig unerwartet die Katastrophe: Das Gewölbe stürzte ein. Unter der Wucht des Einsturzes wurden die Orgelempore und das gesamte wertvolle Chorgestühl begraben. Alles brannte lichterloh; jeder weitere Versuch einer Hilfe war aussichtslos.
Das gotische Lettnerkreuz wurde zum Sinnbild der gewaltigsten Zerstörung in der Geschichte des Stephansdoms. Vom Triumphbogen hing es herab, nur der obere Teil des Längsbalkens und der Querbalken mit den angebrannten, herabhängenden Unterarmen des kopflosen Corpus waren noch vorhanden - „ein Bild, das jedem unvergesslich blieb, der es gesehen hat“, berichtet die langjährige Diözesanarchivarin Annemarie Fenzl.
Der Stephansdom schien verloren. Doch das wollten die Wiener trotz des Nachkriegselends nicht hinnehmen. Gerade die „kleinen Leute“ trugen entscheidend zum Wunder des Wiederaufbaus bei. Der Umfang der erforderlichen Arbeiten warf bald die Frage nach der Finanzierung auf. Fast unglaublich: In den ersten vier Jahren gab es ausschließlich freiwillige Spenden der Wiener, die ja selbst nur das Notwendigste hatten. Erst später kamen Erträge der Dombaulotterie und einer Briefmarkenserie hinzu.
Mit primitivsten Mitteln wurden in den ersten Monaten etwa 4.500 Kubikmeter Schutt aus der verwüsteten Kirche entfernt. Da es an Transportmitteln fehlte, wurde er an der Nordseite gelagert und erst viel später weggeschafft. Es habe Mangel an allem geherrscht, so hieß es später – nur nicht an Helfern.
Der Einsatz basierte auch auf der Einsicht, dass jede Verzögerung zu weiteren irreparablen Schäden geführt hätte, etwa durch Regen oder Sturm. Um das Langhaus vor den Unbilden der Witterung zu bewahren, wurde bald eine schützende Trennwand zwischen Querschiff und dem zerstörten Chor errichtet.
Seit 2020 klingt auch wieder eine Riesenorgel
Viele technische und auch künstlerische Fragen mussten in den Folgejahren geklärt werden. Die drängendste jedoch war die Finanzierung. Die langjährige Domarchivarin Fenzl berichtet von Familienschmuck und sogar Eheringen, die Gläubige für die Restaurierung zur Verfügung stellten. Bekannteste Spendeninitiative wurde die sogenannte Dachziegel-Aktion, bei der Freunde des Doms einen oder mehrere Dachziegel für fünf Schilling kaufen konnten.
Kurz vor Weihnachten 1948 konnte der erste Festgottesdienst seit der Ostermesse am 1. April 1945 im Stephansdom gefeiert werden. Die Finanzlage blieb freilich angespannt. Noch im September 1951 schien es, als ob der Bau endgültig eingestellt werden müsste. Der damalige Dompfarrer Karl Dorr begab sich auf eine Betteltour durch die österreichischen Bundesländer – und jedes von ihnen spendete. Auch die Bundesregierung trug einen Millionenbetrag bei; Spenden kamen auch von den Kammern, der Vereinigung österreichischer Industrieller – und immer wieder von den kleinen Spendern.
Am 23. April 1952, dem Weihetag, wurde der wiederhergestellte Dom schließlich feierlich wiedereröffnet. Schon Tags zuvor war die im oberösterreichischen Sankt Florian neu gegossene Pummerin nach einem Triumphzug in Wien empfangen und in einem Gerüst neben dem Dom provisorisch aufgestellt worden.
Am Festgottesdienst am 27. April, dem Sonntag darauf, nahmen alle Bischöfe des Landes, Bundespräsident Theodor Körner und die Bundesregierung teil. Sogar Papst Pius XII. war per Funk aus dem Vatikan zugeschaltet. In deutscher Sprache erklärte er: „Was Ihr vollbracht, ist eine gewaltige Leistung!“
Freilich waren damals noch nicht alle Schäden am Dom behoben. Die Arbeiten am Nordturm konnten erst 1957 abgeschlossen werden; und erst 1983 wurden in der Barbarakapelle am Fuß des Nordturms die letzten Schäden aus der Kriegszeit behoben.
Zu Ostern 2020, 75 Jahre nach der Katastrophe, sollte dann mit der Weihe der neuen Riesenorgel der Wiederaufbau des Domes endgültig abgeschlossen werden. Die Feier fiel freilich dem Lockdown der Corona-Pandemie zum Opfer; sie wurde am 4. Oktober 2020 nachgeholt.
Web-Ausstellung
Eine unter https://hdgoe.at/category/stephansdom abrufbare Web-Ausstellung mit dem Titel „Stephansdom und Pummerin – Aufstieg zweier Nationalikonen“ widmet sich unter anderem der Architektin Helene Buchwieser (1912-2008). Sie übernahm in den ersten Monaten nach dem Dombrand 1945 die Leitung der Aufräumungsarbeiten auf der Großbaustelle. Die heute als ikonisch geltende Fotodokumentation des zerstörten Doms stammt von der Fotografin Lucca Chmel (1911-1999).

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